Vortrag:Der Brückenbauer

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Otto Kohlhofer, unermüdlicher Widerstandskämpfer und Nazi-Verfolgter, setzte sich nach dem Krieg für den Aufbau der Gedenkstätte Dachau ein. Eine Würdigung

Von Sebastian Jannasch, Dachau

In diesem Jahr wäre Otto Kohlhofer 100 Jahre alt geworden. Doch nach der Einschätzung der ehemaligen Leiterin der Dachauer KZ-Gedenkstätte hätte der kommunistische NS-Widerstandskämpfer auch heute noch eine Menge zur politischen Debatte beizutragen. "Kohlhofer wäre entsetzt von der rechtsextremen Gewalt, die wieder kontinuierlich zunimmt", sagt Barbara Distel, die von 1975 bis 2009 dem Gedenkort vorstand. Sie hat keinen Zweifel, wo Kohlhofer in der aktuellen Flüchtlingsdiskussion stehen würde: "Er wäre heute Fluchthelfer."

In ihrem Vortrag über Otto Kohlhofer, den Distel am Mittwochabend im Besucherzentrum der Gedenkstätte hält, zeichnet sie das Bild eines unermüdlichen Kämpfers, der wegen seiner kommunistischen Überzeugungen fast die gesamte Phase der nationalsozialistischen Diktatur innerhalb der Mauern des Zuchthauses und hinter den Zäunen von Konzentrationslagern verbrachte. Doch auch nach der Befreiung blieb sein Kämpfer-Naturell weiterhin gefordert.

In ihrer Einleitung hatte zuvor Distels Nachfolgerin an der Spitze der Dachauer Gedenkstätte, Gabriele Hammermann, darauf hingewiesen, dass im hinaufziehenden Kalten Krieg für die Würdigung kommunistischer Widerstandskämpfer kaum Platz war. Zu ihnen zählte auch Otto Kohlhofer, der schon früh Opfer der Nazi-Verfolgung wurde. Nachdem der 1915 in München geborene Arbeitersohn sich im Untergrund engagiert und NS-kritische Flugblätter verteilt hatte, geriet er in den Fokus der Gestapo. Die Ausbildung zum Feinmechaniker durfte er nicht mehr abschließen. 1935 wurde er verhaftet und für mehr als zwei Jahre ins Zuchthaus gesperrt. Danach kam er ins KZ Dachau. Doch trotz der kräftezehrenden Lagerzeit erlosch Kohlhofers Engagement für ein Zusammenleben ohne Ausgrenzung nie. "Er hat sich nicht von der Vergangenheit überwältigen lassen", berichtet Distel. Bereits Anfang der 1950er Jahre setzte sich Kohlhofer dafür ein, aus dem Konzentrationslager Dachau einen Gedenkort zu machen. Das stieß bei vielen Zeitgenossen im Nachkriegsdeutschland nicht auf Begeisterung. "Die Mehrheitsgesellschaft wollte davon wenig bis gar nichts hören", beschreibt Distel die schwierige Ausgangssituation des Vorhabens. 1948 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Häftlingslagers eine Auffangstelle für Flüchtlinge eingerichtet, die später als Wohnsiedlung Dachau Ost firmierte. Distel erzählt, welche Hürden der ersten Ausstellung über das Dachauer KZ im Weg standen. Es fehlte an Erkenntnissen darüber, was genau im KZ geschehen war, denn viele Unterlagen wurden am Ende des Krieges vernichtet. So waren es vor allem die ehemaligen Lagerinsassen, die bei der Aufarbeitung gefragt waren.

Kohlhofers Forderung nach einem "Nie wieder" der NS-Gräueltaten sollten nicht nur hohle Phrasen bleiben, sondern zu seinem "politischen Programm werden", wie Barbara Distel erläutert. Als Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau und Mitglied des Internationalen Dachau-Komitees, das 1955 von KZ-Überlebenden gegründet wurde, war er einer der Geburtshelfer der Dachauer Gedenkstätte. Nachdem Kohlhofer 1946 im bayerischen Landwirtschaftsministerium in den Staatsdienst eingetreten war, gelang es ihm trotz ideologischer Differenzen, seinen erzkonservativen Dienstherren davon überzeugen, ihn für die Gedenkstättenarbeit zwei Jahre lang freizustellen. Auch hier zeigte sich wieder Kohlhofers Geschick als Vermittler und Brückenbauer. Seit 1964 hatte auch Barbara Distel am Aufbau der KZ-Gedenkstätte mitgewirkt und versucht, die großen Dokumentationslücken zu füllen, indem sie die Einrichtung eines Archivs und einer Bibliothek forcierte. 20 Jahre nach der Befreiung wurde die Gedenkstätte schließlich 1965 eingeweiht. Kohlhofer setzte sich besonders für den Austausch zwischen der jüngeren Generation und den ehemaligen KZ-Häftlingen ein - Jahrzehnte bevor an ein festes Jugendgästehaus in Dachau zu denken war. Als Zeitzeuge stand er bei Zeltlagern zur Verfügung, die Jugendliche aus aller Welt zusammenbrachten, um die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Erfahrung aus dem KZ, wo sich Inhaftierte über politische, weltanschauliche und konfessionelle Grenzen hinweg zusammengeschlossen hatten, prägte ihn. Er wollte dieses Gefühl der Solidarität weitergeben.

Nach dem Vortrag haben die mehr als 100 Gäste im Besucherzentrum die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Ein Zuhörer möchte wissen, ob die derzeitige Gedenkkultur nun allen Verfolgten gleichermaßen gerecht wird. In den vergangenen Jahrzehnten sei viel erreicht worden, antwortet Barbara Distel. Zuvor vernachlässigte Gruppen wie Sinti und Roma, Homosexuelle und die Zeugen Jehovas seien mittlerweile stärker in den Fokus gerückt.

Als Kohlhofer 1988 starb, titelte die Zeitung: "So einem wird in Deutschland kein Tusch ausgebracht". Diesen Missstand konnte Barbara Distel nun endgültig mit ihrer Würdigung beheben.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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