Dachau:Das Volksfest-ABC

Volksfest 2015

Selfie im Fahrgeschäft Magic: Natalie, Kretsang und Chrissie

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Eine enzyklopädische Feldstudie der SZ-Redaktion über den zehntägigen Ausnahmezustand auf der Thoma-Wiese

Von B. Emonts, G. Schiegl, M. Kronenberg und C. Heumann

Jedes Jahr strömen etwa 300 000 Besucher auf das Dachauer Volksfest. Dann verwandelt sich die Thoma-Wiese am Fuß der Altstadt in eine ganz besondere Welt mit ihren eigenen Sitten und Unsitten. Ein Team der SZ Dachau hat seine Beobachtungen zusammengetragen. Im ultimativen Wiesn-ABC finden Sie alles, was Sie über das Dachauer Volksfest wissen müssen.

Autoscooter: Der einzige Ort auf dem Volksfest, an dem nicht Lederhosen, sondern Goldketten dominieren. Während aus den Boxen Rihanna und J-Lo scheppern, posen tätowierte Halbstarke vor jungen Dirndln um die Wette. Für einen Besuch unbedingt erforderlich: Gangster-Slang. Check ein, Oida!

Bier: Schmeckt von Jahr zu Jahr besser, wie selbst Weinliebhaber und Alt-Landrat Hansjörg Christmann zugibt. Preislich mit 5,60 Euro pro Maß ohnehin unschlagbar. Achtung: Mit fast sechs Prozent Alkoholgehalt steigt das Volksfestbier schnell zu Kopf und wirkt dort länger nach als einem lieb ist - davor feit auch seine liebliche Bernsteinfarbe nicht.

Campingwagen: Reisegefährt der Holländer, aber auch mobiler Untersatz der 76 Schausteller. Für zwei Wochen ist das Wohnmobil ihr zeitweiser Dachauer Wohnsitz. Platzwart Siegfried Kistler bestimmt, wer wo hinkommt.

Drachenreiter von Berk: Ganz klar einer der Stars des diesjährigen Volksfests. Begleitet von furchterregenden Wikingern mit Äxten überragte er sämtliche Märchenfiguren des traditionellen Kinderfestzugs, an dem 600 kleine und große Kinder teilnahmen.

Exzess: Im Zeitalter der Veganer eindeutig das "Wiesn-Pfandl" im großen Festzelt: mit Ente, Ochse und Krustenbraten.

Feuerwerk: Musste wegen Trockenheit und der daraus resultierenden Brandgefahr ersatzlos abgesagt werden. Für die Liebe zweifelsohne ein Verlust. Wirkte das Feuerwerk doch oftmals als Funke für den ersten Kuss mit dem Liebling, dessen Herz man gerade im Bierzelt erobert hat. Könnte später auch Folgen für die Quote der Eheschließungen in der Kreisstadt haben.

Glückshafen: Seit 1884 ein sicherer Hafen für die Dachauer. Von den insgesamt 160 000 Losen, die die Stadt Dachau und das Rote Kreuz hier verkaufen, gewinnt jedes fünfte. Der Erlös kommt seit jeher hilfsbedürftigen Dachauer Bürgern zugute.

Hau-den-Lukas: Der Ort der Wahrheit. Hier posen keine Halbstarken, sondern echte Mannsbilder in Lederhosen. Wer den Lukas bis ganz nach oben prügelt, nachdem er vier Maß gestemmt hat, dem sind die Frauenherzen sicher. Wer scheitert, dem drohen Hohn und Spott. Manches Frauenherz soll auf diese Weise schon davongeflogen sein - der Gescheiterte wurde fortan am Autoscooter gesichtet.

I wü wieda ham: Österreichischer Gassenhauer, der gerne im Festzelt gegrölt wird. Wird zu fortgeschrittener Stunde auch von Besuchern gelallt, die sich nach ihrem Bett sehnen, aber nicht mehr genau wissen, wo es steht.

Ja, varreck! Kein Todesfluch, sondern bairischer Kraftausdruck, der überschäumende Lebensfreude zum Ausdruck bringen soll. Hat in den vergangenen Jahren zunehmend Konkurrenz vom nicht minder vulgären Ausdruck "Scheiß die Wand an" bekommen.

Kutsche: Mutieren während des traditionellen Einzugs zu Politmobilen, die Landtags- wie Bundestagsabgeordnete zur Festwiese transportieren. Der Volksfest-Plebs, der am Straßenrand steht, bekommt von der Lokalprominenz Blumensträuße zugeschmissen. Ein Schauspiel, das zuweilen etwas feudal wirkt.

Lebkuchenherz: Letzte Bastion für analoge Kurznachrichten und Liebeserklärungen ("Mein süßer Knackarsch"). Nach einem Jahr Aushärtung auch als Schleuderwaffe oder Plombenzieher einsetzbar.

Mäuseburg: Eine Kuh ist nicht lila und Mäuse machen normalerweise keine Rolle rückwärts. Kleinkinder glauben das aber vielleicht. Wegen einer gewissen Schokofirma. Und wegen der Mäuseburg auf dem Volksfest, bei der die Nager in Käfigen Kunststücke aufführen. Ab 2016 sind lebende Tiere auf dem Volksfest verboten.

Notfall: Tritt meist dann ein, wenn sich die aufgebrezelten Damen in ihren Stöckelschuhen eine Blase laufen. Aber keine Angst: In der Sanitätswache direkt am Volksfestplatz werden sie von unermüdlichen Ehrenamtlichen des BRK rundum versorgt. Das gilt auch bei Stichen besoffener Wespen.

Ozapft is': Drei Schläge hat Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) in diesem Jahr benötigt, bevor er die urbayrische, für jedes Volksfest obligatorische Floskel ausstieß. Ob er sich auf das Anzapfen vorbereitet hat? "Nein, gar nicht. Ich wusste ja, dass der Alt-Bürgermeister Reitmeier mal 18 Schläge gebraucht hat."

Ponyreiten: Muss das Ponyreiten - weil ab 2016 verboten - nächstes Jahr aus dem Volksfest-ABC fliegen? Nein, reiten darf man ja immer noch. Nur dann eben auf hölzernen Ponys. Die sind doch sowieso viel praktischer: Sie brauchen keine Pausen und füttern muss man sie auch nicht.

Quetschen: Traditionelles Musikinstrument, aber auch unvermeidliche Begleiterscheinung im vollgestopften Festzelt, wenn alle Dachauer, Münchner, Brucker, Erdinger gleichzeitig die gleiche Idee haben: Geh ma doch aufs Volksfest!

Rauchverbot: Führt vielleicht auf der Münchner Wiesn zu Ungemütlichkeit. In Dachau aber riskiert niemand einen Platzverweis, wie Bedienung Hilde bestätigt. Das Dachauer Volksfest ist einfach zu schön, um wegen einer Kippe des Zeltes verwiesen zu werden.

Seven: Der Afterhour-Schuppen schlechthin neben dem Volksfestplatz. Was einen erwartet: Das P1 Dachaus, mit einer Tür, die am Wochenende härter ist als die Wadeln ihrer Besucher. Wer aber rein kommt oder gar Zutritt zur VIP-Lounge bekommt, der ist angekommen in der Dachauer Schickeria. Achtung: Dresscode. Tragen Sie Landhausmode oder ein rosa-rotes Polohemd.

Trachten: Prächtige traditionelle Gewänder, die man zur Eröffnung des Volksfests bewundern kann. Viele Besucher nennen ihre Karohemden und quietschbunten Landhausdirndl ebenfalls Tracht. Hansi-Hinterseer-Brauchtumsfasching nennen das Experten.

Urlaub: Wird für das Volksfest gerne in Anspruch genommen. Aus nachvollziehbaren Gründen. Wo sonst trifft man auf alte Schulkameraden und Weggefährten, die man sonst sein Leben lang nicht mehr sehen würde? Achtung: Es tummeln sich auch Lehrer auf dem Volksfest.

Vorglühen: Trotz des unschlagbaren Bierpreises besonders in der S-Bahn, am Bahnhof und vor dem Tengelmann zu beobachten. In erster Linie ein Jugendphänomen: Es gilt als uncool, nüchtern auf eine Party zu kommen.

Wildbiesler: Männliche Volksfestbesucher, die es nicht rechtzeitig zur Getränkerückgabe-Station schaffen. Treten häufig auch rudelweise auf.

X-Beine: Haben in den vergangenen Jahren besonders die Frauen bekommen, weil sie eben keine Wildbiesler sind. Mittlerweile sollen die kilometerlangen Schlangen vor den Toiletten nur noch meterlang sein.

Yoga: Das "Anschirren" des Körpers an die Seele zur Sammlung und Konzentration ist auch auf dem Volksfest sehr hilfreich: Mit besagter Konzentration ist das Schlangestehen sehr viel leichter zu ertragen und das nicht nur vor der Toilette, sondern auch beim Warten vor dem . . .

Ziegler-Zelt: Ganz klar der Ballermann des Dachauer Volksfests. Die Einführung des Eimersaufens ist hier nurmehr eine Frage der Zeit. Wildgewordene Alleinunterhalter, die der schwitzenden Meute einheizen, sind bereits vorhanden. Achtung: hoher Flirtfaktor. Vergewissern Sie sich, dass ihr Gegenüber schon volljährig ist.

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