Dachau:Das ewige Provisorium

Im Jahr 1990 genehmigt der Dachauer Stadtrat das Sammellager für Asylsuchende an der Kufsteiner Straße für fünf Jahre. Mehr als 25 Jahre später stehen die menschenunwürdigen Behausungen noch immer

Von Walter Gierlich

Als es wieder einmal darum ging, die Baugenehmigung für die Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende an der Kufsteiner Straße zu verlängern, platzte der CSU-Stadträtin Gertrud Schmidt-Podolsky der Kragen. Sie äußerte sich recht drastisch: Die Baracken seien so "heruntergekommen", dass man die Genehmigung nicht ohne weiteres erteilen dürfe. Außerdem liege die Unterkunft "am Arsch der Welt: ohne Bus, ohne Spielmöglichkeit, ohne Einkaufsmöglichkeit". Solche Töne, wie sie da im Sommer 2001 im Bauausschuss des Dachauer Stadtrats zu hören waren, hätte man sich schon viel früher gewünscht - im Interesse der Flüchtlinge.

Die Asylsuchenden mussten damals schon mehr als zehn Jahre in den fünf Baracken leben. Doch es sind noch einmal mehr als 15 Jahre vergangen, und erst jetzt sollen die maroden Behausungen abgerissen und durch ordentliche Wohnungen ersetzt werden. Hier bewahrheitet sich wieder einmal das alte Sprichwort: Nichts hält länger als ein Provisorium. In diesem Fall mehr als 25 Jahre.

Schon 1990, als die Unterkunft geplant wurde, gab es Proteste, dass die Menschen, die vor Krieg, brutaler Unterdrückung, Mord, Vergewaltigung oder manchmal aus blanker Not aus ihren Heimatländern geflüchtet sind, in einem Barackenlager am Stadtrand untergebracht werden sollten. Doch die Proteste des Arbeitskreises Asyl, einzelner Kirchenvertreter, politischer Minderheiten und engagierter Bürger verhallten ungehört.

Auch in Dachau folgte man damals der offiziellen Linie bayerischer CSU-Flüchtlingspolitik, deren oberste Maxime lautete: Ja keine Integration! Stattdessen Abschreckung durch miserable Lebensbedingungen. Doch wie kam es dazu, dass dort am Stadtrand überhaupt ein Sammellager mit 220 Plätzen erreichtet wurde? Zu Beginn der Neunzigerjahre stiegen die Flüchtlingszahlen an, die Landkreise suchten wieder händeringend nach Unterkünften. Im Sommer 1990 wies die Regierung von Oberbayern dem Landkreis wöchentlich 17 Flüchtlinge zu. "Es brennt gewaltig", hieß es aus dem Landratsamt, denn selbst Wirtschaften und Pensionen waren mit Asylsuchenden belegt.

Dachau: Blick in eine der Gemeinschaftsküchen des Barackenlagers für Asylsuchende in Dachau.

Blick in eine der Gemeinschaftsküchen des Barackenlagers für Asylsuchende in Dachau.

(Foto: Toni Heigl)

Also musste eine schnelle Notlösung her: 60 Flüchtlinge wurden in der Turnhalle der Dachauer Realschule untergebracht, darunter auch Familien mit Kindern. Dort hatten sie überhaupt keine Privatsphäre. Die Suche nach Grundstücken für Container- oder Barackenunterkünfte blieb - wie auch heute - schwierig. Die meisten Gemeinden im Landkreis mauerten, einzig die Kreisstadt Dachau bot ein Areal an: das sogenannte Dulag-Gelände an der Kufsteiner Straße im Niemandsland zwischen Dachau und Karlsfeld. Dulag ist die Abkürzung für Durchgangslager, in dem im Krieg sowjetische Zwangsarbeiter sowie nach dem Krieg Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht waren. Am 1. Oktober 1990 stellte der Landkreis den Bauantrag für die Unterkunft an der Kufsteiner Straße. Am 16. November erteilte die Stadt die Genehmigung zur Errichtung der fünf Baracken für maximal 220 Personen, befristet bis Jahresende 1995.

Der Arbeitskreis (AK) Asyl um Rose Kraus, entstanden Mitte der Achtzigerjahre, als die ersten Flüchtlinge gekommen waren, protestierte heftig gegen Standort und Art der Unterbringung. Statt solcher Sammellager forderte der AK Asyl eine dezentrale Unterbringung. In einem Brief an den damaligen Landrat Hansjörg Christmann (CSU) schrieb der AK Asyl, dass 220 Flüchtlinge auf einem Fleck von Nachbarn und Anwohnern als "Masse" empfunden werden und Angst auslösen könnten. Dadurch werde möglicherweise Fremdenfeindlichkeit um sich greifen. "20 Fremde aber haben die Chance, als einzelne Menschen gesehen zu werden. Und 20 Menschen haben eine bessere Chance, sich untereinander zu verstehen und aufeinander und auf ihre deutschen Nachbarn Rücksicht zu nehmen."

Und in der Tat hatte es damals massive Aversionen gegen Asylsuchende gegeben, war von "Gschwerl" und "Ungeziefer" die Rede, gab es Unterschriftensammlungen von Bürgern aus Augustenfeld und Kleingärtnern aus der benachbarten Anlage gegen die geplante Unterkunft. Unterschriften hatte auch der AK Asyl gesammelt: für dezentrale und menschengerechte Unterkünfte. Sogar überregional hatten die Dachauer Flüchtlingshelfer Unterstützung für ihr Anliegen gefunden, etwa beim evangelisch-lutherischen Dekanat München und beim Bayerischen Flüchtlingsrat.

GU Kufsteiner Straße Dachau

Einige der ersten Flüchtlinge ziehen im Jahr 1992 in die Gemeinschaftsunterkunft an der Kufsteiner Straße in Dachau ein.

(Foto: Toni Heigl)

Der SPD-Landtagsabgeordnete Klaus Hahnzog und der Medizinprofessor Karl Bonhoeffer von der Internationalen Vereinigung Ärzte gegen den Atomkrieg übten in einer Pressekonferenz im Dezember 1990 heftige Kritik an dem Sammellager. Da waren die Bauarbeiten längst im Gange. Hahnzog sprach von einer "grundsätzlich falschen Weichenstellung", Bonhoeffer, Neffe des von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer, bezeichnete ein solches Barackenlager in Dachau "als geradezu unglaubliche politische Instinktlosigkeit". Eine Erkenntnis, zu der übrigens 19 Jahre später auch der örtliche Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der CSU, Bernhard Seidenath, kam.

Doch es half nichts: Im Februar 1991 zogen die ersten Flüchtlinge aus der Realschulturnhalle Dachau ein. Zwei-Bett-Räume von knapp zehn und Vier-Bett-Zimmer von 20 Quadratmeter Größe standen ihnen zur Verfügung. Gemeinschaftsduschen und -toiletten, eine Küche pro Baracke, dünne Wände, durch die man jedes Geräusch aus dem Nachbarzimmer hört, so mussten manche Flüchtlinge jahrelang leben.

Dazu kamen dann auch noch Ängste, als sie mitbekamen, wie Anfang der Neunzigerjahre ein wütender, rassistischer Mob erst in Hoyerswerda, dann in Rostock-Lichtenhagen unter dem Beifall der Anwohner vor Asylheimen randalierte, und wie Neonazis bei nächtlichen Brandanschlägen in Mölln und Solingen Menschen töteten. Derweil vergammelten die Unterkünfte nach und nach immer mehr. Fenster wurden undicht, durch die Türen zog es, Ratten tummelten sich auf dem Gelände, das bei Regen von riesigen Pfützen übersät war. Doch die als provisorische Notunterkunft geplanten Baracken blieben stehen, mal ein wenig repariert und neu gestrichen, aber im Prinzip immer maroder werdend.

Das hinderte die Stadt aber nicht, die Baugenehmigungen stets zu erneuern. Am 14. März 1995 wurde die Erlaubnis um drei Jahre bis 31. Dezember 1998 erstmals verlängert. 1998 beantragte der Landkreis eine weitere Verlängerung, die im Mai erteilt wurde, diesmal um vier Jahre bis Ende 2002. Die Genehmigung lief aus, im Mai 2003 teilte das Staatliche Bauamt Freising mit, dass mittlerweile der Freistaat Eigentümer der Baracken sei. Statt Baugenehmigungs- gab es somit nur noch Zustimmungsverfahren. Eine erste Zustimmung zur Weiternutzung erteilten die Stadträte bis Ende 2007. Im November 2007 stimmte die Stadt erneut einer Weiternutzung bis 31. Dezember 2012 zu. Im Juli 2008 dann forderte die Stadt bei der Regierung von Oberbayern eine Sanierung der Baracken und eine deutliche Verbesserung der Unterbringung der Flüchtlinge.

Im Oktober 2012 zeichnete sich erstmals ein Umdenken ab. Das Staatliche Bauamt bat um eine weitere Verlängerung, doch die Stadträte zogen diesmal angesichts der menschenunwürdigen Zustände in den mittlerweile deutlich mehr als 20 Jahre alten Baracken nur noch teilweise mit. Sie erteilten nur noch für ein halbes Jahr, bis 30. Juni 2013, eine weitere Nutzung.

Inzwischen wurde im Stadtrat und in der Verwaltung längst mit staatlichen Behörden über einen Neubau diskutiert, der abgeschlossene Wohnungen für Flüchtlingsfamilien bieten sollte. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) versprach im Juli 2013, dass der Freistaat Bauherr sein werde. Im selben Monat bat das Staatliche Bauamt jedoch um eine erneute befristete Weiternutzung, der von der Stadt im September bis zum 30. Juni 2015 zugestimmt wurde. In diesem Jahr kündigte der Grundbesitzer überraschend den Pachtvertrag. Die meisten Flüchtlinge wurden anderswo untergebracht. Doch offenbar rauften sich alle Beteiligten doch noch zusammen: Der versprochene Neubau an der Kufsteiner Straße mit richtigen Wohnungen soll nicht länger eine Utopie bleiben.

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