Dachau:Ambivalenter Blick

Rückkehr zu den Familienwurzeln: Die Großnichten des Jugendstilkünstlers Walter von Ruckteschell besuchen die restaurierte Villa in Dachau.

Von Andreas Förster

Es ist lange her, dass jemand mit dem Namen "von Ruckteschell" die Villa des Jugendstilkünstlers beehrte. Deshalb wurden die Zwillingsschwestern Katharina und Elisabeth von Ruckteschell auch von Kreisheimatpflegerin Birgitta Unger-Richter und dem Leiter des Dachauer Kulturamts, Tobias Schneider, persönlich empfangen und durch die Museums-Räume geleitet.

Zuvor hatte nur Ruth von Bennigsen-Ruckteschell (94) das Wohn- und Arbeitshaus ihrer berühmten Eltern, Walter und Clary von Ruckteschell, einmal besucht. Das war anlässlich der Wiedereröffnung der Künstlervilla im September 2011, nachdem sie zuvor sechs Jahre lang restauriert worden war. Sie ist jetzt ein Museum, ergänzt um Ateliers. Ursprünglich hatten die von Ruckteschells das Anwesen im Jahr 1921 erworben, bis 1959 war es in Familienbesitz, später verfiel es zusehends und wurde erst 2005 durch das Konzept "Lebendige Künstlervilla" wieder zum Leben erweckt. Das Gebäude wurde unter Mithilfe des Vereins Brücke für straffällig gewordene Jugendlichen restauriert.

Für die Großnichten Katharina und Elisabeth war die persönliche Begegnung mit dem, was sie bisher nur vom Hörensagen kannten, etwas ganz Besonderes. Der Besuch hätte viel früher nicht stattfinden können. Zu groß war die Distanz, die insbesondere die promovierte Kunsthistorikerin Katharina ihrem ambivalenten Großonkel gegenüber empfand. Heute trennt sie den dem Kolonialismus nahe stehenden Walter von Ruckteschell vom multitalentierten Maler, Illustrator, Bildhauer und Schriftsteller und kann somit auch sein künstlerisches Schaffen würdigen, sagte sie. Der Künstler war Mitglied der Ostafrika-Kompanie, als das damalige Deutsche reich sich anschickte, Teile Afrikas zu erobern.

Mit ihrer in Gilching wohnenden Tante Ruth von Bennigsen-Ruckteschell verbindet die 52-jährigen Zwillingsschwestern hingegen eine langjährige Herzensbeziehung. "Unsere Tante hat eine fürsorgliche, liebevoll zugewandte Art, sie macht es seinem leicht", erzählt Katharina. Das kann auch Kreisheimatpflegerin Unger-Richter bestätigen, die vor zirka 30 Jahren über Walter von Ruckteschell promovierte und während ihres Studiums sogar häufig im Hause Bennigsen-Ruckteschell übernachten durfte. Viele Schätze aus Ruth von Bennigsens privatem Fundus finden sich mittlerweile als Leihgabe oder Schenkung im Haus. Zum Beispiel die im Musikzimmer stehende 30 Zentimeter hohe Holzskulptur "rote Madonna", die Ruth im Kindesalter als Puppe gedient hatte.

Bei der Führung wurde sogar die exakt geführte Buchhaltung von Ruckteschell-Ehefrau Clary aus einem der vom Künstler-Ehepaar selbst gestalteten Wandschränke hervorgeholt. Clary, die unter ihrem Mädchennamen Trueb als bildende Künstlerin arbeitete und vor allem mit ihrer anspruchsvollen Gebrauchskeramik erfolgreich war, spendierte sozusagen auch das Tee-Geschirr für den geselligen Abschluss der inzwischen recht groß gewordenen Runde an Künstlern und Kunst-Interessierten. Hinzugesellt hatten sich nämlich auch die aus Brasilien stammende Installations-Künstlerin Izer Campos, die noch bis September als Stipendiatin ein Zimmer im ersten Stock der Ruckteschell-Villa bewohnt, sowie ihre brasilianischen Künstlerfreunde Werne Souza Oliveira und Maristela Silveira. Die Dachauer Keramikerin Claudia Flach hatte sowohl den Kräutertee als auch das Gebäck nach Rezepten von Clary Trueb selbst zubereitet. Die Übersetzung ins Portugiesische übernahmen abwechselnd Claudia Flach und Katharina von Ruckteschell.

Die 52-Jährige leitet das in São Paulo ansässige Goethe-Institut Südamerika. Aufgrund einer Regionalleiter-Tagung ihres Arbeitgebers war sie in die Zentrale nach München gekommen und hatte sich dort mit ihrer in Ottobrunn lebenden Schwester Elisabeth getroffenen. Satt von Eindrücken und Vanille-Kipferln nach Großtantes Rezept machten sich beide am Abend auf den Heimweg.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: