Blick hinter die Kulissen:Die Dachauer Theaterfamilie

Der 83-jährige Adolf Morgott kümmert sich seit der Gründung des Theaters am Stadtwald um die Kulissen, die 80-jährige Fanny Lehmeier ebenso lang um die Kostüme. Jetzt wirken vier Generationen bei den Aufführungen mit. Sie alle teilen die Liebe zum Volksschauspiel

Von Jana Rick, Dachau

"Das Theater ist mein Leben." Eine Aussage, die jeder leicht sagen kann, die vielleicht auch ein wenig kitschig und übertrieben klingt. Nicht jedoch, wenn sie aus dem Mund von Adolf Morgott kommt, dem 83-jährigen Bühnenbaumeister des Theaters am Stadtwald. Blickt man dem Dachauer mit dem Trachtenhut in die wachen Augen, so weiß man sofort, dass er den Satz genauso meint, wie er ihn gesagt hat. Mehr sogar: Das Theater hält ihn am Leben. "Wenn ich nicht beim Theater dabei wäre, dann wäre ich jetzt nicht so alt", sagt er.

"Der Eddie ist unser Bühenguru"

Fast täglich radelt der Bühnenbauer in den Theatersaal des ASV Dachau. Die kleine Werkstatt hinter der Bühne ist seine zweite Heimat. Schon seit 1953 sägt, schraubt und klebt er dort die verrücktesten und großartigsten Bühnenbilder. Er verzauberte die Bühne in eine Brauerei, ein Märchenschloss oder einen Biergarten mit riesiger Eiche, für die er die Rinde eigens im Wald sammelte. "Der Eddie ist unser Bühnenguru", sagt Heinz Dietz, der seit 14 Jahren Abteilungsleiter des Theaters am Stadtwald ist. Adolf Morgotts Vater, Michl Morgott, war einer der beiden Gründer des Theaters, das nun seit 64 Jahren in Dachau Süd mehrmals jährlich seine Zuschauer begeistert.

Theater am Stadtwald

Fanny Lehmeier näht noch viele Kostüme selbst.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Den ASV kann man wohl so etwas wie einen Familienbetrieb nennen. Vier Generationen stehen mittlerweile auf der Bühne, von der Sechsjährigen bis zur 82-Jährigen. "Wir haben wenige Seiteneinsteiger", erklärt Dietz, die meisten Mitglieder seien von Anfang an dabei oder gleichzeitig Mitglieder in einer der Sportabteilungen des ASV. "Die jetzigen Senioren haben in der Jugend angefangen", sagt der Vorsitzende des Theaters, der auch selbst seit vielen Jahren auf der Bühne steht.

Der Spitzenreiter kommt auf 931 Theatertage

Dietz sitzt im Gemeinschaftsraum des Theaters, der genau unter der Bühne liegt und klappt seinen Laptop auf. Dieser ist so etwas wie das Archiv des Theaters, Dietz hat eine eigene Software entwickelt, die alle Daten seit der Gründung 1953 gespeichert hat. Bilder von der ersten Premiere von Rumpelstilzchen am 28. März 1953 sind darunter, in Schwarz-Weiß. 5300 Bühnen sind in seinem System digitalisiert und Dietz weiß ganz genau, wer bei welcher Aufführung wo auf der Bühne stand. Sein Laptop ist aber auch ein Personenregister. Geburtsdatum, Beitritt in den ASV, Bühnentage, Rollen. All diese Informationen sind im Datenspeicher vorhanden, zu mittlerweile 256 Mitgliedern, die auf und hinter der Bühne mitwirken. Der Laptop spuckt zum Beispiel aus, dass Ernst Konwitschny auf Platz eins der meisten Bühnentage steht. Ganze 931 Tage verbrachte er im Theater, unter anderem seit 37 Jahren als Kassier. "Er ist unser Spitzenreiter", sagt Dietz, "er ist hartnäckig."

Theater am Stadtwald

Im Keller des ASV verwaltet Christl Thurner die Requisiten.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Dietz' System zeigt auch jeden Begrüßungstext der einzelnen Aufführungen an und deren Besucherzahl. Doch was der Computer nicht aufführt, sind die vielen Stunden, in denen sich jeder einzelne der ASV-Familie ehrenamtlich für das Theater engagiert. Am Anfang zählte Dietz noch mit. Da waren es circa 1200 Stunden im Jahr, in denen er sich um das Theater kümmerte. "So einen Job kann man nur machen, wenn er einem Spaß macht", sagt er heute. Die Freude scheint bei keinem zu fehlen.

Theater am Stadtwald

Dietz erzählt von Aufführungen, die ihm immer in Erinnerung bleiben werden: Eine Gastaufführung in Rosenheim, bei der die Schauspieler drei Kästen Bier auf der Bühne trinken mussten. Mehr als eine Aufführung am Tag schafften die Akteure dann meistens nicht. Der Abteilungsleiter muss auch über die alte Theatertradition lachen, bei der sich die Schauspieler während der letzten Aufführung gegenseitig Scherze spielten. Da setzte sich eine Dame schon mal im Dirndl auf einen Reißnagel oder stämmige Burschen kämpften mit einer scharfen Suppe, die mit reichlich Chili verfeinert wurde. Das Publikum bekam davon meistens nichts mit, schließlich heißt es beim Theater immer: Egal was passiert, es wird weitergemacht. "Die Streiche schaukelten sich immer höher, bis wir entschieden, dieses Ritual aufzugeben", sagt Dietz. "Feiern kann man auch danach."

Ein Brand zerstörte Theatersaal und Requisiten

Die traurigste Erinnerung hat der Vorsitzende an das Jahr 1990. Damals zerstörte eine Brandkatastrophe das gesamte ASV-Gebäude mit dem Theatersaal und dem dazugehörigen Keller. Alle Requisiten, Kostüme und Bühnenbilder von 37 Jahren Theaterkunst verbrannten. Dietz spricht von einem "Tiefpunkt" in der Theatergeschichte der Volksspielbühne. "Auf einen Schlag war alles weg." Doch das Schicksal war kein Grund, aufzugeben. Während des Wiederaufbaus wurde im Saal des Dachauer Roten Kreuzes gespielt, 1993 zogen sie dann zurück in das neu errichtete Theater.

Theater am Stadtwald

Brigitte Günzel-Sigrüner ist Kulissenmalerin des Theaters.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Was für Dietz sein digitalisiertes Archiv ist, ist für Fanny Lehmeier das Kostümzimmer im Untergeschoss des Theaters. Die 80-Jährige ist seit 1961 als Inspizientin beim Theater tätig und zählt sich selbst zum "Urgestein" des Theaters. Der Requisitenraum ist ihre Schatzkammer. Darin riecht es nach antiken Möbeln und alten Stoffen. Bis zur Decke ist der Raum mit den unterschiedlichsten Requisiten gefüllt. Nur eine schmale Spur ist zum Gehen freigelassen worden, folgt man dieser, dann wechselt man gleich mehrmals das Land, die Jahreszeit und das Jahrhundert: Urwaldpflanzen aus Plastik wachsen am Boden, an den Wänden hängen ausgestopfte Vögel, in den Regalen entdeckt man ein antikes Radio. "Man mag es kaum glauben, aber wir brauchen alles irgendwann wieder", sagt Lehmeier. Den Schlüssel zur Requisitenkammer hat nur sie. "Den geb' ich nicht her. Sonst machen die mir hier nur ein Chaos", sagt die Rentnerin entschlossen und umklammert den Schlüsselbund. Alles hat seinen Platz, und sie weiß ganz genau, wo der ist.

Blick hinter die Kulissen: Adolf Morgott zählt zu den Urgesteinen hinter der Bühne und ist für die kreativsten Bühnenbilder bekannt.

Adolf Morgott zählt zu den Urgesteinen hinter der Bühne und ist für die kreativsten Bühnenbilder bekannt.

(Foto: Toni Heigl)

Die quirlige Frau ist auch für die Kostüme zuständig, die sie teilweise noch selbst näht. Auf dem Tisch im gemütlichen Gemeinschaftsraum hat ihre Nähmaschine einen festen Platz, dort näht sie den Kindern der Jugendbühne in letzter Sekunde Knöpfe an. Im Raum dahinter sammelt Lehmeier alle seit 1993 getragenen Kostüme. Auch hier stapeln sich Plastikkisten bis zur Decke, sie sind mit "Dirndlschürzen" und "Bauernhemden" beschriftet. Doch die Kostümbildnerin weiß auch so, in welcher Kiste sich das Mozartkostüm in Größe M oder die Polizeiuniform von 1980 befindet. Verändert hat sich bei den Kostümen seit Beginn nur eines: die Größen. "Damals waren ja alle so schlank, da passt heute keiner mehr rein! Mit einem Bierbauch - keine Chance", sagt Dietz lachend. Zum Glück gibt es Fanny, die dann sogar die Lederhosen ein wenig weiter näht.

Verändert habe sich in den vielen Jahren aber auch die Zeit, die ins Theater investiert werde. Dietz erklärt, dass sich einfach die Prioritäten verschoben hätten, das Theater sei heute nicht mehr unbedingt der einzige Mittelpunkt im Leben. "Heute muss man froh sein, wenn man sich 14 Tage vor der Premiere auf einen gemeinsamen Termin zum Proben einigen kann", sagt er. Besonders die Kinder hätten gleich mehrere Aktivitäten in einer Woche.

Auch Morgotts Urenkel spielen mit

Die Jugendbühne, die es seit 1974 gibt, ist Dietz' großer Stolz. 54 Kinder und Jugendliche stehen auf der Bühne, mit der gleichen Begeisterung wie ihre Eltern und Großeltern. "Die Jungen können von mir alles haben", sagt Dietz, er gebe ihnen alle Unterstützung, die er nur bieten könne. Denn der Nachwuchs bedeute dem Theater alles. Beobachtet man die "Theaterkäfer" auf der Bühne, dann muss man sich auf jeden Fall keine Sorgen um die Zukunft des ASV Theaters machen. Die Leidenschaft fürs Theaterspielen scheint vererbbar zu sein. Fannys Enkelkinder sind oft auf der Bühne zu sehen, bei Bühnenbauer Morgott sogar schon Urenkel.

Und auch um den Nachwuchs der Künstler hinter der Bühne kümmert sich der ASV. Morgott führt seit 2012 den Dachauer Jürgen Sigrüner in seine Arbeit ein. Der 51-Jährige wird der zukünftige Bühnenchef sein. Wenn Morgott seine Leidenschaft zum Bühnenbauen beschreibt und sagt, dass er immer das perfekte Bühnenbild haben möchte, dann kann man sich vorstellen, dass es für seinen Nachfolger nicht leicht ist. "Die Vorstellung muss man im Kopf haben, das kann man nicht lernen", erklärt der 83-Jährige. Doch Sigrüner gibt sein Bestes, und die beiden arbeiten sehr gut zusammen. "Morgotts Vorstellungen sind unglaublich, aber alle umsetzbar", sagt der jüngere Bühnenbauer. "Ich will, dass es weiterläuft", sagt Morgott und so gibt er seine langjährigen Erfahrungen gerne weiter. Manchmal dachte er schon daran, aufgrund der körperlichen Anstrengung das Amt niederzulegen, aber noch kann er es nicht lassen. "Dann juckt es mich wieder in den Fingern", sagt er lächelnd. "Das ist eine Wurzel, die ist festgefressen." Wieder ein Satz, der wahrscheinlich für alle Theatergenerationen im ASV Dachau gilt.

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