Bezirksmuseum Dachau:Eine fast vergessene Epoche

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Das Bezirksmuseum Dachau ergänzt eine Wanderausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte über "Wiederaufbau und Wirtschaftswunder" um eigene Schaustücke, Fotos und Filme.

Bärbel Schäfer

Historische Geräte und ein wackliges Baugerüst zeigen, wie in der Nachkriegszeit Häuser in Dachau errichtet wurden. (Foto: Toni Heigl)

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg konnte von Breitensport keine Rede sein. Die Skifahrer, die den Hang hinuntersausen, tun es mit sportlichem Ehrgeiz, wenn auch so mancher im Stemmschwung die Kurve nicht kriegt und in den Schnee fällt. Sepp Bielmeiers Film von Jugend-Skiwettkämpfen aus dem Jahr 1947 ist mit drei weiteren Filmen ein eindrucksvolles Zeugnis, wie es in Dachau nach dem Trauma des Zweiten Weltkrieges weiterging. Man blickte nach vorne, zumindest die Jugend, und versuchte auch in großer Not zur Normalität zurückzufinden und dem Leben ein paar schöne Seiten abzugewinnen.

Die Ausstellung im Bezirksmuseum "Wiederaufbau und Wirtschaftswunder" beleuchtet diese bislang historisch kaum beachtete Zeit. Die Wanderausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte tourt seit 2010 durch verschiedene bayerische Städte und spannt einen Bogen von den Entbehrungen der Nachkriegszeit bis zum neuen Wohlstand der 1950er Jahre. Dachau ist die letzte Station. Die Ausstellung behandelt das komplexe Thema schlaglichtartig und jeder, der die Zeit selbst miterlebt hat, könnte noch sehr viel mehr dazu beisteuern.

Das Bezirksmuseum Dachau ergänzt die Ausstellungsmodule um einen eigenen Raum und ein Filmkabinett. Die Leiterin Ursula Katharina Nauderer bezeichnet es als Glücksfall, dass gleichzeitig die "Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau" mit einer eigenen kleinen Wanderausstellung zum selben Thema an die Öffentlichkeit tritt. "Ich würde mir wünschen, dass auch in der Stadt Dachau so intensiv geforscht wird", wandte sich Nauderer an Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU). Eine fundiert aufgearbeitete Nachkriegsgeschichte in Dachau steht also dringend aus, bestätigte auch der Historiker Wilhelm Liebhart, vor allem auch die Ära Reitmeier betreffend. "Die Ausstellung könnte ein Anstoß sein, dass die verschiedenen Veranstalter miteinander kooperieren", meinte Liebhart.

Somit konzentriert sich der Dachauer Ausstellungsteil auf die Zeit der Not, wobei das Barackenlager im ehemaligen KZ Dachau ausgespart bleibt. Dort lebten bis 1964 mehrere Tausende Flüchtlinge, die durch Firmengründungen wesentlich zu Dachaus Aufschwung beitrugen. Diese wegweisende Entwicklung, zu der auch die Friedlandsiedlung in Dachau-Ost gehört, wird im Eingangsbereich zur Ausstellung lediglich durch ein Baugerüst symbolisiert. Dafür zeigt eine Torfstichecke, dass es nach dem Krieg an Heizmaterial mangelte, und in der Vitrine liegen, stellvertretend für die allgemeine Mangelwirtschaft, Bittschreiben einer jungen Lehrerin ans Wirtschaftsamt Dachau. Maria Robl bittet dringend um Wäsche und Fahrradbereifung, vor allem aber um Ersatz ihrer kaputten Schuhe, um ihren Dienst überhaupt ausüben zu können. Bunte Lehrtafeln aus der ehemaligen Landwirtschaftsschule 1948/49 führten den Schülern die wirtschaftliche Situation Deutschlands und Europas vor Augen und warben für den Marshallplan.

Die Kultur erholte sich schneller. Zu ihrer Wiederbelebung leistete der Musiker August Peter Waldenmaier einen Beitrag und organisierte 1945 die ersten musikalischen Aufführungen und Opern im Schloss Dachau. Er begründete damit die Dachauer Schlosskonzerte. Da die Münchner Spielstätten noch nicht bespielbar waren, rief der niederländische Schauspieler Teo de Maal das "Theater im Schloss Dachau" ins Leben und machte es fürs Münchner Publikum zum Anziehungspunkt. Unter der Leitung des Dresdners Hans Albert Mattausch entstand die "Kulturgemeinschaft Dachau-Ost", die Musik- und Literaturabende veranstaltete und 1950 in der Ziegler-Veranda einen Robert-Schumann-Abend gab.

Der interessantere Beitrag aber sind die Luftaufnahmen von 1956, die die Entwicklung der neuen Stadtteile Dachau-Süd und Dachau-Ost dokumentieren. Karl Hönle vom Verein "Zum Beispiel Dachau" betrachtete sie ausgiebig, denn der Verein arbeitet an einer Ausstellung über die Plantage des KZ Dachau, die im Januar 2014 gezeigt wird.

Ein wertvoller Schatz sind die Filme, die Heinz Bielmeier zur Verfügung stellt. Sein Vater Sepp Bielmeier hielt mit der Filmkamera sportliche Ereignisse in Dachau fest: das erste Dachauer Kreisjugendsportfest auf dem Sportplatz am Stadtwald und das große Radrennen zum Volksfest im August 1947. Das Ochsenrennen mit Platzkonzert der Stadtkapelle filmte Bielmeier sogar in Farbe. "Als Kinder schauten wir die Filme öfters an, wobei die Sportfilme die langweiligsten waren", berichtet Heinz Bielmeier. Heute kommt uns das Jugendskirennen spannend vor, auch weil es noch eine andere zeitgeschichtliche Bedeutung hat. Es ist die Klammer zum Wirtschaftswunder. Die Kleidung der Skifahrer spricht Bände: Sie sehen ärmlich aus, die Männer tragen schwere Wolljacken und Kniebundhosen. Anoraks gab es damals noch nicht. Erst als Maria Bogner, die Frau von Willy Bogner sen, Anfang der fünfziger Jahre in schmalen Keilhosen durch den Schnee kurvte, war die Skimode erfunden.

Zur selben Zeit rief der Dachauer Skipionier Hias Kern die erste Dachauer Kinderolympiade ins Leben, die 1952 in Breitenau begann und später in Etzenhausen und am "Monte Kienader", zuletzt in Achenkirch und Lenggries ausgetragen wurde, bis 1984 insgesamt 32 Mal, wie seine Tochter Traudl Kern-Ebner mitteilte. Hias Kern, der im Film zu sehen ist, war es auch, der die ersten Skikurse anbot und die Dachauer Skifahrer am Sonntag mit Bussen in die Berge kutschierte. "Eine Busfahrt mit Skikurs kostete zehn Mark", sagte eine ehemalige Teilnehmerin. Ihr Monatsverdienst in einer Münchner Anwaltskanzlei betrug 30 Mark.

Im Vergleich zu diesem Zeitdokument mögen einem die Wegmarken des Wirtschaftswunders in der gesamten Ausstellung fast etwas beliebig erscheinen: Ein Friseursalon mit Nierentisch-Spiegeln in den Bonbonfarben der 50er Jahre, Schlagermusik und Hildegard Knefs skandalöser Film "Die Sünderin". Zu Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft mit dem Ziel "Wohlstand für Alle" trugen aber auch Arbeitskämpfe und Streiks mit der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen bei: "Samstags gehört Vati mir". Deutschlands Sieg bei der Fußball-WM 1954, "das Wunder von Bern" ist schließlich das Synonym für die sich von nun an rasant verändernden gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse.

Die Ausstellung im Bezirksmuseum Dachau, Augsburger Straße 3, ist bis 15. September zu sehen: Dienstag bis Freitag jeweils 13 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag, 11 bis 17 Uhr. Am Dienstag 19. März, findet um 19.30 Uhr im Ludwig-Thoma-Haus in der wissenschaftliche Vortragsreihe der Stadt der Vortrag "Neubeginn nach 1945 und Wirtschaftswunder in Stadt und Landkreis Dachau" statt. Referent ist Helmut Beilner, ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Didaktik der Geschichte an der Universität Regensburg.

© SZ vom 11.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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