Bastelsport:1600 Gramm gegen Wind und Regen

Darius Mahmoudi trainiert den Nachwuchs im Modellfliegen. Auf Geschick, Kraft und genaue Naturbeobachtung kommt es an

Von Christiane Bracht

Lässig steht er da. Sonnenbrille auf der Nase. Den Blick gen Himmel gerichtet. In der Hand hält Cyrill Römer eine Fernsteuerung. "Schneller, hoch. Geschwindigkeit machen." Coach Darius Mahmoudi gibt die Kommandos. Er ist der Deutsche Meister im Modellfliegen und hat alles im Blick: das kleine Segelflugzeug, das hoch oben in der Luft schwebt, und was noch wichtiger ist, die Thermik. "Den Kreis fertig machen. Rechts rum. Hinten eng halten", ruft Mahmoudi seinem 13-jährigen Schützling zu. Cyrill Römer bewegt die zwei Hebel seiner Fernbedienung kaum merklich. Der Flieger dreht eine große Kurve am Himmel, zieht den Kreis dann enger. Langsam steigt das Modellflugzeug höher. "Der Bart steht", sagt der Coach. Der Bart? Ja, Mahmoudi trägt Bart, aber den hat er wohl kaum gemeint. "Der Flieger braucht Auftrieb und den bekommt er nur, wenn er die Thermik erwischt. Wir nennen das Bart", erklärt der 48-jährige Dachauer der irritiert dreinblickenden Reporterin lachend.

Die Welt der Modellflieger ist eigen. Das merkt man schon, wenn man den Flugplatz betritt. Er liegt auf einem sanften Hügel zwischen Glonn und Weichs und ist nur über einen schmalen Feldweg erreichbar. Die Sonne strahlt, die Vögel zwitschern. Und die Hektik des Alltags ist mit einem Mal weg. Alles ist auf die Flieger konzentriert, auf starten, landen und auf die Natur. "Wenn ich hier bin, kann ich 100 Prozent abschalten", sagt Mahmoudi. "Hier stört nichts. Und später komme ich mit einem Lächeln heim." Auch der 13-jährige Cyrill vergisst hier seinen "Schulstress". Seit vier Jahren kommt er regelmäßig mit seinem Vater zum Flugplatz. Dabei war er anfangs gar nicht begeistert: "Es war langweilig. Immer das Hin und Her der Flieger anschauen", sagt er. Aber dann durfte Cyrill selbst steuern, anfangs zu Hause am Flugsimulator, das gefiel ihm schon besser.

Bastelsport: Der 13-jährige Cyrill muss mit seinem Vater Rainer Römer den Segler gegen die Schwerkraft in die Luft bringen.

Der 13-jährige Cyrill muss mit seinem Vater Rainer Römer den Segler gegen die Schwerkraft in die Luft bringen.

(Foto: Toni Heigl)

Dann ließ er Styropor- und Holzflieger steigen - mit Motor und ohne. Vater Rainer Römer lehrte ihn, wie man mit der Fernsteuerung umgeht, verriet ihm Kniffe. Irgendwann imponierte ihm das Spiel mit der Thermik. Cyrill wechselte zu den Seglern und wurde immer besser. Dieses Jahr ist der Vierkirchener sogar in die Jugendnationalmannschaft aufgestiegen, als Jüngster. Zusammen mit dem 17-jährigen Jan Christoph Weihe aus Eichstätt und dem 16-jährigen Michael Kress aus der Nähe von Würzburg wird er im Sommer bei den Europameisterschaften in der Slowakei antreten. Er hofft, einen Platz unter den ersten fünf zu bekommen - in seiner Klasse F3J. In dieser kommt es nicht auf Geschwindigkeit und Weite an, sondern auf Präzision und Ausdauer. "Die Chancen sind gut", sagt Cyrill Römer selbstbewusst.

Zwei mal die Woche trainiert er für sein großes Ziel: Starts und Landungen sind das Wichtigste. Sie müssen sitzen, egal ob es fast windstill ist oder ein Orkan wütet. Denn in der Klasse F3J muss man seinen Flieger ganz präzise auf einer Zielscheibe landen können. Außerdem ist es wichtig, das Flugzeug zehn Minuten lang in der Luft zu halten - allein mit Hilfe der Flügelklappen und der Thermik. Einen Motor gibt es bei Seglern ja nicht. Wenn möglich kommt Cyrill auch am Wochenende mit dem Vater auf den Flugplatz, um den Bart zu erspüren. Vater und Sohn - sie sind ein eingespieltes Team. Das gemeinsame Hobby und der Erfolg hat sie zusammengeschweißt.

Bastelsport: Ulrich Blendermann und Rainer Römer (rechts) sind für das Modellfliegen auf dem Flugplatz in Indersdorf.

Ulrich Blendermann und Rainer Römer (rechts) sind für das Modellfliegen auf dem Flugplatz in Indersdorf.

(Foto: Toni Heigl)

Der Nachwuchs bei den Modellfliegern ist rar. Meist wird das Hobby von Generation zu Generation weitergegeben, sagt Mahmoudi. Obwohl er das beste Gegenbeispiel ist: Wie er zu den ferngesteuerten Fliegern kam, weiß er nicht mehr genau. Seine Eltern haben sich jedenfalls nie für dieses Hobby erwärmen können. Und seinen Sohn konnte er bisher auch nicht begeistern, den Teenager interessieren eher Drohnen. "Bei den Jugendlichen muss es schnell und laut sein. Das kommt besser an", sagt Mahmoudi etwas betrübt. Er setzt nun alle Hoffnung auf die fünfjährige Tochter. Ein Anfängerflugzeug hat er für sie schon.

Aber was macht den Reiz aus, stundenlang mit einer Fernbedienung in der Hand in der Landschaft herumzustehen? Sogar bei unwirschem Wetter oder Sturm. "Es ist der Kampf mit der Natur", erklärt Mahmoudi. "Man muss die Schwerkraft besiegen, um hoch zu kommen." Und das geht nur, "wenn man die Landschaft richtig lesen kann". Kein Lüftchen scheint sich an diesem Nachmittag zu rühren. Doch die Modellflieger finden ihren "Bart" dennoch. Aber wie? "Man muss die Blätter an den Bäumen genau beobachten, hören, ob sie rascheln", erklärt der Dachauer. "Oder wenn ich sehe, wo sich die Grashalme bewegen, weiß ich, dass der Bart drin steht." Auch Schwalben seien ein guter Anhaltspunkt. Um das an einem Nachmittag wie diesem zu sehen, braucht man wohl viel Übung. Das ungeschulte Auge sieht jedenfalls nichts dergleichen. Cyrill gibt zu: "90 Prozent ist ausprobieren." Zwei bis drei Flugzeuge sind ihm schon kaputt gegangen, gibt er zu. Einmal hatte er einen echten Sturzflug - Thermik nicht schnell genug "erschnüffelt". Und ehe er sich's versah, war die Schnauze "richtig in den Boden gerammt". Ein teurer Spaß, denn die Kohlefaser-Flieger kosten mehr als 2000 Euro, auch wenn sie nicht besonders groß sind. Die Spannweite ist gerade mal vier Meter. Selber bauen - "das geht nicht", sagt Mahmoudi. Die Segler müssen jedoch ultraleicht sein: 1600 Gramm wiegen sie. Ist der Wind sehr stark kann man noch Gewicht drauf laden, indem man den Corpus verlängert. Bis zu 2,2 Kilogramm Gewicht können sie erreichen.

Bastelsport: Der Nachwuchs-Modellflieger hat es schon drauf, aber wie in jedem Sport kommt es auf das Training an.

Der Nachwuchs-Modellflieger hat es schon drauf, aber wie in jedem Sport kommt es auf das Training an.

(Foto: Toni Heigl)

Der Coach wirft Cyrill einen orangenen Teller hin. "Jetzt landen." In einem großen Bogen fliegt der Segler hinab. Mit einer winzigen Fingerbewegung fährt der Teenager die Wölbklappen der Flügel herunter. Es pfeift. "Nicht groß abbremsen. Einfahren lassen", moniert Mahmoudi. Cyrill geht in die Knie. Der Segler rast im Sinkflug auf ihn zu. Rumms. Das Flugzeug bleibt schließlich mit der Schnauze im Boden stecken. "Nein!" Der Segler ist eindeutig zu weit vom Teller weg. Cyrill wirft sich auf den Boden. Der Ärger ist groß. Zum Glück war es nur ein Training. Neuer Versuch: Mahmoudi holt das Nylonseil, um es am Bauch des Fliegers festzumachen.

Wer glaubt, Modellfliegen ist eine einsame Sache, der irrt: Es ist Teamarbeit und es ist Sport. Denn das Flugzeug muss in die Höhe gezogen werden. Cyrills Vater, Rainer Römer, und Ulrich Blendermann sind schon startbereit. Sie halten das "Bullenjoch" in den Händen. Es sieht aus wie eine überdimensionale Flügelschraube, an die das andere Ende des etwa 150 Meter langen Seils gebunden ist. Die beiden Männer müssen viel Kraft aufwenden, allein um das Seil zu halten, denn vor dem Start wird es stark gedehnt. Mahmoudi gibt das Signal und sie laufen los, so schnell sie nur können. Keine leichte Sache. Der Boden ist nass und rutschig und der Druck des gedehnten Seils lastet mit bis zu 120 Kilogramm schwer auf ihnen. Zack. Nur Sekunden später hat sich der Segler losgemacht, steigt steil hinauf in den blauen Himmel. Rainer Römer dagegen fällt zu Boden, rappelt sich wieder auf. Die Männer sind außer Atem, schwitzen. "An einem Tag kann man so schon um die 15 Kilometer laufen", erklärt Römer.

Bastelsport: Cyrill muss den Modellflieger punktgenau landen.

Cyrill muss den Modellflieger punktgenau landen.

(Foto: Toni Heigl)

Cyrill kreist seinen Flieger wieder hoch konzentriert. "Bei so schönem Wetter zu fliegen, ist keine Kunst. Heute sind ja Laborbedingungen", sagt Mahmoudi großspurig. "Die wahre Herausforderung sind Wind und Regen." Denn Wettkämpfe finden nicht nur bei strahlendem Sonnenschein statt. Der Meister nutzt jede freie Minute zum Training, besonders die schlechten Tage, wenn andere sich zu Hause verkriechen. Im vergangenen Jahr hat ihn das Wettkampffieber gepackt. Beruflich hatte sich der Softwarespezialist ein Jahr Pause gegönnt und deshalb Zeit, sich mit den besten Piloten Europas zu messen. Insgesamt gibt es etwa 400, die in dieser Klasse fliegen. Bei dem entscheidenden Wettkampf im September war "das Glück war auf meiner Seite", sagt Mahmoudi bescheiden. "Die Weltelite war da." Doch die Profis waren zu wagemutig. "Sie haben sich verzockt", lacht der Dachauer. Er konnte seinen Flieger länger in der Luft halten und mit einer sauberen Landung punkten. Ob er dieses Jahr seinen Titel verteidigen kann? "Da muss schon viel Gutes passieren, dass das noch mal klappt", sagt er zweifelnd. Versuchen will er es aber.

Als Mahmoudi und Rainer Römer 2006 an ihrem ersten Wettkampf für die MFI (Modellflug-Interessengemeinschaft Markt Indersdorf) teilnahmen, sah die Sache noch anders aus: "Wir konnten unsere Flieger gerade mal zwei Minuten in der Luft halten", erinnert sich Mahmoudi. Deshalb nannten sie sich "Die Unglaublichen". Sie wurden belächelt. Aber die anderen Piloten hätten auch Mitleid gehabt und ihnen viel beigebracht, erzählt Mahmoudi. Heute sind "Die Unglaublichen" eine ernstzunehmende Konkurrenz. Und noch dazu: "Einer der größten und professionellsten Clubs Deutschlands", versichert Mahmoudi stolz. Von rund 120 aktiven Piloten in Deutschland, die in der Klasse F3J fliegen, sind allein 16 bei den "Unglaublichen", darunter Cyrill.

Der 13-Jährige ist wieder in die Knie gegangen, den Blick starr auf das herabsinkende Flugzeug gerichtet. Dieses Mal soll die Landung besser werden. Rumms. Getroffen. Der Segler landet auf dem Teller. "100 Punkte", ruft der Vater. Cyrill jubelt. Der Coach strahlt. Die Jugend trainieren, das ist sein zweites Hobby.

Aber reizt es einen Mann wie Mahmoudi, der so viele Jahre Modellflugzeuge hat steigen lassen und sich mit der Thermik bestens auskennt, nicht auch einmal, in einen echten Segelflieger zu steigen und die Welt von oben zu sehen? "Nein", sagt er entschieden. "Ich habe Angst, dass ich dann nicht mehr aussteige." Gleitschirmfliegen habe er sehr gerne gemacht, erzählt er. Auch Fallschirmspringen. Seine Augen leuchten. "Aber mit Kindern geht das nicht mehr."

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