Dachau:650 Besucher finden beim Barockpicknick Zusammenhalt

Die Veranstaltung im Dachauer Hofgarten steht unter dem Eindruck des Amoklaufs in München.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Das Barockpicknick im Hofgarten des Dachauer Schlosses steht eigentlich jedes Jahr für ein fröhliches, unbeschwertes sommerliches Familienfest mit Tupperware und Silberleuchter, mit feiernden, lachenden und flanierenden Besuchern, die jeden Winkel unter Apfelbäumen und zwischen Rosenrabatten ausfüllen. Am Samstag war alles anders, ruhiger. Die Stimmung gedämpfter, die Unterhaltungen leiser, die Musik nachdenklicher. 650 Besucher statt der sonst üblichen 2000 saßen oder lagerten grüppchen- oder paarweise auf den Wiesen, so als würden sie nach dem Münchner Amoklauf vom Freitag ein wenig enger zusammenrücken wollen, Nähe suchen und wenigstens einen Abend lang finden wollen. Die Stadt hatte sich entschlossen, das Barockpicknick nicht ausfallen zu lassen. Darauf hatten sich Oberbürgermeister Florian Hartmann, Bürgermeister Kai Kühnel und Kulturamtsleiter Tobias Schneider geeinigt.

OB Hartmann

Die Worte haben so oder ähnlich in den vergangenen Wochen viel zu oft gesprochen worden müssen. "Wir sind alle schockiert und entsetzt. Unsere Gedanke und unser Mitgefühl sind bei den Opfern, ihren Familien und Freunden", sagte Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und bat die Barockpicknick-Besucher um eine stille Minute des Gedenkens an die Toten und Verletzten, die der Amoklauf eines jungen Mannes am frühen Freitagabend gefordert hat. Schweigen legte sich über den Hofgarten. Das Sunshine String Quartett spielte Johann Sebastian Bachs "Jesus bleibet meine Freude". Die Auswahl war würdig und tröstlich.

Barockpicknick 2016

Eine verhalten gedämpfte Atmosphäre prägte das Barockpicknick im Dachauer Hofgarten.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Absagen oder nicht? Das hatten die Stadtverwaltung den gesamten Samstagvormittag diskutiert, sagte ein sichtlich bewegter Oberbürgermeister im Gespräch mit der SZ. "Das Barockpicknick ist keine Party, kein Event. Deshalb haben wir entschieden, sie stattfinden zu lassen." Die Gedenkminute und die vielen Kerze verstand er als "unser Zeichen des Mitgefühls". Außerdem wollte er keine "Wir lassen uns keine-Angst-machen"-Veranstaltung.

Lisa Wahlandt

Die Jazzsängerin, ihre Band und das Sunshine String Quartett brachten auf ihre Weise ihre Gefühle zum Ausdruck. "John Lennon hatte einen Traum von einer friedlichen Welt. Wir haben gestern gesehen, dass das ein Wunsch bleibt. Wir singen jetzt einfach "Imagine", sagte Lisa Wahlandt. Und gab damit den Takt des Abends vor. Klassisches wird modern interpretiert, Händels "Ombra mai fu", in dem der Perserkönig Xerxes eine Platane ansingt, ist zum Heulen schön. Galt doch der Baum im Altertum als Symbol für das Goldene Zeitalter. Viele Beatles-Songs weckten auch so was wie die Erinnerung an unbeschwerte Zeiten. Nichts Grelles, nichts Lautes wählten die Musiker fürs Barockpicknick aus. Sie konzentrierten sich einfach auf schöne, stimmungsvolle Musik, die beim Publikum ankommt.

Barockpicknick 2016

Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD).

(Foto: Niels P. Joergensen)

Yesterday

Den melancholischen Beatles-Song "Yesterday" sang Lisa Wahlandt irgendwann an diesem speziellen Barockpicknick-Abend. Gestern. Das war die Schockstarre nach dem Münchner Amoklauf. Heute. Eine Zuhörerin arbeitet im Münchner Krankenhaus Dritter Orden. Sie hatte das Freitagsgeschehen hautnah miterlebt hat, den Katastrophenalarm, die Ungewissheit, die Anspannung von Ärzten und Pflegepersonal. "Ich hatte das Gefühl, ich bin im falschen Film", erzählt sie. Und dass in der "Klinikfamilie" jeder dem anderen Halt gegeben hat. Dann ging sie auf Oberbürgermeister Hartmann zu. "Danke für die Gedenkminute. Das hat die letzten 24 Stunden für mich zum Abschluss gebracht." Sie drückte ihm die Hand.

Der Schlossherr

Stephan Müller, seit knapp einem Jahr Leiter der Dachauer Schlossverwaltung und oberster Hofgärtner, stand am Eingang. Niemand trampelte durch die in sommerlicher Herrlichkeit vor sich hinblühenden Staudenbeete. Eine Frau fotografierte selbstvergessen die in der Dämmerung schon fast verschwimmenden Rosen. Ein paar Kinder nutzen die Kieswege für ihr ganz privates "Fang mich doch-Spiel". Was aber ist mit den Zeltpavillons und Strandmuscheln, die heuer auffällig oft als persönliche Wetterschutzmaßnahme aufgebaut worden sind? "Eigentlich sind sie nicht erwünscht. Aber ich sehe heute Abend drüber weg", sagte Müller diplomatisch. Sonnensegel an den Bäumen gehen jedoch gar nicht: "Da habe ich schon darauf hingewiesen, dass Äste abbrechen können. Das wäre doch schade um die schönen Äpfel."

Barockpicknick 2016

Besucher des Barockpicknicks.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Zwiespalt

Friedlich. Das Wort hört man an diesem Abend oft. "Es ist so schön hier. Ich freue mich das ganze Jahr auf das Barockpicknick", sagte eine Frau. Sie hielt ein edles Rotweinglas mit einem mindestens so edlen Tropfen drin in der Hand und blickt sich um. Sie habe sehr gehofft, dass die Stadt die Veranstaltung nicht absage, erzählte sie. "Ich bin da schon zwiespältig. Aber wenn ich hierhin gehe, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht daran denke, was in München oder sonst überall passiert. Attentate oder Terror bringen alles in Aufruhr. Ich brauche auch den anderen Teil des Lebens."

Hassan und Mohammad

Die zwei jungen Männer konnten gar nicht aufhören, sich und den Hofgarten zu fotografieren. Eine Fotopause gab es nur, wenn sie an der Brüstung die Aussicht auf die Landeshauptstadt bewunderten. Es war ihr erster Ausflug in die deutsche Kulturwelt. Hassan ist aus dem Irak geflüchtet, sein Freund Mohammad aus Somalia. Sie leben in der Containersiedlung in Altomünster. Die Bäume, die Blumen, die Musik, alles wurde ausgiebig kommentiert. Doch das Schönste war: "So viele Menschen, mit denen wir Deutsch sprechen können. Das ist besser als ein Deutschkurs", sagte Mohammad und würde am liebsten jeden einzelnen umarmen.

Barockpicknick 2016

Sängerin Lisa Wahlandt.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Feuerwehr und Security

"Das ist heute Entspannung pur", sagte ein junger Mann von der Freiwilligen Feuerwehr. Man sieht es ihm und seinen Kollegen an. Fast gemächlich schlendern sie über die Wiesen und Wege - und haben doch alles fest im Blick. "Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier", stellte der Brandschützer noch fest. Auch die Damen und Herren der Security freuten sich, dass sie angesichts der für Barockpicknick-Verhältnisse überschaubaren Besucherzahl immer mal wieder Zeit für einen kleinen Plausch fanden.

Die Venezianer

Es sei noch längst nicht ihr schönstes Kleid, sagte eine höfisch gewandete Dame. Dabei sticht ihre Aufmachung sofort ins Auge: edler Stoff, viel Spitze, ein ausladender Hut und ein Trumm von Sonnen(!)-Schirm. Die Münchner Gruppe "Venezianer" speiste und trank von noblem Porzellan, Leuchter und Etagère aus Silber inklusive. "Ich habe zwanzig Jahre im OEZ gearbeitet", sagte eine der Frauen, die ihren Namen nicht nennen will. "Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute ist?" Wie so viele andere hatte sie Freitagnacht pausenlos mit Kollegen, Freunden und Bekannten telefoniert, um sich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit waren. Dann lächelte sie ein wenig und sagte: "Wir haben allen Grund zu feiern, dass wir nicht dabei waren. Und auch wenn es blöde klingt: Dass es ein Amoklauf war, verarbeite ich schneller als ein Attentat."

Regenschirme

Regenschirme in allen Formen und Farben sind die bevorzugte Wiesen- und Baumdeko am Samstagabend. Fast schien es so, als hätten Madame Emery und ihre Tochter Geneviève, zwei Protagonistinnen des Filmklassikers "Die Regenschirme von Cherbourg", ihr Sortiment auf der Hofgartenwiese präsentiert. Doch die Schirme hatten einen ganz praktischen Zweck: Gegen 22 Uhr trieben heftiger Regen, Donner und Blitz auch den ausdauerndsten Besucher nach Hause. Das Barockpicknick endete vorzeitig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: