Ausstellung:Verwurzelt im Dachauer Land

Die Gemäldegalerie Dachau zeigt im Rahmen der Museumskooperation "Landpartie" Bäume in der Kunst: auf Gemälden, Fotos, in Skulpturen

Von Christiane Bracht

Was macht Dachaus Identität aus? "Die Künstlerkolonie und die Landschaft des Dachauer Mooses", sagt die Geschäftsleiterin der Gemäldegalerie, Elisabeth Boser, ohne lange nachzudenken. Der Baum kam ihr nicht sofort in den Sinn, aber sie hat sich an das Thema herangepirscht: Alleen, Moorlandschaft mit Birken, eine Silberweide an der Amperbrücke oder einfach Obstbaumwiesen - Bäume sind ein häufiges Motiv im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20 Jahrhunderts. Die Künstler, die zum Malen ins Dachauer Land kamen, wählten immer wieder die gleichen Motive. Böse Zungen behaupten gar, sie hätten Schlange gestanden, um Kühe und Bäume zu malen. So war die Münchner Allee in Dachau ein ebenso beliebtes Motiv wie die Mitterndorfer Brücke oder der Schleißheimer Kanal. Die Künstler malten zu allen Jahreszeiten: blühende Obstbäume, sattes Sommergrün, leuchtendes Herbstlaub und die sanften Schattierungen einer verschneiten Winterlandschaft. Anders als etwa bei Caspar David Friedrich wollten die Maler der Dachauer Künstlerkolonie nicht die Göttlichkeit im Wirken der Natur zeigen, sie wollten einfach nur darstellen, was sie sahen.

Der Baum

Bäume sind ein Hauptmotiv bei den Malern der Künstlerkolonie.

(Foto: Niels P. Joergensen)

An diesem Donnerstag, 17. Mai, eröffnet die neue Sonderausstellung in der Gemäldegalerie mit "Baum-Bildern". Es sind vor allem Impressionen aus längst vergangenen Tagen: idyllisch und eindrucksvoll. Die Ausstellung ist Teil der sogenannten Landpartie. Unter diesem Namen haben sich zehn Museen aus dem Münchner Umland zusammengeschlossen und veranstalten seit 1996 Ausstellungsreihen. Dies ist die sechste. Das Thema: Identitäten. Die Gemäldegalerie kooperiert dieses Mal mit dem Museum in Fürstenfeldbruck. Während in Dachau die Bäume im Fokus stehen, kreist in Fürstenfeldbruck alles um den Wald. Dort reicht das Repertoire vom "Heiligen Hieronymus", Ende des 17. Jahrhunderts vom holländischen Maler Adriaen van de Velde auf die Leinwand gebannt, über Werke von Carl Spitzweg und Gabriele Münter bis hin zu Gerhard Richter. Das Fürstenfeldbrucker Museum hat sich der Historie der bildlichen Darstellung angenommen und der historischen Bedeutung des Waldes. In Dachau dagegen liegt wie immer der Schwerpunkt auf den Gemälden der Künstlerkolonie und der Landschaft des Dachauer Mooses.

Ergänzt wird die Ausstellung durch Fotografien, Holzskulpturen und Zeichnungen moderner Künstler, die allerdings mit dem Dachauer Moos nichts zu tun haben. Man könnte sagen, es dreht sich alles um den Baum in der Kunst, in seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Im Fokus steht die Zeit von 1870 bis 1950. Für den Besucher gibt es auch eine kleine Lehrstunde, denn unter einigen Gemälden liegen Scheiben verschiedener Baumstämme. So kann man sehen und ertasten, was der Unterschied zwischen einem Walnussbaum, einer Birne oder Rosskastanie im Vergleich zu einer Buche, Pappel oder Linde ist. Fragt man Boser, was sie mit ihrer Ausstellung erreichen oder zeigen will, sagt sie: "Dass man mit wachen Augen durch die Natur geht und sich die Bäume anschaut." Sie selbst achte nun viel mehr darauf, seit sie sich mit dem Thema intensiv beschäftigt.

Der Baum

Elisabeth Boser zeigt die Vielfältigkeit des Themas Baum, das auch bei dieser Skulptur im Mittelpunkt steht.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Ausstellung beginnt im Frühling mit einem Bild mit weißblühenden Obstbäumen von Henry Niestlé: Pferde grasen, im Hintergrund, quasi umrahmt von den Bäumen, der malerische Hügel der Dachauer Altstadt. Eine ruhige Idylle, ein strahlender Frühlingstag um 1930, mit groben Strichen auf die Leinwand skizziert. Alles wirkt weit weg von heutiger Hektik, von Verkehrsproblemen und Parkplatznot. Ebenso pittoresk ist das Blumen pflückende Mädchen von Bernhard Buttersack, ein Gemälde aus dem Jahr 1909. Sie spaziert anmutig über die Wiese, die von Silberpappeln umsäumt ist. Oder die Rast einer Reiterin um 1910 von Hans von Hayek. Die junge Frau in damaliger Mode mit Hut, weißer Bluse und langem Rock steht neben ihrem Pferd. Die Bäume spenden Schatten.

Kraftvoll und beeindruckend ist der junge Stier von 1880, der sich wild und ungestüm an einer abgestorbenen, knorrigen Weide reibt. Die unterschwellige Aggression ist spürbar, ein Unwetter scheint aufzuziehen. Die Wolken drängen sich über dem Geschehen, färben sich bereits an manchen Stellen dunkel. Das Fell am Kopf des Tiers ist wild, zerzaust. Ein besonderer Moment, den Viktor Weishaupt in seinem Gemälde festgehalten hat.

Im Gegensatz dazu steht Carl Olof Petersens flache Landschaft mit Bäumen, weniger impressionistisch, als vielmehr symbolistisch. Die Bäume sind dünn, ja spirrelig und restlos kahl - sehr fein gemalt. Die Landschaft braun, leblos ein bisschen wie im Winter. Im Hintergrund, orangehell gelblich angestrahlt, sind glitzernde Wasserflächen zu erkennen. Eine Totenstimmung. Memento mori. Dann wieder eine Allee im herbstlichen Nebel, die Münchner Straße um 1890. Ein einsamer Ochsenwagen auf breiter Straße in zartes Licht getaucht, der langsam voran trottet. Auf den Wiesen daneben sind große Pfützen, in denen sich das Licht spiegelt. So war es wohl einmal im Dachauer Moos, auf einer Straße, die heute eine Hauptverkehrsader ist. Von der Allee ist nichts übrig, nur vereinzelt stehen heute Bäume zwischen den Parkbuchten. Und auch wenn man in der Gemäldegalerie das Gefühl hat, in eine ruhige andere Welt einzutauchen, in die Schönheit vergangener Tage, als alles noch so intakt schien, so verwundert, dass auch schon damals sich einige Künstler für den Erhalt der Natur einsetzten.

Der Baum

Gemäldegalerie-Chefin Elisabeth Boser vor dem Bild "Auf dem Lande" von Franz Skarbina.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Ein Brief von Adolf Hölzel, Alfred von Schrötter, Richard Luksch und einigen anderen an den Amperboten zeigt dies eindrucksvoll: "Das Erhalten der vorhandenen Schönheiten Dachaus ist für dessen malerischen Ruf nach außen von besonderer Wichtigkeit", schreiben sie im April 1900. "Wir haben uns darum an eine hochlöbliche Gemeindevertretung gewendet und sie ersucht, namentlich in Bezug auf das Fällen besonders malerischer Bäume, wie bei Neuanpflanzungen thunlichst darauf Rücksicht zu nehmen, daß das malerische Studium, nicht zu sehr erschwert, oder auf die Dauer unmöglich gemacht wird." Betrachtet man den Antrag aus heutiger Sicht, so muss man leider feststellen: Viel Erfolg hatten die Künstler nicht. Die Lieblingsbäume der Künstlerkolonie, die idyllische Mooslandschaft und schönen Alleen - sie stehen alle nicht mehr.

Auch der moderne Aspekt fehlt nicht: Großformatige Fotografien von Ulrich Schmitt zeigen gigantische Baumriesen, Buchen im Märchenwald von Kassel, die teils aber auch schon vom sauren Regen der 1990er-Jahre zerstört sind. Beeindruckend sind zudem die Baumzeichnungen von Alois Habeck. Betrachtet man seine Werke länger, kann man Gesichter erkennen oder menschliche Figuren, aber auch erotische Aspekte, und das ist kein Zufall. "Bäume sind eben ein spannendes Thema", findet Boser inzwischen.

Verstreut stehen auch die Holzskulpturen von Martin Kargruber zwischen den Gemälden. Aus unbehandelten Holzstämmen hat er in einem Stück Häuser oder einen Sendemasten geschnitten, teils grob, doch meist gibt es auch einen sehr feingliedrigen Aspekt - etwa einen Baum, der sich um ein Haus rankt, oder einen Menschen, der im Eingang steht.

Auch seine Werke sind faszinierend und sicher ein Teil von "Bäumen in der Kunst", doch der Bezug zu Dachau, dem Moos und seinen Künstlern ist nicht so recht ersichtlich. Zudem sind die modernen Werke, anders als die der klassischen Moderne, keine Gemälde, auch das wirkt etwas irritierend. Unter dem Blickwinkel der Identität wäre es passender gewesen, nicht Künstler aus München heranzuziehen, sondern beispielsweise welche von der Künstlervereinigung Dachau. Oder solche, die sich der Dachauer Landschaft in irgendeiner Form angenommen haben. Selbst wenn der Baum heute vielleicht nicht mehr so das zentrale Motiv ist wie seinerzeit, wäre auch diese Form der Veränderung eine klare, richtungsweisende Aussage zur neuen Identität der Dachauer. Die Zeit der Künstlerkolonie ist gut und wichtig, aber nur darin zu verharren ohne über den Tellerrand zu schauen, nimmt der Sonderausstellung ein wenig die Würze. Anders als in der Dauerausstellung könnte man gerade hier Mut beweisen und zu neuen Ufern aufbrechen.

Die erste Führung durch die neue Ausstellung "Baum-Bilder" in der Gemäldegalerie Dachau findet am Sonntag, 20. Mai, von 14 bis 15 Uhr statt. Die Teilnahme kostet drei Euro zuzüglich Eintritt. Die Ausstellung ist bis 16. September zu sehen.

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