Außergewöhnliche Interpretationen:Molto moderato

Erst im dritten Teil der "Carmina Burana" von Carl Orff, in dem es um die Liebe geht, lösen sich Dirigent Joseph Rast und das Blasorchester Wittelsbacher Land von den langsamen Tempi, die sogar Ravels Bolero beim Schlosskonzert in Tandern prägen

Von Adolf Karl Gottwald, Tandern

"Hektik" ist ein Fremdwort, es bedeutet soviel wie "fieberhafte Aufregung, nervöses Getriebe". Den Aichachern, jedenfalls dem "Kammerchor St. Sebastian, Aichach" und dem "Blasorchester Wittelsbacher Land" unter der Leitung von Joseph Rast ist der durch dieses Wort bezeichnete Zustand besonders fremd. Hier ist man noch altbairisch gemütlich, hier heißt es noch "Zeit lassen!", "Es pressiert nichts.", Nur mit der Ruhe!", "Ja nicht hetzen!", "Uns läuft nichts davon". Diese beiden Ensembles gestalteten im Wesentlichen das 4. Sommerkonzert im Schloss Tandern in aller Ruhe und Gelassenheit.

Außergewöhnliche Interpretationen: Bariton Johannes Kammler überzeugte gesanglich mit starker, weil deutlicher Artikulation.

Bariton Johannes Kammler überzeugte gesanglich mit starker, weil deutlicher Artikulation.

(Foto: Toni Heigl)

Das Konzert begann mit dem berühmten Bolero von Maurice Ravel in einer Fassung für Blasorchester. Zunächst wusste man als Zuhörer nicht so recht, ob das, was zu hören war, schon gilt. Man hörte ein paar Fagott-Tupfer (Tonandeutungen) im Pianissimo, dazu eine einsame Flöte, deren Töne sogleich gen Himmel schwebten. Aber Joseph Rast hatte schon mit dem Taktieren begonnen, also war das der offizielle Anfang von Ravels Bolero in einem nicht durchwegs geglückten Arrangement. Das lag aber nicht am Blasorchester Wittelsbacher Land; denn "das überzeugt stets durch erstklassige musikalische Darbietungen". So steht das auf dem Programm-Flyer, und dem wollen wir auf keinen Fall widersprechen. Ravels "Bolero", der natürlich nach und nach an Klangvolumen gewann - wie von Maurice Ravel selbst vorgesehen - strahlte in dem herrlichen Ambiente und der wunderbaren Atmosphäre des Schlosshofes eine sonst nirgends erreichbare Ruhe.

Außergewöhnliche Interpretationen: Schulkinder aus der Gemeinde Hilgertshausen-Tandern ergänzen den Kammerchor Sankt Sebastian Aichach und das Wittelsbacher Land Orchester.

Schulkinder aus der Gemeinde Hilgertshausen-Tandern ergänzen den Kammerchor Sankt Sebastian Aichach und das Wittelsbacher Land Orchester.

(Foto: Toni Heigl)

Die Hektik ist keine Erfindung des 20. und 21. Jahrhunderts, schon bei Goethe heißt es in dem Gedicht "Rastlose Liebe" (vom Mai 1776): "Dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen/ Immer zu! Immer zu! Ohne Rast und Ruh!" Im Schlosshof von Tandern musizierte man - Gottlob nicht dem Regen, dem Wind entgegen - mit Rast und Ruh. Die Rast nach dem Bolero, dessen Schlusssteigerung man sonst aufgeregter, geradezu erotisch aufgeladen kennt, war besonders groß. Eine Dreiviertelstunde lang dauerte sie, damit die Konzertbesucher ihre Wurstsemmel in aller Ruhe genießen konnten. Die Leitmotive der "Zukunft Tandern" lauten schließlich: "Ambiente - Kultur - Kunst - Genuss".

Außergewöhnliche Interpretationen: Joseph Rast leitet die Aufführung der Carmina Burana im Hof des Tanderner Schlosses.

Joseph Rast leitet die Aufführung der Carmina Burana im Hof des Tanderner Schlosses.

(Foto: Toni Heigl)

Nach der von einem lustigen Messer-und-Gabel- Schlagwerk oder fast besser gesagt einem mit Besteck und Tellern ausgeführten Tischballett (Daniel Reisner) eingeleiteten großen Genuss-Pause kehrte das Publikum zurück zur Kunst, zu den "Carmina burana" von Carl Orff in einer Fassung für Singstimmen, Chöre und Blasorchester. Mehr als 150 Mitwirkende - Solisten, Sängerinnen und Sänger im Chor, ein Kinderchor und die Bläser des Blasorchesters - standen für das populärste Werk von Carl Orff bereit. Von der bei Ravels "Bolero" gewonnenen Ruhe ließ man sich auch bei den "Carmina burana" nicht abbringen. Das Orchester spielte wie beim Bolero alles absolut sauber und akkurat, und der Chor sang und akzentuierte so deutlich, dass die Zuhörer, die des Lateinischen mächtig waren, jedes Wort verstehen konnten. Bei der Gemächlichkeit, mit der Orffs "Carmina burana" in ruhigen Celibidache-Tempi ausgebreitet wurden, konnte man aber auch schöne Details der Komposition entdecken, die im Rausch einer zügigen Aufführung untergehen.

Sehr gut sang der junge Bariton Johannes Kammler seine Soli - auch er bei vorbildlicher Textverständlichkeit. Reizend gestaltete Wolfgang Antesberger den gebratenen Schwan, und Elisabeth Maria Wachutka (hoher Sopran) glänzte in den Liebesszenen zum Abschluss der eigentlich sehr weltlichen Gesänge. Mit frischen, sehr hellen Stimmen sang der Kinderchor Aichach, bei dem zahlreiche Kinder der Gemeinde Hilgertshausen-Tandern mitwirken, den kindlichen, aber sehr gefährlichen Amor, der überall herumschwirrt: "Amor volat undique." Die entscheidende Szene zwischen "Puer und puellula" (Junger Mann und junge Frau) allein in einer "cellula" (einer kleinen Kammer) gestaltete Alois Kammerl, der Leiter des über 80 Stimmen großen Kammerchors Aichach, mit ausgewählten Männern seines Chors und Johannes Kammler .

Im dritten Teil der "Carmina burana", dort wo es um die Liebe geht, und die ist hier textlich und musikalisch sehr heiß - kam auch Schwung in die Aufführung. Joseph Rast, der bis dahin die "Carmina burana" wie vorher Ravels "Bolero" molto moderato dirigiert hatte, gelang eine Schlusssteigerung, die das dankbare Publikum, das vorher schon jede Nummer und jedes Solo mit einem kleinen Sonderapplaus bedacht hatte, zu stürmischem Beifall hinriss. Anschließend spielte die originelle Musikergruppe Tanderner Saitentratzer und begeisterte das Publikum wie jedes Jahr aufs Neue. Franz Schubert hat übrigens nicht nur Goethes "Rastlose Liebe" vertont, er hat auch einen sehr schönen Chor geschrieben: "Ruhe, schönstes Glück auf Erden".

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