Amtsgericht:Unzureichende Beweise

Schöffengericht spricht 27-Jährigen frei, der sich wegen Vergewaltigung und Körperverletzung verantworten muss

Von Daniela Gorgs, Dachau

Die Hauptzeugin der Anklage erscheint auch dieses Mal nicht zum Prozess. Dennoch bekommt das Schöffengericht in Dachau sie zu sehen. Es wird eine DVD abgespielt, die die gesamte richterliche Vernehmung aus dem Jahr 2015 abbildet. Eine Stunde und zehn Minuten spricht die junge Frau über ihr traumatisches Erlebnis. Vor fünfeinhalb Jahren soll die damals 14-Jährige von einem 22-Jährigen vergewaltigt worden sein. Der Mann, heute 27 Jahre alt, muss sich wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung vor dem Schöffengericht verantworten.

Am ersten Verhandlungstag stritt er die Vorwürfe ab. Jetzt hört er sich an, was das Mädchen in einer Nacht im März 2012 in Dachau seinetwegen durchmachte. Mit zarter Stimme berichtet sie einer Ermittlungsrichterin unter Tränen, wie der 27-Jährige sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen hat. Sie spricht sehr leise, stockt immer wieder. Auf Nachfrage der Richterin, wie sie sich gewehrt habe, antwortet sie zögerlich. Sie habe ihn "mal weggedrückt", sich "ein bisschen" gewehrt. Ihre Arme sind verschränkt, während sie das erzählt. Die junge Frau wirkt ängstlich. Ihre Abwehr, das Geschehene zu verarbeiten, ist stark. Das sagte ihr Jugendpsychotherapeut dem Gericht in der ersten Verhandlung: "Sie empfindet Scham, wenn sie zu dem Vorfall befragt wird."

Die 14-Jährige war kurz vor dem Vorfall aus einer Jugendeinrichtung weggelaufen. Sie schloss sich der Münchner Punkszene an, zu der auch der Angeklagte gehörte. Die Gruppe traf sich am Marienhof oder an der Thalkirchner Brücke und verbrachte den Tag gemeinsam. Man hing ab, rauchte Zigaretten und trank Bier. Mitunter bis zu einem Kasten, berichtete der Angeklagte über sein eigenes Trinkverhalten damals. Die Jugendlichen redeten sich mit Spitznamen an und halfen einander. So berichteten es mehrere Zeugen. Niemand aber wusste von dem Vorfall zwischen der 14-Jährigen und dem Angeklagten. "Wir hätten eingegriffen, wenn es etwas Schlimmeres gewesen wäre", sagte eine Zeugin, die über das Leben in dieser Gruppe berichten soll. In der Vernehmung mit der Richterin beschreibt die junge Frau ihre Angst, den Vorfall publik zu machen. Der Mann sei in der Gruppe beliebt gewesen, "alle mochten ihn".

Die 14-Jährige war an dem Abend auf Schlafplatzsuche und fragte auch den Angeklagten, der sie mit nach Dachau nahm.

Amtsrichter kritisiert die Arbeit der Ermittler

Erst drei Jahre später erzählte sie ihrem damaligen Freund über die erlebte Vergewaltigung. Der Freund war schockiert und begleitete sie zur Polizei. Die junge Frau erstattete Anzeige. In der richterlichen Vernehmung versucht sie den Weg vom Bahnhof zur Wohnung des Angeklagten zu beschreiben. Sie könne sich kaum erinnern, sie sei betrunken gewesen, sagt sie. Der Angeklagte wohnte damals mit weiteren Mietparteien in einem Haus für Obdachlose.

Der Vorsitzende Richter Lukas Neubeck fasst die bisherigen Ergebnisse des Verfahrens zusammen und klingt unzufrieden. Neubeck beklagt, dass sich die Ermittler vor drei Jahren nicht die Wohnsituation des Angeklagten angesehen hätten. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Bewohner befragt worden wären. Man hätte überprüfen können, wie hellhörig das Haus sei. Weitere Zeugen aus der Punkszene hätten befragt werden müssen. "Das jetzt fünfeinhalb Jahren später aufklären zu wollen, ist schwierig", sagt der Richter. Die junge Frau habe in der Ermittlungsvernehmung trotz mehrmaliger Nachfragen zudem nur sehr vage geschildert, wie der Angeklagte Gewalt anwandte, um sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. Die Tat sei nicht nachzuweisen. Das Schöffengericht spricht den 27-Jährigen frei.

Die Staatsanwältin plädierte zuvor ebenfalls auf Freispruch. Sie war der Ansicht, dass sich der Vorfall so zugetragen habe, wie es in der Anklageschrift beschrieben ist. Die Aussage des Opfers hielt sie für "glaubhaft". Und doch: "Für eine Verurteilung reicht das nicht aus." Für die Verteidigerin indes bestanden keine Zweifel an der Unschuld ihres Mandanten. Sie sprach von einer typischen Tat, die oft vorgetäuscht werde. Es gebe nur das Opfer als Zeugin, sonst niemanden.

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