Amtsgericht Dachau:Wenn die Verhandlung zur Farce wird

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Richter muss Verfahren zu einem brutalen Raubüberfall einstellen, weil alle Beteiligten auf einmal Gedächtnislücken haben.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Raub, gefährliche Körperverletzung, Nötigung: Die Vorwürfe, die zwei Männern vor dem Dachauer Amtsgericht gemacht wurden, waren erheblich. Für einen der Angeklagten, einen 29-jährigen Dachauer, ging es um nicht weniger als seine Freiheit. Denn im Mai 2015 war der kräftige, zwei Meter große Mann aus der Dachauer Kampfsportszene wegen des Besitzes von Anabolika zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Nach fünfstündiger Verhandlung aber konnten beide Angeklagten aufatmen: Die Verfahren wurden mangels Beweisen eingestellt. Zuvor hatte sich der Prozess am Amtsgericht zu einer regelrechten Farce entwickelt. Schöffenrichter und Staatsanwaltschaft gelangten dabei an die Grenzen ihrer Geduld und drohten Zeugen sogar mit Anzeigen und einer vorläufigen Festnahme.

Allein das mutmaßliche Opfer, einen 42-jährigen Münchner, befragten die Schöffenrichter zwei Stunden lang. Schließlich hatte seine Aussage vor der Polizei zu monatelangen Ermittlungen der Kriminalpolizei München, zu einer Verhandlung am Landgericht München II und letztlich auch zu den Vorwürfen geführt, die der Staatsanwalt nun verlas.

Ableger einer echtsextremen türkischen Partei

Im September 2014 soll der 42-Jährige demnach im und vor dem Vereinsheim des türkischen Motorradklubs Turkos MC Dachau von mindestens zwei Tätern geschlagen und um eine 800 Euro teure Uhr beraubt worden sein. Beim Turkos MC handelt es sich nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) um einen Ableger der Grauen Wölfe. Sie werden der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung, kurz MHP, zugerechnet. In der Vergangenheit wurden sie immer wieder des Terrorismus und zahlreicher Gewalttaten bis hin zu Morden bezichtigt. In Bayern zählen die Grauen Wölfe nach Einschätzung des Verfassungsschutzes 1250 Mitglieder. Etwa 50 davon haben den Ableger Turkos MC gegründet, der sich in München, Dachau und am Tegernsee niedergelassen hat. Die Turkos traten erstmals 2014 bei einer anti-kurdischen Demonstration in München öffentlich in Erscheinung. Ob die beiden Angeklagten den Turkos angehören, wurde vor Gericht nicht klar. Fest steht nur, dass deren Vereinsheim im Dachauer Industriegebiet Schauplatz des vermeintlichen Raubes war.

Das Opfer, das in dem Vereinsheim Spielschulden begleichen wollte, habe durch die Gewalteinwirkungen erhebliche Schmerzen erlitten und auf einem Ohr zeitweise nicht mehr richtig gehört, so heißt es in der Anklage. Die beiden Angeklagten sollen den Mann bis auf die Straße zu dessen Auto verfolgt und dort geprügelt haben - vor den Augen dreier Freunde, die im Wagen warteten. Die drei sollten in dem Prozess eine aufklärende Rolle spielen. Doch es kam anders.

Zum allgemeinen Erstaunen relativierte zuerst das 42-jährige Opfer vor Gericht seine Aussage bei der Polizei. Zwar habe er Todesängste durchlebt. An zahlreiche Faustschläge auf Kopf, Gesicht und Rücken aber konnte er sich plötzlich nicht mehr erinnern. Übrig blieben nur mehr eine, vielleicht zwei Ohrfeigen, die der Mann kassiert haben will. Seine Uhr sei infolge des Gerangels womöglich verloren gegangen. Die Schmerzen, über die er bei der Polizei noch geklagte hatte, könnten auch Folge eines Muskelkaters gewesen sein, wie er jetzt sagte. Er habe sich schließlich nach Leibeskräften gewehrt, als die Angreifer ihn aus dem Auto zerren wollten.

Seine drei Freunde, die im Wagen saßen, sollten dem Gericht nun ihre Version des Vorfalls schildern. Einer der Männer jedoch erschien nicht zu dem Prozess. Es hieß, er sei am Tag der Verhandlung verstorben. Ein zweiter, der seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebt, behauptete, ohne Dolmetscher nicht aussagen zu können. Blieb noch der dritte Freund, der sich zu Beginn der Befragung eher dumm stellte. Der Staatsanwalt drohte, ihn vorläufig festnehmen zu lassen. Erst dann berichtete der Zeuge von Schlägen. Doch die Angeklagten konnte er, wie er sagte, nicht als Täter identifizieren.

Das Opfer als angeblicher Polizeispitzel

Schließlich kam es zum Auftritt des Präsidenten des Turkos MC Dachau, eines grau melierten, autoritär auftretenden Mannes. Er war derjenige, dem das mutmaßliche Opfer 650 Euro Schulden in das Vereinsheim gebracht haben soll. Der Vereinspräsident stellte die verblüffende These auf, dass das Opfer ein Spitzel der Polizei sei. Anders könne er es sich nicht erklären, dass der Mann trotz 280 Anzeigen wegen Betrugs immer noch auf freiem Fuß sei. Eine Schlägerei wollte der Mann auch nicht beobachtet haben, ebenso wie ein weiterer Zeuge, der bei dem angeblichen Angriff zugegen gewesen sein soll.

Die zahlreichen Ungereimtheiten und widersprüchlichen Aussagen reichten für eine Verurteilung nicht aus. Amtsrichter Lukas Neubeck und die Schöffen stellten die Verfahren gegen die beiden Angeklagten ein.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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