Amtsgericht Dachau:Selbstjustiz nach Seitensprung

Wie aus einer Liebesaffäre eine Gerichtsposse um Vergewaltigung und Verleumdung wurde.

Gregor Schiegl

- "Super Gelegenheit. Suche Mädchen und Jungs, auch farbige, für gratis Sex. Absolute Diskretion." Über den halben Landkreis verteilt hingen die handgeschriebenen Zettel: an einem Baum in Haimhausen, an der Hochstraße in Karlsfeld, in der Pollnstraße in Dachau, am Golfplatz Eschenried, am Kinderspielplatz in Mitterndorf, sowie auf zwei Schulpausenhöfen in Dachau. Als Kontakt war der Name eines Mannes angegeben mit Festnetz- und Mobilfunknummer. Der vermeintliche Pädophile, ein 52-jähriger Dachauer Handwerker, erfuhr erst von der Polizei von den Aushängen - und erstattet Anzeige.

Auf der Anklagebank des Amtsgerichts Dachau sitzt am Donnerstag die Täterin: eine 37-jährige Altenpflegerin, blässlich, den Blick die meiste Zeit über gesenkt. "Sie weiß, dass es nicht richtig war", sagt ihr Verteidiger, der das Reden für die Angeklagte übernommen hat. "Meine Mandantin ist nervlich nicht dazu in der Lage auszusagen."

Angeblich wurde sie im vergangenen Jahr von dem 52-Jährigen vergewaltigt. Der Übergriff wurde angezeigt, die Staatsanwaltschaft hat ermittelt, das Verfahren dann aber wieder eingestellt. "Meine Mandantin hat den Glauben an den Rechtsstaat verloren", sagt der Verteidiger, "sie versteht nicht, wie ihr Peiniger aus der Sache rauskam." Die Aktion mit den Zetteln, soll das wohl heißen, war so etwas wie ein Akt von Selbstjustiz.

Richter Lukas Neubeck lässt gar nicht erst den Verdacht aufkommen, die Staatsanwaltschaft könne den Fall leichtfertig fallen gelassen haben. "Die Ermittler haben mit penibelster Genauigkeit alle Spuren gewürdigt." Doch für eine Anklage reichte es nicht aus. Als der vermeintliche Vergewaltiger in den Zeugenstand gerufen wird, gewährt Richter Lukas Neubeck der Frau den Wunsch, den Raum vorübergehend verlassen zu dürfen.

Zu den alten Vorwürfen sagt der Familienvater freimütig, er habe mit der verheirateten Pflegerin mehrere Male Sex gehabt, aber immer einvernehmlich, "ein Seitensprung", seine Frau habe ihm inzwischen verziehen. Als die Pflegerin ihn im vergangenen Jahr der Vergewaltigung beschuldigte, habe er überlegt, sie wegen Verleumdung anzuzeigen. Er tat es nicht. "Wir sind in Dachau eine bekannte Familie und wollten den Ball flach halten."

Doch als die Polizei ihm einen der Zettel zeigt, reagiert er erschüttert, "das war doch sehr massiv". Drei Wochen lang habe er immer wieder Anrufe von Unbekannt bekommen, bei denen sich niemand meldete. Die Sache habe ihm lange den Schlaf geraubt, inzwischen sei er darüber hinweg. "Ich will nur noch einen Schlussstrich ziehen und endlich wieder friedlich durch Dachau laufen können."

Der Verteidiger aber verweist immer auf die Vorgeschichte mit der angeblichen Vergewaltigung: Er sei erschrocken, als er nach dem Vorfall feststellen musste, dass sich seine Mandantin, die er schon länger kenne, "ihre wallenden langen Haare" abgeschnitten" habe. "Das macht niemand nach einem Seitensprung." Zwei Suizidversuche habe die Frau schon hinter sich: Einmal sei sie über die Autobahn spaziert, einmal habe sie sich in Dachau vor die S-Bahn werfen wollen; ihr Mann habe das im letzten Moment verhindern können. "Man muss sich nur mal in diese Frau hineinversetzen", sagte er in seinem Plädoyer. "Ihr wurde nicht geglaubt, und jetzt steht sie vor einem Scherbenhaufen." Das müsse sich strafmildernd auf das Urteil niederschlagen.

Und das tut es schließlich auch: Richter Lukas Neubeck bleibt in seinem Urteil mit 30 Tagessätzen à 40 Euro weit hinter den Forderungen der Staatsanwältin zurück. Sie hatte wegen des "massiven Eingriffs" in die Persönlichkeitsrechte des Handwerkers eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen gefordert.

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