Amtsgericht Dachau:Selbstjustiz mit Folgen

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"Lügnerin, Diebin!": Eine Rentnerin stellt ein zehnjähriges Mädchen mit öffentlich ausgehängten Zetteln an den Pranger. Dafür landete sie nun selbst auf der Anklagebank.

Petra Schafflik

Weil sie ihr vermeintliches Recht selbst in die Hand genommen hat, stand jetzt eine 66-jährige Rentnerin vor dem Dachauer Amtsgericht. Im Sommer fehlte der Frau plötzlich eine Jacke, kurz darauf lief ein zehnjähriges Mädchen mit einem gleich aussehenden Blouson durch den Ort. Das Kind betonte, diese Jacke sei sein Eigentum. Dennoch schritt die resolute Rentnerin zur Tat. An der örtlichen Schule hängte sie Zettel auf, bezeichnete die Schülerin unter voller Namensnennung als "Diebin und Lügnerin". Für diese Aktion erhielt sie einen Strafbefehl wegen übler Nachrede. Ihr Einspruch dagegen blieb erfolglos. Das Amtsgericht verurteilte die Frau zu einer Geldstrafe, die mit 40 Tagessätzen zu 15 Euro noch höher ausfiel als der ursprüngliche Strafbefehl.

Die 66-jährige Angeklagte räumt ein, die Flugblätter an der Schule und im weiteren Umkreis aufgehängt zu haben. "Um ihr einen Dämpfer zu geben", wie die Frau es in energischem Tonfall ausdrückt. Eine Form von Selbstjustiz, die keinesfalls angeht, versuchte Richter Lars Hohlstein der Frau klarzumachen. Die Zettel hätten "öffentliche Prangerwirkung, so etwas gibt es bei uns nicht, das geht gegen die Menschenwürde". Die Angeklagte räumt ein, die Plakat-Aktion sei "blöd" gewesen. Doch sie wirkt nicht überzeugt, als der Richter ihr erklärt, der korrekte Weg wäre der zur Polizei gewesen.

Wie sich der "Dämpfer" der Rentnerin auf das Mädchen auswirkte, berichtet die Mutter des Kindes als Zeugin vor Gericht. "Meine Tochter ist ganz aufgelöst nach Hause gekommen." Auf dem Schulweg sei sie angesprochen worden, "sie soll die Jacke sofort hergeben". Als dann die diffamierenden Zettel in der Schule auftauchten, hätten Mitschüler sie tagelang darauf angesprochen. "Sie hatte Angst, in die Schule zu gehen." Die Schulpsychologin musste tätig werden. Der Bericht der Mutter, den die inzwischen elfjährige Schülerin mit Tränen in den Augen im Gerichtssaal verfolgt, macht auf die Angeklagte keinen Eindruck. Nach wie vor ist die Frau überzeugt, tatsächlich von dem Mädchen bestohlen worden zu sein. Denn drei dieser Jacken habe sie gekauft, "und diese Jacke gibt es nur dreimal", sagt die Angeklagte. Wie zum Beweis ist sie in einem der weißen Blousons mit dunkel abgesetzten Ärmeln zur Verhandlung gekommen, das zweite Exemplar zieht sie im Gerichtssaal aus einer Plastiktüte. Wenn das Mädchen eine ähnliche Jacke getragen hat, muss das ihr Eigentum sein, so ihre Logik. Doch die Mutter des Kindes berichtet, so eine Jacke vor einigen Jahren in Italien auf einem Markt gekauft zu haben. Eben die Jacke, die ihre Tochter im Sommer getragen hat. So ein besonderes Stück, wie die Angeklagte es darstelle, könne der Blouson nicht sein. "Das ist kein Original, ich habe um die 20 Euro dafür bezahlt", sagt die Zeugin. Doch die Angeklagte ist unbelehrbar. Zwar gibt es für einen Diebstahl keinerlei Hinweise, "aber das sind keine Unterstellungen", sagt sie fast trotzig.

Das Gericht verurteilt die Angeklagte zu einer Strafe von 40 Tagessätzen von 15 Euro, ein Strafmaß, das über der Forderung der Staatsanwaltschaft und dem ursprünglichen Strafbefehl mit 30 Tagessätzen liegt. Damit ziehe das Gericht die Konsequenz daraus, dass der Angeklagten "letztlich die Einsicht fehlt", so Richter Hohlstein. Selbst im Gericht, wo das Mädchen im Zuhörerraum saß, blieb die Angeklagte bei ihrer Behauptung, von dem Kind bestohlen worden zu sein. "Obwohl Sie es nicht beweisen können", sagte der Amtsrichter. Durch ihren Einspruch gegen den Strafbefehl habe die Angeklagte die Belastungen für das Mädchen noch schwerer gemacht. Sie musste sich nun einer Hauptverhandlung aussetzen. Das höhere Strafmaß sei die Konsequenz.

© SZ vom 28.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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