Amtsgericht Dachau:Familientragödie

Ein Mann ist angeklagt, seine Stiefenkelin missbraucht zu haben. Dabei kommen auch verjährte Taten ans Licht

Von Viktoria Großmann, Dachau

Am Ende steht eine zerbrochene Familie. Lange Verdrängtes und Verschwiegenes ist in der Vorbereitung auf den Prozess am Amtsgericht Dachau ans Licht gekommen. Die erwachsenen Töchter und die Stieftochter wollen den Vater nicht mehr sehen, nichts von ihm hören. Seine Stiefenkeltochter soll der heute 74-Jährige sexuell missbraucht haben, insgesamt sieben Fälle legt ihm die Anklage zu Beginn zur Last. Der Rentner zeigt sich bei der Verhandlung reumütig, sagt, er möchte alles gern ungeschehen machen. Doch er hadert mit den Vorwürfen, räumt zögerlich ein, was ihm vor dem Schöffengericht zur Last gelegt wird. Das Mädchen war sieben und in einem Fall acht Jahre alt. Beim Fernsehen im Wohnzimmer auf dem Sofa, einmal nachts im Bett, im Büro und einmal in der Badewanne soll er das Kind im äußeren Schambereich angefasst haben. Bis auf die Berührung in der Badewanne war das Kind in allen Fällen bekleidet.

"An Ihrer Schuldeinsicht ist zu arbeiten"

Gleich zu Beginn verdeutlichen sowohl Richter als auch Staatsanwalt, was auf dem Spiel steht: mindestens vier Jahre Haft. "Das kann bei ihrem Alter auch lebenslänglich bedeuten", sagt der Staatsanwalt. Die Stellungnahme, die der Anwalt des Angeklagten abgegeben hat, ist dem Gericht zu dürftig. "An Ihrer Schuldeinsicht ist zu arbeiten", gibt Richter Daniel Dorner ihm zum Schluss mit auf den Weg. Vor einem Jahr hatte der Angeklagte versucht, sich das Leben zu nehmen. Seitdem ist er in Behandlung. Dass der Psychologe allerdings keinen Hinweis auf pädophile Neigungen erkennt, erscheint Richter, Staatsanwalt und Anwältin der Nebenkläger merkwürdig. "Ich kann es mir nur so erklären, dass Sie dem Therapeuten von den Übergriffen auf ihre Töchter nichts gesagt haben", sagt die Vertreterin der Nebenkläger - der leiblichen Tochter, der Stieftochter und der Enkelin. Die Fälle sind verjährt, er habe das verdrängt, sagt der Angeklagte.

Das Kind, die Tochter der Tochter der zweiten Frau des Angeklagten, war von klein auf häufig zu Besuch. Manchmal übernachtete das Mädchen im Haus von Oma und Stiefopa in Karlsfeld, in dem auch die pflegebedürftige Urgroßmutter noch lebt. Der Angeklagte räumt, wie er sagt, "unsittliche Berührungen" ein. Seine Stimme ist brüchig, beim Gehen hat der magere Mann Schwierigkeiten, der frühere Handwerker ist gesundheitlich angeschlagen. Er spricht von "einer Dummheit" oder einem "riesengroßen Fehler". Er habe seine Töchter um Verzeihung bitten wollen. Der Richter verliest entsprechende Briefe des Angeklagten. Dem Gericht erzählt dieser, wie er seine große Familie liebe und vermisse, wie oft er den erwachsenen Töchtern zur Seite gestanden habe.

"Warum sollte das Kind die Unwahrheit sagen?"

Seine Stiefenkelin ist getrennt von einer Richterin befragt worden. Richter Daniel Dorner liest ihre Aussagen vor. Doch der Angeklagte wehrt sich vehement dagegen, seine Stiefenkelin auch einmal nachts im Bett und einmal in der Badewanne berührt zu haben. In diesem Fall trug das Mädchen sogar einen Kratzer davon, von dem es der Mutter berichtete. "Nein, das stimmt nicht, es ist mir unverständlich, warum sie das so darstellt", sagt der Angeklagte. Der Richter kommt zu der Ansicht, dass das Kind wie auch dessen Mutter den Angeklagten deutlich mehr hätten belasten können. "Warum sollte das Kind die Unwahrheit sagen?"

Staatsanwaltschaft und Nebenklage beschäftigen vor allem die Langzeitfolgen der Taten. "Solche Übergriffe tangieren die Entwicklung eines Menschen massiv." Nach einer Sitzungsunterbrechung und Beratung mit seinem Anwalt räumt der Angeklagte weitere Vorwürfe ein. Er wolle der Sache ein Ende setzen, erklärt sein Anwalt. Richter und Staatsanwalt erklären, dass sie niemanden zu Unrecht verurteilen wollen. Erklären erneut, ermitteln und Zeugen anzuhören zu wollen. Doch der Mann bleibt nun bei seinem Geständnis. Dem Staatsanwalt reicht dieses zögerliche Verhalten nicht. Er fordert zwei Jahre und drei Monate Haft. Das Gericht verhängt schließlich zwei Jahre Haft für fünf der sieben ihm zur Last gelegten Taten, allerdings mit Bewährungszeit von vier Jahren. Richter Dorner hält dem Mann zugute, dass durch sein Geständnis weder seine Enkelin noch Töchter und Stieftochter als Zeugen aussagen müssen. In der Bewährungszeit muss der Angeklagte eine Therapie machen, seine pädophilen Neigungen klären lassen und 5000 Euro an den Frauennotruf München zahlen.

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