Amtsgericht Dachau:Aussage gegen Aussage

Ein heute 18-Jährger beschuldigt seinen Vater und die Stiefmutter, ihn misshandelt zu haben. Doch was ist wirklich dran an den Horrorgeschichten?

Von Benjamin Emonts

Die Misshandlung Schutzbefohlener kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren nach sich ziehen. Vor diesem Hintergrund wiegen die Anschuldigungen, die Murat A. (Name geändert) seinem Vater und dessen Frau macht, umso schwerer. Im Sommer 2009, so berichtet der 18-Jährige, soll ihn der Vater etwa mit Alkohol übergossen und anschließend ein Streichholz angezündet haben. Seine Stiefmutter wiederum soll ihm Nadeln in den Oberarm gesteckt und gedroht haben, er werde ihre sadistische Seite kennen lernen. Doch das Dachauer Amtsgericht fragte sich: Sind die Horrorgeschichten wirklich wahr? Eine Antwort darauf fand das Gericht selbst nach viereinhalbstündiger Verhandlung und der Befragung von neun Zeugen nicht.

Denn es steht Aussage gegen Aussage. Der Vater, ein 54-jähriger Mann aus dem Landkreis Dachau, sagt: "Das alles ist falsch." Er habe den Jungen lediglich einmal für ein paar Stunden ausgesperrt, weil er zum wiederholten Male zu spät nach Hause gekommen sei.

Doch weshalb sollte ein Sohn seinem Vater derart schwere Vorwürfe machen, wenn sie nicht stimmen? Ein Motiv hätte Murat A. allemal: Er ist gekränkt. Weil sein muslimischer Vater ihn nach eigenen Angaben nicht so akzeptiert, wie er ist: nämlich homosexuell. Darüber hinaus sei er erst kürzlich wieder schwer enttäuscht worden von seinem Vater. Um Bafög zu bekommen, benötigte Murat A. dessen Unterschrift. Der aber verweigerte und sagte nur, der Junge solle arbeiten. Das Telefonat endete mit schweren Beleidigungen.

Eigentlich hatte der junge Mann im Sommer 2009 nur wenige Wochen bei seinem Vater und dessen Familie gewohnt. Seiner Mutter, die in Essen lebt, wurde es damals "zu viel", wie sie sagt. "Er hat immer mehr Probleme gemacht, ich habe Angst bekommen, er könnte in die Drogenszene abrutschen." Folglich bittet die Frau Murats Vater, den Jungen in den Landkreis Dachau zu holen. Der 54-Jährige nimmt seinen Sohn auf und meldet ihn bei einer Schule an - zur Probe.

In dieser Zeit soll Murat A. regelmäßig von seinem Vater und dessen Frau misshandelt worden sein. Ende Juli 2009 etwa soll der Vater ihn mit dem Fuß auf dem Hals zu Boden gedrückt und ihm anschließend mit seiner Frau Fußtritte in den Bauch verpasst haben. Ein anderes Mal, so der Vorwurf des 18-Jährigen, sei er gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und Liegestütze zu machen. Dabei habe ihn der Vater fotografiert und ihn mit einem Holzstab geschlagen. So oder so ähnlich führt Murat A. die Liste der Grausamkeiten noch weiter fort. Aber kann das alles wahr sein?

Amtsrichterin Svenja Lux blickt dem eloquenten, jungen Mann mehrfach tief und lange in die Augen. "Sie wissen, dass das heftige Vorwürfe sind, die Sie Ihrem Vater machen?" Murat A. nickt. Doch weder sein damaliger Schulleiter noch die Schulpsychologin können sich an ihn erinnern - und das, obwohl er vor Gericht angab, beiden von den Misshandlungen erzählt zu haben. Es bleiben viele Fragen. Am 5. Mai wird der Prozess fortgesetzt. Dann werden auch zwei ehemalige Schulkameraden des Jungen befragt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: