Ampermoching:Als es noch Nischen gab

Die legendäre Wirtschaft Post in Ampermoching wird abgerissen und weicht Eigentumswohnungen: Erinnerungen an eine Zeit, als Dörfer im Landkreis internationale Zentren der Jugendbewegungen waren.

Niels P. Jørgensen

Ampermoching: 1982 - Faltsch Wagoni, ein legendäres Punk-Duo in der Post in Ampermoching.

1982 - Faltsch Wagoni, ein legendäres Punk-Duo in der Post in Ampermoching.

(Foto: DAH)

Eine Schönheit war sie nie - jetzt ist sie eine Ruine: das Dach ist schon halb abgetragen und in den Trümmern ist nichts mehr davon zu erkennen, dass die Ampermochinger "Post" einst, Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, ein Mekka der Subkultur rund um München war. Von weit her, bis aus Berlin, Brüssel oder New York City, kamen Bands und ihre Fans in den damals noch recht stillen Landkreis Dachau, nach Ampermoching.

Die Post hatte da schon eine wechselvolle Geschichte hinter sich, wie der Unterweilbacher Ortschronist Georg Otteneder weiß. Der leidenschaftliche Amateur-Historiker sucht in allen ihm zugänglichen Archiven nach Materialien zur Gemeindegeschichte. In einem Pfarrmatrikel von 1870 taucht das Lokal als "Unterer Wirt" auf. Im Ort war er als "Stopselwirt" bekannt, vermutlich weil das Bier dort nicht vom Fass kam, sondern nur in der Flasche ausgeschenkt werden durfte.

1881 hat sich das wohl geändert, das Anwesen wurde als "Schank- und Tafernwirtschaft" geführt. Der damalige Wirt Georg Fritz starb im gleichen Jahr wenige Tage nach einem Messerstich, den ihm sein Vetter Josef Schanderl versetzt hatte. Der galt als ein "exzessiver Bursche", wie der Dorfpfarrer damals vermerkte, und musste für seine Tat ein Jahr und 22 Tage ins Gefängnis. Der Sohn von Georg Fritz führte gemeinsam mit der Mutter die Wirtschaft weiter. 1895 wurde das alte Haus abgebrochen und das Wohnhaus mit Gaststätte neu errichtet. Nach dem Tod der damaligen Posthalterin und Lehrersfrau Megele wurde die Wirtschaft im Jahr 1912 dann "Zur Post" für Ampermoching, und im Jahr 1933 von Familie Geisenhofer übernommen.

In den siebziger Jahren an die Haimhauser Brauerei Haniel verkauft, erging es der Post so wie vielen anderen Dorfgasthöfen. Das jahrzehntelang vernachlässigte Wirtshaus dämmerte vor sich hin, bis ihr 1980 eine Gruppe von jungen Leuten neues Leben einhauchte. Ehemalige Aktivisten aus dem Münchner Milbenzentrum machten gemeinsam mit ein paar Einheimischen die Dorfwirtschaft zu einem Szenetreffpunkt.

Im Wirtshaus etablierte sich eine bunte Wohngemeinschaft, die den Betrieb als Kollektiv führte, auf dem Hof parkte unter anderem das heute noch aktive Künstlerduo "Faltsch Wagoni" - bestehend aus Silvana und Thomas Prosperi - seinen Wohnwagen, und im meistens nicht nur von Zigaretten neblig-verrauchten Saal tobten wild aussehende Gestalten über die ausgetretenen Holzdielen. Die Liste der Musiker reichte von einheimischen Bands wie Alternative Arschlöcher, Lustfinger oder Boikott bis hin zu großen Namen wie Embryo, Peter Bursch, Andreas Dorau oder Tuxedomoon. Auch der Dachauer Kulturverein Theatrock nutzte die Bühne der Post für seine Veranstaltungen.

Es war eine Zeit der Experimente, des Improvisierens. In Kollbach bot damals die Centrale 39 den NewWave Fans einen Treffpunkt, die Bahnhofswirtschaft in Esterhofen wurde bald darauf zum Ballroom. In der Post fanden jene einen Platz, die sich von der Konsum- und Leistungsgesellschaft absetzen wollten, ohne ihr selbst ein schlüssiges Konzept entgegensetzen zu können.

So laut wie die Musik endete auch die Karriere des Punk-Treffpunktes im Jahr 1983. Bei einem Festival mit dem treffenden Motto "Stille Nacht bis es kracht - es gibt kein zurück", trafen die Konzertbesucher auf eine regionale Rockergang, mit der sie sich eine veritable Straßenschlacht lieferten und so die Schließung des Lokals besiegelten. Die Münchner Filmemacher Wolfgang Ettlich und Karl Bruckmaier produzierten 1980 eine Dokumentation über den damals zeitweise einzigen Auftrittsort der Punk, New Wave und Underground-Szene in und um München. Und auch das Online-Lexikon der Subkultur sub-bavaria.de widmet der Post bis heute einen Beitrag.

Die nachfolgenden Wirte mühten sich mäßig erfolgreich über die Jahrzehnte, aus der Post wurde Balkan-Restaurant, türkisches Spezialitätenlokal und Pizzeria - jetzt muss die alte Dorfwirtschaft profitabler Eigenheim-Bebauung weichen. Mit ihr verschwindet nicht nur ein Stück Wirtshaustradition sondern auch die Erinnerung an eine Zeit, in der es in unseren Dörfern und Städten noch Nischen gab und noch nicht jeder Quadratmeter Boden nur unter dem Aspekt der optimalen wirtschaftlichen Verwertung gesehen wurde.

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