Ambulanz für behinderte Frauen:Mensch und Medizinerin

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Für Gerlinde Debus ist es wichtig, bei der Therapie auch auf die Gefühlslage einer Patientin einzugehen. Sie hat die Gynäkologie am Helios-Klinikum stark geprägt. Ende August geht die Chefärztin in den Ruhestand

Von Wolfgang Eitler

"Junge Mediziner sollen sich nicht nur auf die Technik verlassen": Chefärztin Gerlinde Debus verlässt das Helios-Klinikum. (Foto: Toni Heigl)

Gerlinde Debus, Chefärztin für Gynäkologie am Helios-Klinikum in Dachau, sagt: "Ich will meine Patientinnen auf Augenhöhe haben." Dabei drückt sie den Rücken im Sitzen leicht durch, stützt die Arme mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab und verschränkt die Hände. Ihr direkter Blick mit den grau-grünen Augen hinter randloser Brille lässt die Faszination aus Wärme und Klarheit erahnen, von der Patientinnen erzählen und schwärmen.

Arzt-Patienten-Gespräche gelten schon deswegen als Beispiel für prinzipielle Ungleichheit, weil ein kranker Mensch sich vom Wissensvorsprung seines Gegenübers Hilfe und Rettung erhofft. Gerlinde Debus sagt: "Ich muss wissen, wie meine Patientin mit ihrer Krankheit umgeht." Diese Augenhöhe ist problemlos bei einer Frau gegeben, die sich informieren lassen und an der Heilung beteiligen will. Dann ist es leicht, klar und warmherzig zu sein. Aber der mitfühlende Part nimmt an Bedeutung zu, wenn die Patientin von Ängsten übermannt wird oder nicht über die Voraussetzungen verfügt, ihre Befindlichkeiten zu schildern. Dann braucht es Nähe und Empathie.

Gerlinde Debus hat beides, auch weil sie einige persönliche Rückschläge aushalten musste. Vor allem aber, weil sie aus ihren Erfahrungen eine maßgebliche Konsequenz gezogen hat. Sie hat sich während ihres beruflichen Lebens mit den psychosomatischen und psychischen Aspekten von Krankheiten befasst. Sie fragt danach, wie ein Gespräch oder ein Diagnoseverlauf bereits Teil der Heilung eines Patienten werden kann. Der Satz "Ich habe Schmerzen" ist keine Zustandsbeschreibung und keine sprachliche Abbildung eines inneren Zustands, sondern zunächst ein Hilferuf. Der Versuch eines Arztes, die Gefühlslage eines Patienten einerseits zu beachten und andererseits die notwendige Versachlichung zu erreichen, erweist sich insofern als ein Balanceakt.

Gerlinde Debus erhofft sich von den jungen Medizinern, dass sie den Wert eines solchen Gesprächs, des Mitfühlens und auch des praktischen Ertastens mit den Händen als besondere Begabung für ihren Beruf erleben. Sie sagt: "Sie sollen sich nicht nur auf die Technik verlassen." Damit wäre bereits ihr Vermächtnis für das Helios-Klinikum in Dachau formuliert, das sie zum 31. August verlässt. Sie geht offiziell in Pension. Es darf durch das Bekenntnis ergänzt werden: "Die Medizin ist mein Leben." Deswegen hat sich Gerlinde Debus eine neue Aufgabe ausgesucht, in der ihre spezifische Begabung, die der mitfühlenden Hände, eine Hauptrolle übernimmt. In den vergangenen sechs Jahren hat sie sich zur Ostheopatin für neurologische Integrationsmedizin ausbilden lassen. Dabei handelt es sich um eine manuelle Behandlungstechnik, um Regulationsstörungen im Körper auszugleichen. Gerade in der Gynäkologie sieht Debus ein großes Aufgabenfeld, das bis zur Unterstützung des Kinderwunsches reicht. Außerdem engagiert sie sich für die evangelische Friedenskirche im Vorstand der Gemeinde.

Vor genau zehn Jahren hat Gerlinde Debus den Posten der Chefärztin am Helios-Klinikum in Dachau übernommen. Sie veränderte die Gynäkologie grundlegend. Diagnose und Behandlung des Beckenbodens ist einer der Schwerpunkte geworden. Außerdem hat sie am Dachauer Klinikum als eine von fünf Kliniken in ganz Deutschland eine Ambulanz für behinderte Frauen eingeführt. Monate lang kursierten Gerüchte, wonach dieses Angebot, wenn überhaupt, nur noch von Assistenzärzten aufrecht erhalten werde. Gerlinde Debus sagt unmissverständlich: "Die Ambulanz ist Aufgabe des Chefarztes oder eines seiner Vertreter." Sonst würden sie die Krankenkassen nicht mehr finanzieren. Nachfolger Florian Ebner habe ihr persönlich zugesagt, die Genehmigung bei den Krankenkassen einzuholen. "Wenn Herr Ebner eine Vereinbarung findet, dass im Wechsel Oberärztinnen diese Sprechstunde machen, dann ist das völlig in Ordnung." Gerlinde Debus zeigt sich "sehr erleichtert, dass es weitergeht".

Sie verlässt das Helios-Klinikum zu einem Zeitpunkt, an dem die Geburtshilfe in der gesamten Region München kriselt. Denn die Kliniken in Erding und Bad Aibling schließen ihre Abteilungen. Das bedeutet, dass mindestens 1300 Geburten pro Jahr von den übrigen Stationen aufgefangen werden müssen. Debus erreichen Hilferufe von Kolleginnen, die nicht mehr wissen, woher sie die künftig erforderliche Zahl an Hebammen anwerben sollen. In den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Dachau eines der Zentren der sanften Geburt. Die gibt es immer noch. Die Zahlen steigen. Debus sagt, dass all diese Errungenschaften mittlerweile "Alltag" sind.

Bleibt noch die Frage, warum eine Frau, die Nachfolgerin einer Frau in Dachau war, einen Mann mit ausgewählt hat. Gerlinde Debus sagt: "Ich hätte gerne eine Kollegin gehabt." Aber sie fügt hinzu: "Florian Ebner ist mein Wunschkandidat." Der 43-jährige Mediziner ist zurzeit noch in Ulm tätig. Den skeptisch gemeinten Einwand, wie Männer die Frauenheilkunde überhaupt als Fachgebiet auswählen können, kontert sie mit Erfahrungen von Urologinnen, die auf psychosomatische Probleme spezialisiert sind. "Sie finden einen Riesenanklang, weil ihre männlichen Patienten Probleme besprechen, die sie nicht einmal mit ihren Frauen bereden wollen." Außerdem prophezeit sie gerade Männern große Karrierechancen. Denn die Mehrheit der Frauen muss die Umwege über Kinderwunsch und Familie mit dem Beruf vereinen. "Männer aber können direkt durchstarten." Gerlinde Debus versucht übrigens, diesem Trend etwas entgegenzuwirken. Ihre Abteilung ist eine der wenigen in Deutschland mit einem familienfreundlichen Acht-Stunden-Tag für die Teams. Selbstbewusst sagt sie: "Ich kann Herrn Ebner eine sehr gute Hauptabteilung übergeben."

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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