Am Widerstandsplatz in Dachau:Kunst im Angebot

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Simona de Fabritiis und Stephanie Olszewski planen eine Zwischennutzung des Ladens in der Dachauer Altstadt. In einem offenen Künstler-Atelier wollen sie mit Menschen ins Gespräch kommen

Von Magdalena Hinterbrandner, Dachau

Natürlich musste man erst mal alles putzen. Simona de Fabritiis und Stephanie Olszewski stehen zusammen vor dem ehemaligen "Laden" des Franziskuswerks in der Dachauer Altstadt. Ein Rentner geht wortlos an ihnen vorbei direkt in den mittlerweile fast leer geräumten, immer noch ein wenig staubigen und chaotischen Verkaufsraum, es ist ein wenig schummerig wegen der durch Pappkartons zugeklebten Schaufenster. Er spaziert schlurfend ins Raumhintere, schlendert an einem einzelnen Einkaufswagen vorbei durch halb leere Regale mit abgelaufenen Konserven. Dass die zwei jungen Frauen, an denen er am Eingang vorbeigegangen ist, die aktuellen Nutzerinnen des Ladens sind, scheint er nicht zu wissen. Schließlich konnte man früher da auch immer reingehen. Da wurde zwar noch etwas verkauft, aber das Zwischenmenschliche war eben auch da. "Aber genauso soll es auch sein. Dass die Leute einfach vorbeikommen und sich umschauen", lacht die 27-jährige Simona de Fabritiis. Zusammen haben die beiden langjährigen Freundinnen in den ehemaligen Räumen des Ladens nämlich eine Art Projekt in Planung.

Mit Leidenschaft und Gefühl gegen Rationalität, Masse und Kommerz. Die beiden Kunststudentinnen sind nicht da, um den Laden als Verkaufsfläche für ihre Werke zu nutzen, viel eher wollen sie ihre innere Überzeugung durch ihre Kreationen an den Menschen bringen. Das Ziel? "Es geht um die Hinterfragung von bestehenden Systemen und Ordnungen", erklärt die 29-jährige Stephanie Olszewski. Mit der Hoffnung auf eine Neuordnung.

Ihre eigene Interpretation von Revolution gegenüber den bestehenden kommerziellen Verhältnissen der Gesellschaft nennt sich Performativität. Sich performativ mit Dingen zu beschäftigen, drücke eine Haltung gegen das System aus, erklären die beiden Künstlerinnen. Der Laden als Raum soll für die beiden eine Art offenes Atelier sein. Ganz nach dem Prinzip des Ladens des Franziskuswerks wollen die beiden das Zwischenmenschliche beibehalten. "Wir stellen uns das so vor, dass wir arbeiten und die Leute einfach hereinkommen und sich umschauen können, zusehen oder reden", erklärt de Fabritiis, jüngstes Mitglied der Dachauer Künstlervereinigung. Auf der Schlossausstellung im vergangenen Jahr machte sie mit einem blühenden Bett auf sich aufmerksam. Mit früheren Arbeiten versuchte sie, die glatte Oberfläche der Social-Media-Welt aufzubrechen.

"Wir wollen klarmachen, dass Kunst etwas ist, über das jeder sprechen kann. Kunst gehört zum Leben, das ist nur vielen einfach nicht bewusst", sagt sie nun. Die Traumvorstellung der beiden also: Der Laden als Raum für die Offenlegung ihrer kreativen Prozesse.

Seit vergangenem Wochenende dürfen sich die zwei Frauen in den Räumen des Franziskuswerks am Widerstandsplatz austoben. Der Mietvertrag der gemeinnützigen GmbH läuft noch bis Februar 2019. Die Künstlerinnen dürfen den Raum sozusagen zwischen nutzen. Seit Juli 2017 steht er leer. "An dem Abend von Jazz in allen Gassen haben wir geputzt, und dann haben wir eben auch zu jazzen angefangen", erzählt Stephanie. Aber nein, nicht mit einem Instrument. Mit dem Körper! Quasi ein visueller Jazz.

Vom Großputz zur visuellen Jazz-Performance: Simona de Fabritiis und ihre Kollegin Stephanie Olszewski putzen den ehemaligen Laden des Franziskuswerkes für ihr bevorstehendes Kunstprojekt und entwickeln daraus ganz nebenbei eine Kunst-Performance. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ihre Kunst beschreibt Konzeptionen. "Alles kann zu einem Kunstwerk werden. Jede einzelne Begegnung wirkt", erzählen sie. "Man kann Videos, Bilder, Töne, gefundene Materialien, einfach alles verwenden, um daraus oder mit ihnen ein Kunstwerk entstehen zu lassen." Und die beiden wissen, wovon sie sprechen. Sie studieren Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in München bei namhaften Dozenten wie Jorinde Voigt oder Res Ingold. Doch das Studium hat nichts mit dem zu tun, was die beiden Studentinnen hier auf die Beine stellen. Das hier müssen sie nicht machen, das wollen sie machen.

Alles, was hier im Laden passiert, passier aus tiefster Leidenschaft und der brennenden Faszination gegenüber der starken Aussagekraft der Kunst. Kommerz stößt hier auf akuten Widerstand. "Wir machen das alles nicht, um unsere Kunstwerke dann zu verkaufen", sagt de Fabritiis. Kommerz bedeute Druck, zu liefern. Und Druck verfälsche die Kunst. Sie entstehe nicht mehr aus Überzeugung und Passion, sondern aus Zwang und Gewerbe. "Verkaufen färbt die Kunst", da sind sich die beiden einig. Kreativität entfaltet sich in Freiheit, nicht im Zwang.

Natürlich ist beiden bewusst, dass der Gedanke, etwas ohne das Ziel des Kommerzes zu machen, eine Art Wunschvorstellung ist. "Klar wäre es schön, von der Kunst leben zu können", sagt Stephanie. Das ist auch beider Ziel. Sicherlich werden sie aber niemals auf einen Kunden einreden, ihm die Kunst andrehen wollen oder verhandeln. Um so etwas zu vermeiden, haben die beiden sich ein zweites Standbein aufgebaut. Sie sind staatlich geprüfte Kommunikationsdesignerinnen, betonen aber: "Wir verstehen uns als Künstlerinnen. Und wir sind fest davon überzeugt, dass das klappen kann und wir unserer Überzeugung trotzdem treu bleiben," das ist den beiden unwahrscheinlich wichtig. "Wir sind Träumer, und dazu stehen wir auch", sagt Stephanie.

Den Laden kennen die beiden Dachauerinnen von früher, als sie selbst oft dort einkaufen gingen. Sie waren fasziniert von der Zwischenmenschlichkeit und Herzlichkeit, die im Laden, in dem behinderte mit nicht behinderten Menschen im Team arbeiteten, herrschte. "Da war das Kommerzielle auch eher hinten angestellt. Und genau das wollen wir weiterführen. Es tut der Altstadt vielleicht auch mal gut, wenn hier nichts gewerbliches drin ist", sagt Simona de Fabritiis.

Als das Franziskuswerk auszog, hat sie deshalb gleich beim Kulturamt Dachau nachgefragt und kam so in Kontakt mit den Schönbrunnern. Sie konnte mit ihrem Konzept überzeugen und bekam die Räume zugesprochen. Bis Februar 2019 dürfen sich die beiden Künstlerinnen hier ausleben. Und die Dachauer sich umschauen.

Der Rentner hat sich mittlerweile im Laden umgesehen und geht nun mit einem kurzen Kopfnicken an den Beiden vorbei nach draußen. "Das war wirklich gerade ein gutes Beispiel dafür, wie wir uns das mit dem offenen Atelier vorstellen", sagen die Künstlerinnen lachend.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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