Altomünster:Im Nebel des Weihrauchs

Bruck: Amperperchten / Amper-Perchten

Perchten mit ihrem gruseligen Antlitz wie hier in Fürstenfeldbruck gehören in Bayern zu den Raunächten.

(Foto: Johannes Simon)

Welche Bräuche sind auf die Raunächte zurückzuführen, welchen Ursprung hat diese alte Tradition? Eine Spurensuche des Historikers Wilhelm Liebhart.

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Schreibt man Raunächte nun mit oder ohne H? Eine Frage, die den Historiker Wilhelm Liebhart am Freitagabend im gut besuchten Museumsforum doch sehr bewegte. Er hatte sich für die erste Veranstaltung des Museumsvereins Altomünster im noch jungen Jahr 2017 auf Spurensuche nach Ursprung und Tradition der sagenumwobenen Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag begeben. Die passende Musik lieferte Robert Gasteiger an der Zither. Angesichts der Vielzahl lokaler und regionaler Bräuche sowie der schier unendlichen Fülle an Literatur zum Thema herrscht allerdings "Verwirrung und Verirrung", wie Liebhart sagte. Allein das gute Dutzend Publikationen, das er zur Vorbereitung durchforstet habe, "vermengt nicht nur verschiedene Bräuche miteinander, sondern vermischt Nord- und Westdeutsches mit Bayerischem und Österreichischem".

Sind die Rauh-, Rau- oder Rauchnächte also eine Reminiszenz an die germanische "Wilde Jagd", haben sie einen keltischen Ursprung, hat die Kirche, wie sie es oft und gerne tat, vorchristliches Brauchtum in ihren Kanon integriert? Mutierten Nebelschwaden in Zeiten ohne Lichtverschmutzung zu finsteren Gestalten? Oder leben alte Bauernweisheiten fort? Diese Fragen lassen sich nicht so einfach beantworten wie die nach der derzeit Duden-konformen Schreibweise. Die ist Raunächte. Punktum. Da können Etymologen, also Sprachwissenschaftler, noch so sehr die Nase rümpfen. Es bleibt eine Spekulation, ob Raunacht eine Reverenz an die wilden Gesellen ist, die "rau, grob, zottig behaart" der Geisterwelt entstiegen sind, oder vom Rauch abstammt, den der Weihrauch beim Ausräuchern von Hof und Stall verbreitete. Fest steht - an dieser Stelle zitierte Liebhart genüsslich Johann Andreas Schnellers "Bayerisches Wörterbuch" von 1877 - dass Frauen und Männer in den zwölf Nächten je nach Region mehr oder weniger unheilvolle Rollen spielten. Im Bayerischen Wald etwa strafte der Semper, der hierzulande als Knecht Ruprecht bekannte Begleiter des heiligen Nikolaus, unartige Kinder, indem er ihnen "die Bäuche aufschneidet und Kieselsteine hineinlegt", in Franken trieb die Hulde ihr Unwesen mit faulen Mägden. Aber auch Wetterpropheten und Wahrsager hatten und haben in den Raunächten Hochkonjunktur.

Wobei sich diverse Ge- und Verbote durchaus profan interpretieren lassen. So heißt es beispielsweise: "Alles Ackergerät muss unter Dach sein, kein Backgerät oder Holz darf vor dem Ofen liegen bleiben". Mit anderen Worten: Großreinemache ist vor den Festtagen angesagt. "Vor diesen Tagen soll alles, was verliehen wurde, wieder im Haus sein, und Geliehenes soll man zurückbringen. Wer dies nicht tut, ist eine Hexe", hieß es. Heute würde man sagen: Zahle deine Schulden im alten Jahr, dann kannst du das neue unbelastet beginnen.

Misstrauische Obrigkeit

Waren Bäume und Straßen von Raureif überzuckert, so rechneten die Bauern mit einer guten Ernte. Das versprachen auch Eisblumen am Fenster und viel Schnee vor der Haustür. Eisblumen sind inzwischen dem Dämmwahnsinn in und um Haus und Hof zum Opfer gefallen. Die diversen Wetter-Apps wagen höchstens halbwegs meteorologisch fundierte 14-Tage-Vorhersagen. Bleigießen - eine weitere Tradition aus den Raunächten, die gleichzeitig als Loßnächte, also als besonders günstig für Vorhersagen jeder Art galten - ist zum profanen Silvesterscherz verkommen. Ein ähnliches Schicksal haben vielerorts die Perchten erlitten, die ursprünglich ausschließlich im Alpenraum beheimatet waren und 2017 oft nur noch Schaulaufen betreiben. Dass die Obrigkeit auch im Dachauer Land eine gewisse Angst vor der in den wilden Raunächten nicht lückenlos zu kontrollierenden Bevölkerung hatte, zeigte Liebhart mit einem Erlass von Herzog Maximilian I. aus dem Jahr 1611. Auf dem Höhepunkt der wahnsinnigen Hexenverfolgungswelle wies dieser seine Beamten zu besonderer Wachsamkeit an. Sie sollten - zur Not als verdeckte Ermittler - ausforschen, was so "Schädliches in Wort und Werk" vor sich geht. Da wurde nicht nur völlig undifferenziert Volksglaube mit Aberglaube gleichgesetzt, alles, was sich außerhalb der verordneten Norm abspielte, war verdächtig. Parallelen zur gerade heftig und oft mit wenig Sachkenntnis geführten Sicherheitsdebatte samt Flüchtlingen, die unter Generalverdacht stehen, drängen sich förmlich auf.

Eine Art Pestprävention

Lebenspraktischer ging es um 1650 im Altomünsterer Birgittenkloster zu, wie der Laienbruder Ludwig Rieger schrieb. Demnach wurden vor Weihnachten, vor der Jahreswende und vor dem Fest der Heiligen Drei Könige am 6. Januar, Kirchenaltäre und Friedhof einer besonderen Weihrauchzeremonie unterzogen. Das wurde noch weit bis ins 20. Jahrhundert auf vielen Gehöften praktiziert, wie der damalige Pfarrer Josef Neureuther 1943 aus Wollomoos berichtete. Allerdings nicht von Kirchenmännern, sondern vom Hausherrn beziehungsweise dessen Witwe.

Für Liebhart könnte diese "Segnung von Haus und Vieh" eine Art Pestprävention gewesen sein. Die erfolgt heutzutage zwar mit anderen Mitteln, doch das Brauchtum hat sich erhalten, wird liebevoll gepflegt, genauso wie die Sitte, "zwischen den Jahren" keine Wäsche zu waschen oder schwere Arbeiten zu verrichten. Nicht, weil man böse Geister fürchtet - sondern weil diese Ruhezeit in ländlichen Regionen für Frau und Mann hochwillkommen und dringend notwendig war, wie einige Besucher übereinstimmend sagten.

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