Altomünster:Ein Keyboard für Newton

Acht Asylbewerber aus Nigeria sind in einem gut ausgestatteten Haus im idyllischen Plixenried untergekommen. Bürger haben einen Helferkreis organisiert, der die jungen Männer betreut und in die Gemeinde integrieren will.

Von Benjamin Emonts

Über eine enge Landstraße, vorbei an Wiesen und Feldern, geht es nach Plixenried. Das Dorf im Dachauer Hinterland hat 72 Einwohner, zwei Straßen, etwa ein Dutzend Bauernhöfe, eine Kapelle und ein Bauunternehmen. Auf dessen Grundstück steht ein gelbes Haus, in dem seit Mitte Februar acht junge Männer aus Nigeria leben. Sie sind aus ihrem Heimatland geflohen, weil sie dort keine Lebensperspektive mehr für sich sahen. Im idyllischen Plixenried, in der oberbayerischen Marktgemeinde Altomünster, haben die acht Afrikaner Zuflucht gefunden.

Einer davon ist der 33-jährige Jelili. Der klein gewachsene, kräftige Afrikaner bereitet gerade in der Küche des gelben Hauses einen afrikanischen Eintopf aus Tomaten und Mango zu, auf dem Herd nebenan köchelt Couscous. "Es ist für uns okay hier", sagt Jelili, "wir nehmen, was wir bekommen." Dann führt er in sein Schlafzimmer, das er mit drei weiteren Asylbewerbern teilt: einen hellen, gut 25 Quadratmeter großen Raum, in dessen Ecken vier Betten stehen: "Mein Lieblingsraum. Hier lese ich gerne."

Jelili und die sieben anderen Asylbewerber haben sich in dem zweistöckigen Haus anscheinend gut eingelebt. Die zwei Wohnungen, in denen jeweils vier der Männer leben, haben ein geräumiges Wohnzimmer mit Sofa und Fernseher, eine voll ausgestattete Küche und ein Badezimmer mit Dusche und Toilette. Der Bauunternehmer und langjährige Gemeinderat von Altomünster, Michael Gailer, hat den Männern die Bleibe gegen eine "marktübliche Miete" vom Landratsamt zur Verfügung gestellt. Erst kürzlich, sagt Gailers Sohn Stefan, "haben wir eine der Küchen neu eingebaut, die Heizung umgerüstet, TV-Anschlüsse installiert und Fernseher bereit gestellt".

Auf Menschen, die helfen, sind die nigerianischen Flüchtlinge angewiesen. Eine zentrale Rolle im Leben der Männer spielt daher der Helferkreis Plixenried, der inzwischen mehr als 20 ehrenamtliche Mitglieder zählt. Wie beispielsweise in Markt Indersdorf oder Röhrmoos leistet auch der Helferkreis Plixenried nicht nur Fahrdienste, er bietet auch wöchentliche Deutschkurse an und sammelt Spenden. So hat inzwischen jeder der Flüchtlinge ein eigenes Fahrrad. Oder Eljiro, ein leidenschaftlicher Musiker, hat schon nach kurzer Zeit ein Keyboard bekommen. An diesem Wochenende darf der gebildete junge Mann, den alle nur Newton nennen, sogar am Europäischen Musikworkshop in Altomünster teilnehmen. Brigitte Burger-Schröder aus Wollomoos, die den Helferkreis koordiniert, sagt: "Wir wollen unseren Gästen nicht nur ihre Lebensumstände erleichtern, sondern sie darüber hinaus in unsere Gesellschaft integrieren." In dieser Hinsicht geht auch der TSV Altomünster mit einem guten Beispiel voran: Der Verein hat sämtlichen Asylbewerbern die kostenlose Mitgliedschaft angeboten. Vier der Nigerianer, das Land ist eine fußballverrückte Nation, gehen seither regelmäßig ins Fußballtraining.

Dass es die Altomünsterer ernst mit ihrer Solidarität meinen, zeigte sich zudem vor Kurzem auf einer Kennenlernveranstaltung, die der Helferkreis gemeinsam mit der Volkshochschule Altomünster organisiert hat. Dabei wurden die acht Nigerianer jeweils nach vorne gebeten und namentlich vorgestellt. "Godwin ist 17 Jahre alt und sein größter Traum ist es, Fußballprofi zu werden." Godwin, ein gut aussehender, athletischer junger Mann, nickte und lächelte mit seinen strahlend weißen Zähnen ins Publikum.

"Die Veranstaltung war ein Erfolg", sagte Burger-Schröder sichtlich erleichtert. Tatsächlich war die Neugier der Bürger in Altomünster so groß, dass im ortseigenen Evangelischen Gemeindezentrum kein Platz unbesetzt blieb. Von Berührungsängsten, wie man sie vielleicht erwartet hätte, war vor und nach dem offiziellen Teil überhaupt keine Spur: Die fast 100 Bürger unterhielten sich mit den afrikanischen Gästen, als wären sie schon immer da gewesen. Im Hintergrund lief währenddessen nigerianische Musik. Sie wurde von den Asylbewerbern ebenso ausgewählt wie die afrikanischen Häppchen, die gereicht wurden.

Ulrich Schneider, der auch zum Helferkreis zählt, hielt schließlich eine 45-minütige Powerpoint-Präsentation über Nigeria. Er referierte über ein Land, das zwar reich an Öl und Kultur ist, gleichzeitig aber durch Korruption, politische und religiöse Spannungen sowie mangelndem Vertrauen innerhalb der Gesellschaft große Probleme hat. "Einer der Asylbewerber", sollte Brigitte Burger-Schröder später erzählen, "ist hier, weil einer seiner Freunde bei einer Demonstration getötet wurde, ein anderer schwer verletzt, und er gerade noch flüchten konnte."

Im abgelegenen Plixenried müssen die acht Afrikaner keine Gewalt fürchten. Ihr Problem besteht darin, dass sie in eine ungewisse Zukunft blicken. Obwohl die Asylbewerber allesamt in Nigeria Berufe erlernt haben, der 34-jährige Kelechi war beispielsweise Maler, dürfen sie mindestens neun Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht arbeiten. Wobei noch lange nicht gewiss ist, ob sie überhaupt hier bleiben dürfen.

Bleibt die Frage: Warum eigentlich Plixenried? Man möchte doch eigentlich meinen, die Asylbewerber seien in zentraler gelegenen Ortschaften besser untergebracht. Gerhard Weber, der Sprecher des Dachauer Landratsamts, sagt: "Wir sind froh um jede Unterkunft, die uns überhaupt angeboten wird." Die Wohnungsnot im Landkreis Dachau hält er inzwischen für fast vergleichbar mit der in der Landeshauptstadt München: "Es ist eine fatale Situation, nicht nur für unsere Asylbewerber."

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