Altomünster:Die Wahrheit im Dialekt

Wolfgang Henkel schließt seine Trilogie einer bairischen Räuberdynastie in Altomünster ab

Von Wolfgang Eitler, Altomünster

Die Frage, die bei allen Theaterstücken von Wolfgang Henkel an die Zuschauer mitschwingt, lautet: Möchten Sie in dieser Zeit gelebt haben? Polemisch zugespitzt: Was ist denn verdammt noch mal so heimelig an der guadn oidn Zeit des Dialekts und an der angeblichen, vermeintlichen oder tatsächlich echten Volksmusik. Und wenn der Satz gilt, dass Sprache eine Lebensform ist, dann entspricht das Bairische halt auch einem Leben "in starren Regeln"(Henkel) und einer Obrigkeit, die mit Hilfe der Kirche die armen Leut' unter Kuratel hielt. Diesen Fragen spürt Wolfgang Henkel nun seit mehr als 15 Jahren nach und hat daraus die Trilogie einer Räuberdynastie geschaffen, deren Gelenkstück er mit seiner Theatergruppe Altomünster auf der Freilichtbühne des Kapplerbräus inszeniert. Premiere ist am Samstag, 20. Juni.

Nach der Geschichte des Mathias Kneißl und nach dem Drama um dessen Onkel Johann Pascolini ist jetzt die Mutter und Schwester der beiden berühmten-berüchtigten Männer an der Reihe. Somit eine Frau von beachtlicher krimineller Energie, geprägt durch Armut und den Mut aus Verzweiflung. Henkel hat an Hand einiger historischer Fakten ihr Leben nachgezeichnet und ein Bild ihres Charakters entworfen. Auf die Frage, ob er für sie Sympathie empfindet, sagt er: "Sympathisch ist sie mir nicht. Aber ich habe einen Heidenrespekt vor ihr." Von ihrem Bruder Johann hatte Therese das Handwerk der Raubzüge gelernt. Nach der Heirat mit Matthias Kneißl, einem braven Mesner im heutigen Altomünsterer Ortsteil Randelsried, zog sie mit der ganzen Familie aus, um Wallfahrtskirchen auszurauben. Sie verdingte sich als Hehlerin.

Altomünster: Wie schon beim Kneißl und beim Paschkalini haben Thomas Koppold und Stephanie Kreppold die tragenden Rollen.

Wie schon beim Kneißl und beim Paschkalini haben Thomas Koppold und Stephanie Kreppold die tragenden Rollen.

(Foto: Toni Heigl)

Auf die Sprache, auf den Dialekt kommt es auch in dem neuen Stück an. Denn Henkel braucht eine Form, in der das Trügerische und die Härte der Idiome die Handlung mitträgt. Deshalb fällt sein Urteil über den Dialekt im Allgemeinen und das Bairische im Besonderen zwiespältig aus. Was er besonders an ihm mag, ist der Klang, die Originalität auch des Ausdrucks. Deshalb wünschte er sich, dass die jungen Leute ihn wieder lernten und wenigstens ansatzweise pflegten. Auch deswegen macht er bairisches Theater. Diesmal sind drei neu junge Schauspieler dabei, die er herausfordert. Mit den Traditionalisten ist er sich einig, dass es um die Zukunft des Dialekts schlecht bestellt ist.

Aber was Wolfgang Henkel nicht mag, ist eine rückwärtsgewandte Sicht; diesen heimeligen Blick, wie ihn allenthalben Trachtenerhaltungsvereine oder Burschenschaften pflegen. Henkel: "Sie verklären die Vergangenheit." Und damit eine für ihn "dermaßen starre Gesellschaft". Eine, in der die Menschen von Kirche und Politik "kleingehalten wurden". Und er mag auch diese Imagepflege nicht, welche die Worte in ihrer Bedeutung verharmlost. Drastisch formuliert Wolfgang Henkel: "Wo ein Stück Scheiße mit Honig überzogen wird."

Altomünster Freilichttheater

Auf der Freilichtbühne am Kapplerbräusaal wird das Stück "Schachenmühle oder das verlorene Leben der Therese Kneißl" aufgeführt.

(Foto: oh)

Allmählich beschleicht einen das Gefühl, dass in Altomünster ein Forum für eine kritische Würdigung von Traditionen im Entstehen begriffen ist. Eine Art Zentrum von Kultur und Brauchtum ist es eh schon. Wolfgang Henkel ist mit seinem am frühen Franz Xaver Kroetz, an Martin Sperr oder auch an Herbert Achternbusch geschulten Blick auf die eigene Kultur Garant für den kritischen Blick. Ähnlich wie übrigens die Ludwig-Thoma-Gemeinde in Dachau mit ihren zeitgenössischen Inszenierungen. Außerdem zeigt der Altomünsterer Museumsverein gerade in einer Retrospektive das Werk der Dachauer Malerin Maria Langer-Schöller. Kuratorin Jutta Mannes spart die Brüche der Lebensgeschichte nicht aus - vor allem den Kontrast eines Mitläufertums mit den Nationalsozialisten zum Werk der Matisse-Schülerin. Mannes benennt sie, im Gegensatz zur Ausstellung des NSDAP-Mitglieds Giulio Beda kürzlich in Dachau, die sich der üblichen Lesart einer ungebrochenen Tradition der Dachauer Künstlerkolonie anschloss.

Dieser Wille zum genauen Hinsehen fehlt beispielsweise beim Projekt des Regionalentwicklungsvereins Dachau Agil, der von Altomünster aus gemeinsam mit dem in der Gemeinde lebenden Volksmusikreferenten von Aichach, Siegfried Bradl, eine eher museale Katalogisierung der Volksmusik anstrebt. An eine Einbindung von Künstlerbiografien und kulturellen Ereignissen in eine Alltagsgeschichte ist nicht gedacht, wie sie von Historikern gefordert wird. Kürzlich erst vom ehemaligen Leiter des Dachauer Jugendgästehauses, Bernhard Schoßig, in einem Vortrag in der Dachauer Gemäldegalerie.

Der Vorverkauf hat begonnen

Der genaue Titel des neuen Stücks von Wolfgang Henkel lautet: "Schachenmühle oder das verlorene Leben der Therese Kneißl". In die Abgeschiedenheit der Schachenmühle wurden Mathias und Alois Kneißl gemeinsam mit ihren Schwestern und Mutter Therese nach dem Tod des Vaters abgeschoben. Es war ein ärmliches Leben, das beim den Besuch von Polizeibeamten eskalierte. Alois schoss auf sie, aus der Furcht heraus, die Beamten seien gekommen, um die Familie zu trennen. Damit begann die Karriere von Matthias Kneißl und seinem Bruder als teils bewunderte Verbrecher.

Premiere ist am Samstag, 20. Juni, 20 Uhr. Weitere Aufführungen: Sonntag, 21. Juni, sowie die Wochenenden vom 26., 27., 28. Juni und vom 3., 5. und 11. Juli. Beginn jeweils um 20 Uhr im Freilichtgelände am Kapplerbräusaal. Einlass von 18.30 Uhr an. Karten ab sofort im Rathaus (08254/99 97 0).

Die Schauspieler sind: Stephanie Kreppold (Therese), Alto Oswald (Mathias Kneißl, Ehemann), Alexander Schmoranz (Mathias Kneißl, Sohn), Stephan Reiser (Alois Kneißl), Pia Obeser (Katharina Kneißl), Thomas Koppold (Johann Pascolini), Michel Schmitz (Pfarrer), Michaela Richter (Pfarrhaushälterin), Wolfgang Henkel (Kommissär Lugmaier), Christoph Neugschwendtner (Polizist), Christian Chymyn (Gendamerievorsteher), Michael Heine (Der Strixel), Martin Haberl (Der Moar), Norbert Rogge (Der Schäfer), Marcus Gottfried und Michael Riedl (Pascolinis Kumpane), Marina Hörmann (Nannerl), Eva Kitzberger (Rosl), Susanne Jais (Krankenschwester), Theresa Kreppold (Franzi). Musikanten: Erwin Fraunhofer, Thomas Kölbl und Martin Ott. Maske: Christl Holzer. Kostüme: Rosmarie Henkel, Licht und Ton: Pegasus Lichttechnik. Bühne: Martin Haberl, Alfred Henkel und Thomas Koppold.we

Wenn aber Wolfgang Henkel seinen Anspruch nach einem historisch-kritischen Blick erfüllen, wenn er die Ambivalenzen im Dialekt ausloten will, und das obendrein am Beispiel einer kantigen, kriminell veranlagten Frau als Hauptfigur, dann braucht er die entsprechenden Schauspieler. Der Regisseur ist überzeugt, die richtigen zu haben. Denn das Team, das den Kneißl, dessen Onkel Pascolini, "Paschkalini" gerufen, oder Ludwig Thomas Wittiber aufführte, ist zusammengeblieben. Außerdem hat er Stephanie Kreppold, die vor vier Jahren die junge Therese Pascolini spielte. Er sagt: "Ihr wird es gelingen, diesen Zwiespalt einer Frau darzustellen, die alles tut, damit ihre Familie überleben kann." Die aber keine Skrupel kannte. Was aus ihr geworden ist, weiß man nicht; genau so wenig wie aus den drei Töchtern, die ihr verblieben waren.

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