Altomünster:Der Heimatforscher

Lesezeit: 2 min

Hochschulkollegen feiern den Historiker Wilhelm Liebhart aus Altomünster mit einem Festakt. Der Jubilar wird 65 Jahre alt - und er beendet nächstes Jahr seine berufliche Tätigkeit in Augsburg

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Zum Geburtstag gibt es Blumen, Bücher oder sonstige schöne Gaben. Auch in akademischen Kreisen sei es üblich, dass man sich beschenkt. Jedoch nicht mit profanem Schnickschnack, sondern mit etwas ganz Besonderem. Im Falle von Geschichtsprofessor Wilhelm Liebhart, der am Mittwoch in Altomünster seinen 65. Geburtstag feierte, war das eine Festschrift mit dem verheißungsvollen Titel "Grenzüberschreitungen zwischen Altbayern und Schwaben - Geschichte und Kunst zu beiden Seiten des Lechs". Ein solches Werk sei "der Blumenstrauß des Akademikers", wie Markus Würmseher, einer der Herausgeber, im Evangelischen Gemeindezentrum sagte. Da fast alle 27 Autoren zur Überreichung der Festschrift gekommen waren, wurde der schön geschmückte Saal für einen Abend zum Hotspot der Landeshistoriker.

Angeführt wurde die Versammlung von Alois Schmid, dem Doyen der bayerischen Landesgeschichtsforschung und Mitglied der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Gekommen waren zudem Landrat Stefan Löwl, die drei Altomünsterer Bürgermeister Anton Kerle, Josef (Fips) Wiedmann und Wolfgang Graf sowie viele Museums- und Kulturfördervereinsmitglieder. Auch Schwester Apollonia, letzte Vertreterin des in Auflösung begriffenen Birgittinnenklosters, saß an einem der vorderen Tische.

Die Geburtstagsfeier entpuppte sich recht bald als akademische Feierstunde, als Ritual, bei dem die Gäste sich einfach mal von der Jetztzeit verabschieden und in eine Welt mit eigenen Spielregeln eintauchen konnten. Auf die Brahms'sche Akademische Festouvertüre, "Gaudeamus Igitur" und ähnliche zeremonielle Zöpfe verzichtete man weise. Dafür gab es wunderbare Geigen- und Harfenmusik von Gudrun Huber und Eva Kausch, viele wie aus der Zeit gefallene "ad multos annos - auf viele Jahre" und noch mehr ebenso humorvolle wie kluge Gedanken von Laudator Schmid. Der versicherte dem "Altersjubilar" tröstend: "65 ist nicht mehr der tiefe Einschnitt, der es früher einmal war". Der sogenannte dritte Lebensabschnitt diene vielmehr "der Erweiterung, Ergänzung und Abrundung der Lebensleistung". Die ist schon jetzt beachtlich.

Liebhart, Professor für Geschichte, Politik und Literatur an der Hochschule Augsburg, ist Altomünsterer durch und durch - und längst zu einer Institution in Sachen regionale Geschichtsforschung geworden. Mehr als 20 Bücher hat er geschrieben, Hunderte von Zeitschriftenaufsätzen verfasst und ist seit 1999 Herausgeber der Vierteljahresschrift "Amperland". Gemeinsam mit Peter Schultes trieb er die Gründung des Birgittenmuseums voran. Zur Erreichung dieses Ziels unternahmen die beiden seinerzeit sogar einen Ausflug in die Lokalpolitik - und wurden in den Gemeinderat gewählt.

Dass Liebhart in einer Region, in "der das Herz Altbayerns besonders heftig schlägt" ebenso zu Hause ist wie in Schwaben, mache ihn zum "Grenzüberschreiter", sagte Laudator Schmid in Anspielung auf den Festschrift-Titel. Die Laudatio entpuppte sich im weiteren Verlauf als veritable Vorlesung und ein geradezu leidenschaftliches Plädoyer für die Mikrogeschichte. Darunter versteht Schmid "den Blick nach unten, auf den Bodensatz der Gesellschaft". Diese Sichtweise sei allerdings "im aktuellen Wissenschaftsbetrieb marginal", bedauerte er. Sie sei "dem Vorwurf der unzeitgemäßen Beengtheit" ausgesetzt, was besonders auf die Heimatkunde zutreffe. Dabei sei ohne "die möglichst exakte Deskription von Orten, Personen und Ereignissen", wie sie die Mikrogeschichte liefere, die Makrogeschichte nicht denkbar. Umgekehrt sei es für die Vertreter der Mikrogeschichte unabdingbar, ihre Erkenntnisse und Forschungsergebnisse in die Makrogeschichte einzuordnen, also das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren.

Für den Historiker Schmid ist "Mikroforschung eine wichtiger Beitrag zur Identitätsstiftung". Sie sei der Garant für wissenschaftliche Neutralität, während Heimatkunde "auch die emotionale Zuwendung" befördere. Nicht nur Liebhart, der sich selbst im Gespräch mit der SZ Dachau mit seiner "wissenschaftlichen Heimatforschung zwischen der emotionslosen Mikrogeschichte und der emotionalen Heimatkunde" verortete, wird diese eindeutige Stellungnahme gefreut haben. Schmids Rede rückte die unzähligen ehrenamtlichen, Orts- Familien- und Zeitgeschichtsforscher in den Fokus und "macht ihre Bedeutung klar", wie Bürgermeister Kerle sagte. Die akademische Feier ging übrigens ganz unakademisch und echt altomünsterisch zu Ende.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: