Ahnenforschung:Der Tod und das Marterl

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Das Marterl am Augustinerring stellten die Geschwister auf. (Foto: Toni Heigl)

137 Jahre nach dem folgenschweren Bad des Münchner Arztes Heinrich Schmederer in der Glonn wird wieder an sein Schicksal erinnert.

Von Benjamin Emonts, Markt Indersdorf

Der Amperbote berichtet im Juni 1880 über einen tragischen Todesfall in der Marktgemeinde Indersdorf. Der Münchner Arzt Heinrich Schmederer, der im damaligen Distriktskrankenhaus die Leiche eines ermordeten Dienstknechts zu inspizieren hatte, war nach dem Mittagessen in der Klosterbrauerei Baden gegangen und nicht wieder aufgetaucht. Einen Tag später zog man seine Leiche vor etlichen Schaulustigen aus der Glonn. Und die tief trauernden Schmederer-Geschwister ließen als Andenken ein vier Meter hohes Kreuz am Unglücksort errichten: das "Schmederer-Marterl."

Über die Ursache des Ertrinkens wurde noch wochenlang im Dorf spekuliert. Einige behaupteten, der junge Schmederer, übrigens ein exzellenter Schwimmer, sei übermütig und betrunken gewesen, als er unmittelbar nach dem Mittagsmahl in die Glonn gesprungen war. Andere wiederum glaubten, der volle Magen und die plötzliche Abkühlung an dem heißen Sommertag hätten den Kreislauf des jungen Arztes zum Erliegen gebracht. Der Dachauer Heimatforscher Alois Angerpointner bemerkte hingegen in seinen "Altbairischen Sagen": "Die Glonn hatte seinerzeit vor ihrer Regulierung ganz gefährliche Gumpen, die einen starken Sog ausübten." Schließlich wies der damalige Klosterwirt den Verdacht entschieden zurück, seine Brotzeit könnte Schuld am großen Unglück gewesen sein. Stattdessen stellte er mit verschwörerischer Miene fest, dass der Mörder des erstochenen Röhrmooser Dienstknechts Raimund Fleischmann immer noch nicht gefasst sei. War es also vielleicht sogar ein Verbrechen?

"Passt's auf, sonst ergeht's Euch so wie dem Schmederer"

Was wirklich die Ursache war, konnte nie abschließend geklärt werden. Die Geschichte vom Schicksal des jungen Schmederer aber lebte fort und wird besonders dieser Tage wieder häufig erzählt. Denn das Marterl, das an das Unglück erinnert, wurde erst vor wenigen Tagen wieder aufgestellt, nachdem es im Landkreis Ebersberg zwei Jahre lang aufwendig restauriert worden war. Es steht jetzt wenige Meter vom damaligen Unglücksort entfernt, neben einem Taubenschlag und kleinen Ahornbäumen am Augustinerring am Indersdorfer Volksfestparkplatz. Pfarrer Stefan Hauptmann wird das Kreuz an diesem Sonntag, 11.15 Uhr, in einer Zeremonie mit Politikern und geschichtsinteressierten Bürgern weihen. "Das ist eine ganz tolle Geschichte", kündigt der Indersdorfer Bürgermeister Franz Obesser (CSU) an. Über das Schicksal vom Schmederer habe er bis vor kurzem gar nichts gewusst.

Zum Glück aber wurde vor mehr als zwei Jahren Jürgen Haß aus dem örtlichen Heimatverein auf das langsam verfallende Marterl aufmerksam. Sein Gesuch, die Gemeinde möge das Kreuz restaurieren, wurde aus Kostengründen abgelehnt. Folglich begab sich der umtriebige Heimatforscher auf die Suche nach Hinterbliebenen des Doktors Schmederer, die sich seines Denkmals annehmen könnten. Seine Nachforschungen führten ihn zu einer Familie namens Otter aus Ebersberg. Martin Otter und seine Frau Monika waren anfangs völlig ahnungslos, als Haß bei ihnen anrief. Aber es stimmte. Martin Otters Mutter Irmgard erzählte, dass Schmederer der Bruder ihres Ur-Großvaters gewesen sei. Schon als Kind sei sie gewarnt worden, mit vollem Bauch nicht ins Wasser zu springen. "Passt's auf, sonst ergeht's Euch so wie dem Schmederer", soll es immer geheißen haben.

Die Neugierde der Otters war nun endgültig geweckt - das Familiendenkmal sollte erhalten bleiben. Martin Otter nahm die völlig neuen Erkenntnisse zum Anlass, sich tiefer mit seiner Familiengeschichte zu befassen. Er fand heraus, dass das älteste der sechs Schmederer-Geschwister, Franz Xaver, der Mitbegründer der Paulaner-Brauerei war. Vom kleinsten Bruder namens Max stammt der Grundstock der heutigen Krippen-Sammlung des Münchner Nationalmuseums. Otter fand das Original von Schmederers Doktorarbeit mit dem Titel "Lyssa Humana" über die Auswirkungen der Tollwut auf den Menschen. Schließlich tauchte aus dem Jahre 1903 ein handschriftlich verfasstes Buch von Franz Xaver Schmederer über die Familiengeschichte auf. Sein Bruder Heinrich war offenbar sehr reiselustig, wie daraus hervorgeht. Nach dem Studium in Straßburg unternahm er Bildungsreisen nach Berlin, London, Paris und Neapel, ehe er 1879 "seine ärztliche Praxis" antrat. Über Heinrichs tragischen Tod steht geschrieben: "Nichtsdestoweniger nahm mein Bruder nach hastig eingenommener Mahlzeit mit vollem Magen und bei der ziemlich kalten Temperatur trotz dem Abraten seines Collegen noch ein Bad in der Glon, was ihm zum Verhängnis werden sollte."

Gerüchte von Spuk

Vor zwei Jahren holten die Otters das Marterl in den Landkreis Ebersberg, um es dem Restaurator Hans Wunderer aus Grafing anzuvertrauen. Mit viel Aufwand, Leidenschaft und der nötigen finanziellen Unterstützung von Irmgard Otter wurde das Kreuz restauriert und ergänzt. So wurden das edle Eichenholz, das Bildnis der Maria aus Mosaiksteinen und das Kupferdach aufbereitet und teilweise erneuert. Und die Gemeinde betonierte einen neuen Sockel für das Kreuz.

Es ist anzunehmen, dass die Indersdorfer das Marterl heute lieber passieren als damals. "Aber schon bald ging im Markt das Gerücht um: Beim Schmederer-Kreuz spukt's; es reigiert umananda", schreibt Angerpointner in seinen Sagen. Einmal soll ein Geist erschienen sein, ein andermal ein großohriger Hund. "Alt und jung ging daher bei einbrechender Dunkelheit gar nicht mehr gerne an der Unglücksstelle vorbei." Doch über den gruseligen Part der Geschichte wissen heute die wenigsten Bescheid, zumal lange keine Geister mehr in Indersdorf gesichtet wurden. Das Rätsel um die schwer lesbare Inschrift des Marterls, "errichtet von den trauernden Geschwistern", soll aber gelüftet werden. Es heißt in alter Schrift: "Unweit dieser Stelle flussabwärts fand Herr Dr. Heinr. Schmederer, prakt. Arzt aus München, am 24. Juni 1880, im Alter von 29 Jahren in den Fluten der Glon, gelegentlich eines Bades, seinen Tod. Er ruhe in Frieden."

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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