Comicfestival:Nach Strich und Farben

In der Alten Kongresshalle können die Fans nicht nur Bücher signieren lassen und mit den Künstlern reden, sondern auch selbst lernen, wie man Comics zeichnet

Von Sabine Buchwald

Nach den verregneten Wochen fällt die Entscheidung Comic oder Schwimmbad wohl vielen nicht leicht. Wer nicht eingefleischter Fan der Zeichnerkunst ist, hat sich am Donnerstag, dem Eröffnungstag des viertägigen Festivals, offenbar für Outdoor-Aktivitäten entschieden. Etwa 2000 Eintrittskarten wurden nur verkauft, wie Festivalleiter Heiner Lünstedt etwas zerknirscht registrieren muss. Vor zwei Jahren zählte man insgesamt etwa 12 000 Besucher. Nach dem mauen Auftakt ist fraglich, ob diese Marke heuer erreicht werden kann. Dabei ist die Alte Kongresshalle oberhalb der Theresienwiese gerade einer der chilligsten Orte der Stadt und erweist sich als geeigneter Austragungsort für dieses Festival. Alle 60 großen und kleinen Verlage präsentieren sich unter einem Dach. Dazu bleibt noch genügend Raum für Nebenveranstaltungen.

Die Gäste aus dem In- und Ausland erleben hier München von seiner besten Seite. Ein Klischee-München. Fernab des Getümmels in der Innenstadt, dennoch gut mit der U-Bahn erreichbar. Zudem Biergartenwetter mit Biergartenmöglichkeit. Die nutzte denn auch Rufus Dayglo, der Neu-Berliner, der eigentlich aus London stammt und als einer der Vertreter des Comic-Gastlandes Großbritannien in München ist. Er hat eines der Postermotive des Festivals geschaffen mit zwei schaumgekrönten Bierkrügen als Brille in einem lachenden Gesicht. Er hoffte wohl genau das zu erleben, was er am Donnerstagnachmittag dann tut: einfach abhängen mit einem Bier. Wie einige andere Künstler präsentierte sich der auffällig tätowierte und ebenso auffällig freundliche Zeichner im Eingangsbereich an einem eigenen kleinen Stand. Innerhalb weniger Stunden hat er seine Sketchbooks unter die Leute gebracht. Mit einem derartigen Interesse habe er nicht gerechnet, sagt er. Eine Weile noch steht er für Fragen zur Verfügung, dann verschwindet er unter die Kastanien.

Comics aus Dayglos Heimat - wer sie nicht kennt, dem gibt die Schau in der Kongresshalle einen guten Überblick. Figuren mit der feixenden Guy-Fawkes-Maske empfangen dort. David Lloyd hat die Maske entworfen und den verhinderten Umstürzler in der Graphic Novel "V wie Vendetta" weltweit populär gemacht. Sie wurde zum Symbol der Occupy-Wall-Street-Bewegung und erinnert an die Anfänge des Comics auf den britischen Inseln, die auf das Puppenspiel "Punch and Judy" zurückgehen. Eckart Sackmann wird am Samstag um 15 Uhr sicher darauf zu sprechen kommen, wenn er über die "Frühzeit des britischen Comics" referiert. Schön zu sehen ist auch, dass Willi Wacker, der rauchende Prolo-Typ mit der Schiebermütze, eigentlich Andy Capp heißt. Reg Smythe hatte ihn Ende der Fünfzigerjahre als Cartoon-Strip für den Daily Mirror entworfen.

Es ist die Mischung aus Ausstellungen (an vielen Orten in der Stadt), Vorträgen, Workshops und der Möglichkeit, sich einen Überblick über die Verlagsszene zu verschaffen, die Comic-Festivals so interessant machen. Die Münchner Schau ist nach Erlangen die zweitgrößte im deutschsprachigen Raum. Die beiden Festivals finden alternierend alle zwei Jahre statt. Und obwohl sich die Szene schon seit 30 Jahren in München trifft, hat es in den vergangenen Jahren noch an Bedeutung gewonnen. Viel ist der privaten Initiative der Helfer um Heiner Lünstedt zu verdanken. Man kennt sich, trifft sich auf den sehr viel größeren Festivals im Ausland wie in Angoulême oder in San Diego. Man spricht miteinander, fasst Vertrauen. Ältere Arbeiten, aus den Anfangszeiten des Comics vor bald 100 Jahren, werden mittlerweile für vier- bis fünfstellige Summen gehandelt. Damit steigt der Versicherungswert, der ein Budget schnell sprengen kann. Gerade dann ist es wichtig, dass Freunde Stücke zur Verfügung stellen. So wie im Fall der Schau über den Spirit-Zeichner Will Eisner im Jüdischen Museum.

Was in anderen Kunstausstellungen fast undenkbar ist, gehört im Comicbereich durchaus zur Normalität: Original und Reproduktion hängen nebeneinander. Beides hat seine Berechtigung. Schön zu sehen ist das bei der umfangreichen Schau mit Arbeiten von Reinhard Kleist. Der in Berlin lebende Comic-Zeichner und Illustrator gehört zu den Großen der deutschen Szene. Er hat in den vergangenen Jahren viel an Biografien gearbeitet, sich etwa in das Leben des Boxers und Auschwitz-Überlebenden Hertzko Haft und in die psychischen Abgründe von Johnny Cash und Fidel Castro hineinversetzt. Im Moment arbeitet Kleist an der Geschichte des Sängers Nick Cave. Zu dem passt besonders gut Kleists Schwarzweiß-Stil, wie die ersten Arbeiten zu dem neuen Buch beweisen. Interessant: die ausführlichen Anmerkungen eines Lektors auf Originalblättern zu "Der Boxer". Er kritisiert die Texte, die in ihrer platzbedingten Knappheit eine Kunst für sich darstellen. Ebenfalls diesen Samstag sind Kleist und Dave McKean um 17 Uhr auf dem Festival im Künstlergespräch zu erleben.

Den Künstlern nahe kommen, das ist eine der großartigen Möglichkeiten des Festivals. Auf der Bühne der Kongresshalle sitzen abwechselnd Zeichner zum Signieren ihrer Bände. Ihr Erscheinen wird über Lautsprecher angesagt: Arne Bellstorf, Eddie Campbell und viele, viele mehr. Auch wenn die Schlange vor ihnen noch so lang ist, sie lassen sich Zeit, malen ein Bild, schreiben eine Widmung. Das macht ihre Bücher für Sammler wertvoll, aber auch Spaß, ihnen beim Zeichnen zuzusehen.

Eine Erfahrung, die sich besonders intensiv bei den Zeichenkursen machen lässt. Angekündigt sind sie für Kinder, aber auch Erwachsene lassen sich nicht abhalten. Sie finden in den kühlen Nebenräumen der Kongresshalle statt. Ulrich Schröder, früher für das Qualitätsmanagement bei Disney Europa zuständig, erklärt seelenruhig, wie man aus drei Kreisen ein Micky-Maus-Gesicht hinbekommt. Etwa 20 Teilnehmer üben mit ernsten Gesichtern am Freitag, ihm das nachzumachen. Eigens aus den USA angereist ist Vicky Scott, Peanuts-Zeichnerin. Blonde, schulterlange Haare, dunkelrot lackierte Fingernägel, ein durchgängiges Lachen in der Stimme. Wie sie da steht vor dem Flipchart, wünscht man sie augenblicklich allen Kindern dieser Welt als Kunstlehrerin. Gleichzeitig gibt sie Sprachunterricht, denn sie spricht auf Englisch und wird übersetzt. Linus sei der schwierigste Charakter, sagt Scott. Bei Lucy könne man den Mund nicht groß genug zeichnen. Und Charlie Brown, Achtung, sein Kopf ist nicht wirklich rund.

Bei Carlsen, Marvel, Reprodukt oder am Stand der Nürnberger Ultra Comix schmökern, das kann so schön sein, wie in einen Pool springen. Sofort ins Gespräch kommt man hier auf jeden Fall. Das Marsupilami ist in Neuauflagen der alten Bände und in einem 19., auf Deutsch übersetzten Heft, wieder da. Und auch sein Zeichner Bâtem kommt am Samstag zu Besuch.

Und dann gibt es noch unerwartete Entdeckungen zu machen: Das Nönchen alias Sonja Getzinger, von der geschlossenen Wiener Kunstschule, zeigt ihre Diplomarbeit. Die Geschichte eines Irrlichtes, gemalt mit Schwarzlichtfarben und nur unter Schwarzlicht zu erkennen. Oder Christopher de la Garza, der nach Geldgebern sucht für seine Zukunftsstory "Hemisphere" und von Nachhaltigkeit spricht, eine Mönchsfigur in Bienenwachs vor Augen.

Münchner Comicfestival, noch Sa., 6. Juni, 10-19 Uhr, und So., 7. Juni, 10-18 Uhr, Alte Kongresshalle. Programm: www.comicfestival-muenchen.de.

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