Cineasten:Jäger der verlorenen Schätze

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Während Film heute für manche Streaming bedeutet, horten andere ganz altmodisch Plakate, Programmhefte und Autogrammkarten. In einem Laden an der Müllerstraße, einem der letzten seiner Art, werden sie fündig

Von Stefan Mühleisen, Altstadt

Natürlich kann sich Wilhelm Pape an sein erstes Mal erinnern. Es war das Jahr 1951, ein Kinoabend, der Film: "Schütze Bumm in Nöten", ein schwedischer Kommiss-Streifen. Pape musste damals in Düsseldorf allein ins Kino, um - bei einem Budget von einer D-Mark - mit seinem Schatz nach Hause gehen zu können: dem Programmheft zum Film, einer Begleitbroschüre mit Angaben zu Plot, Stab und Besetzung für die Filmvorführung. "Ich konnte es nicht mehr lassen", gibt der 78-Jährige zu, fortan hingerissen vom Kintopp, vernarrt in die Druckwerke. Er hat heute 11 100 Nummern, abgelegt in 62 Ordnern. Die rechte Hand zärtlich auf einem dicken Heftstoß gelegt, schwärmt er dann von diesem Geschäft an der Müllerstraße, zu dem er seit langen Jahren eigens aus Düsseldorf anreist. "Dieser Laden ist unentbehrlich", stellt er klar.

Der Laden trägt den schlichten Namen "Film Oldies" und zählt deutschlandweit zu den letzten seiner Art; es ist ein Fachgeschäft für Film-Verrückte, die ihrerseits eine rapide schrumpfende Gattung sind. Ein Antiquariat für jene Cineasten, die es nicht lassen können, nach Abdrucken ihrer Leidenschaft zu suchen: Filmplakate, Programmhefte, Autogrammkarten von Schauspielern. Dazu handkolorierte Fotografien von Filmszenen und Pressefotos, wie sie die Kinos früher in ihre Schaukästen hingen. Eine Anlaufstelle für vom Kino Verzückte, die das Drumherum um den Film und die Darsteller als wertvolle Artefakte begreifen. "Es sind Kulturgüter", sagt Wilhelm Pape. Neben ihm nickt Felix Felzmann, 77. "Ich genieße es, dass es diesen Laden noch gibt."

Sammlerglück: Dieter Hofmann (links) betreibt seit 21 Jahren seinen Laden "Film Oldies", in dem Film-Verrückte wie Felix Felzmann (rechts) nach raren Filmplakaten stöbern. (Foto: Robert Haas)

Die beiden Stammkunden sind an diesem Vormittag ziemlich gelöst, denn sie wissen: Der Fortbestand des Ladens, den es seit 21 Jahren gibt, war auf der Kippe - und nun ist klar, dass Pächter Dieter Hofmann ihn nicht aufgeben wird. "Es wäre mittelfristig sehr schwierig geworden, das Geschäft zu halten", sagt der 57-Jährige. Er meint die Mietlast und die Personalkosten bei - trotz Einnahmen aus dem Online-Handel - kargem Gewinn in dieser Branchen-Nische. Doch seit einigen Wochen belegt ein Bekannter Hofmanns mit seinem Antiquitäten-Handel die Hälfte des Ladens, sie teilen sich die Kosten. Ein Glücksfall für beide: Der eine hat endlich eine Ladenfläche, der andere kann seine, etwas reduziert, behalten. Ein Segen außerdem für die Sammlergemeinde.

Kino-Begeisterte finden hier einen reichen Fundus der weiten Filmwelt vor. In den Regalen reihen sich DVD-Filme; an den Wänden und in Mappen warten Jahrzehnte alte Druckwerke darauf, begutachtet zu werden. Es türmen sich Szenen-Fotos von mannigfachen Klassikern, auf denen etwa Clark Gable in "Vom Winde verweht" sein Pokerface zeigt; Clint Eastwood und Lee van Cleef halten die Colts bereit auf einem Plakat von "Für ein paar Dollar mehr". Für Fans von "Star Wars" liegen Bilder des Laserschwert-schwingenden Mark Hamill aus. Begünstigt wird die Stöber-Atmosphäre nun von den Antiquitäten: allerlei Ölgemälde, Porzellanfiguren, Nußbaum-Möbel.

Autogrammkarten gehören zu den beliebten Sammlerobjekten. (Foto: Robert Haas)

Es gibt noch einen Markt für Film-Memorabilien, er spielt sich allerdings fast nur im Internet ab. Vergleichbare Läden haben nach Kenntnis von Hofmann und den beiden Stammkunden nur je einer in Hamburg und Berlin überlebt. Vor 20 Jahren soll es noch ein halbes Dutzend Händler in München gegeben haben - alle außer Hofmann haben aufgeben. Damals gab es auch noch jede Menge Filmbörsen - in München, Berlin, Frankfurt. Hofmann reiste schon zu Studienzeiten, längst gepackt von der Film-Obsession, kreuz und quer durch die Republik, sammelte und sammelte. Sein heutiges Inventar kann er nur schätzen: "mehrere hunderttausend" Drucke, verteilt auf mehrere Lager.

Wertvoll sind die seltenen Perlen. Ein Original-Erstaufführungsplakat von "Vom Winde verweht" wird für rund 3000 Euro gehandelt; Drucke von Wiederaufführungen aus den Siebzigerjahren sind dagegen schon für 30 Euro zu haben. Eines von Hofmanns Glanzstücken: ein original Siebdruck der "Hamlet"-Literaturverfilmung mit Asta Nielsen von 1921. Sein Preis: 6000 Euro. "Keine Ahnung, ob das jemals jemand kauft", sagt er.

Den meisten Umsatz macht Hofmann mittlerweile mit seinem Online-Shop bei Ebay, anders ginge es gar nicht. Lange konnte er vom DVD-Verkauf gut leben - bis Streaming-Dienste wie Netflix aufkamen. "Seitdem sind die Laufkunden weg", sagt der 57-Jährige. Kaum jemand will mehr zu den bewegten Bildern etwas in den Händen halten. Außer Sammler wie Wilhelm Pape, der jetzt beginnt, den Stapel Programmhefte durchzuackern. Bis Ende der 1960er Jahre gab es in der BRD viele Heft-Serien, Pape hat sich auf sieben konzentriert, darunter die "Illustrierte Film-Bühne" mit allein 8069 Nummern. "Das letzte Mal habe ich fünf Stunden gebraucht. Die Ausbeute waren 72 Hefte. Sensationell!", sagt er strahlend. So sieht Sammlerglück aus. Neben ihm blättert Felix Felzmann Filmplakate durch. 700 hat der Münchner gehortet, dazu bergeweise Material zu Schauspielern. Seine umfangreiche Sammlung zu Hans Albers hat er, als der zweite Keller voll war, dem Film-Museum in Potsdam verkauft.

Wilhelm Pape sucht nach alten Programmheften. (Foto: Robert Haas)

In solchen Institutionen arbeiten mitunter professionelle Film-Verrückte, wie zum Beispiel Fritz Tauber, Archivleiter der Hochschule für Film und Fernsehen München (HFF), einer ist. Bei ihm war es Hollywoodstar Gary Cooper, Darsteller geradliniger Helden, der die Kintopp-Leidenschaft zum Lodern brachte. Tauber kennt und schätzt Hofmanns Laden. Und er weiß traurig zu berichten, dass sich die Studenten kaum mehr für Filmgeschichte interessieren - und die Gemeinde derer ausstirbt, die dem Quellenmaterial der Filmwissenschaft als Kulturgut gebührende Wertschätzung entgegenbringt. "Dabei macht es doch so wahnsinnig Spaß", sagt er - und erzählt von seinem größten Beutefang: ein Original-Plakat von der Erstaufführung des Klassikers "Casablanca", gefunden Anfang der Achtzigerjahre auf einem Flohmarkt für 20 Mark. "Sensationell", sagt er.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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