Christopher-Street-Day-Parade in Kiew:Zwanzig Minuten Anerkennung

Kiew CSD Gay Pride 2013

Eine Delegation aus München ist zum Christopher-Street-Day nach Kiew gereist.

(Foto: Silke Lode)

Die orthodoxe Kirche und rechte Parteien machen Homosexuellen in der Ukraine das Leben schwer. Mit Münchner Beteiligung errangen sie nun einen ersten Sieg. Doch die Anspannung ist groß bei der ersten Christopher-Street-Day-Parade in Kiew. Ob die Polizei Wort hält - darauf will niemand wetten.

Von Silke Lode

Es waren nur 20 Minuten. Nur 200 Meter. Aber diese 20 Minuten haben aus dem 25. Mai 2013 einen historischen Tag für die Ukraine gemacht, da ist sich die Menschenrechtsaktivistin Olena Semenova sicher. An diesem Samstag hat in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zum ersten Mal ein Marsch für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern stattgefunden. Ein "Pride-Marsch" für Gleichstellung, wie die Teilnehmer immer wieder betonen, keine Demo für Sonderrechte.

Die Umstände waren denkbar widrig: 2012 mussten die Veranstalter den ersten Christopher-Street-Day (CSD) kurzfristig absagen, weil die Polizei ihn nicht schützen wollte. Seither sind schwulenfeindliche Gesetze erst auf den Weg gebracht und dann wieder auf Eis gelegt worden. Die orthodoxe Kirche und rechte Parteien wie die "Swoboda" (Freiheit) schüren Homophobie, in diesem Jahr gab es schon zwei Wochen vor dem Marsch erste Gegendemos. Der Druck der Straße ist so groß, dass im Parlament ein Anti-Diskriminierungsgesetz nicht verabschiedet wird, obwohl es die Regierungspartei eingebracht hat.

Zwei Tage vor dem geplanten Marsch verbietet ein Gericht mit Verweis auf die Feier zum Stadtgründungstag alle weiteren Veranstaltungen in der Innenstadt. Die Organisatoren sind wütend. So wütend, dass es ihnen gelingt, mit unglaublicher Hartnäckigkeit innerhalb von 36 Stunden einen Plan B zu erarbeiten. Das Ergebnis: 20 Minuten, 200 Meter. Friedlich ist der CSD nur wegen der massiven Polizeipräsenz geblieben. Ausgerechnet die Polizei, die im letzten Jahr nur gelangweilt am Rande stand. "Sie hat das nur wegen des Drucks aus Europa gemacht", sagt Bogdan Ovcharuk von Amnesty International. Mehrere europäische Botschaften in Kiew hatten beim Innenministerium protestiert, das Europaparlament meldete sich zu Wort und aus dem Münchner Rathaus schickte Oberbürgermeister Christian Ude mehrere Briefe an die Partnerstadt.

Aber München hat noch etwas anderes getan: Eine fast 20-köpfige Delegation ist nach Kiew gereist, angeführt vom Dritten Bürgermeister Hep Monatzeder (Grüne).

Sein Besuch hat ein gehöriges Maß an Geschäftigkeit ausgelöst: Die ukrainischen Medien stürzen sich mit Begeisterung auf ihn. Im Fernsehinterview erklärt Monatzeder, er sei nicht gekommen, um der Stadt Kiew Ratschläge zu erteilen - sondern um Solidarität zu zeigen: "Wir sind gegen Diskriminierung, egal ob aufgrund der Hautfarbe, Religion oder eben der sexuellen Orientierung. Für den sozialen Frieden einer Stadt ist es immens wichtig, gerade die Minderheiten zu schützen. München hat damit gute Erfahrung gemacht." Plötzlich will auch die Polizei ganz genau wissen, wo sich die Münchner aufhalten werden. Monatzeder bekommt sogar seinen eigenen Kontaktmann. Die CSD-Organisatoren lassen sie wissen: "Wir können und werden den Pride schützen."

Im Netz kursiert ein Papier, das alle erschreckt

Trotzdem ist die Anspannung groß. Neben Monatzeder und den beiden Stadträten Reinhard Bauer (SPD) und Lydia Dietrich (Grüne) gehören die meisten anderen Delegationsmitglieder zur schwul-lesbischen Szene. Sie tragen nicht nur ihre Kosten selbst, sondern haben auch noch Spenden gesammelt. Denn rund um den CSD findet in Kiew eine ganze Pride-Woche statt mit Ausstellungen, Partys und Empfängen, die auch finanziert sein wollen.

Am Abend vor der Demo sitzt die Delegation mit Aktivisten und anderen Unterstützern im Innenhof der niederländischen Botschaft. Wo die Demo stattfinden wird, ist nach wie vor geheim, kommen darf nur, wer sich vorher über Vertrauensleute angemeldet hat. Und ob die Polizei Wort hält - darauf will niemand wetten.

Olena Semenova macht sich ernsthaft Sorgen. Im Internet kursiert ein Papier, das alle sehr erschreckt hat: "Das ist eine richtige Anleitung, wie man Schwule verprügelt", berichtet Semenova. "Da wollen Leute mit Vorsatz, dass es Gewalt beim Pride gibt."

"Verstecken hat auch nichts gebracht"

Aufhalten kann Semenova das aber nicht, genauso wenig wie ihren Mitstreiter Taras Karasyichuk. Er hat schon 2012 den CSD organisiert - und abgesagt. Verprügelt wurde er trotzdem: Schläger haben ihm den Kiefer doppelt gebrochen. Aber er hat weitergemacht. Seit Tagen verhandelt er fast ununterbrochen mit den Behörden, mit der Polizei, mit der Szene in Kiew. Denn es gibt durchaus auch Schwule, die die Zeit noch nicht für reif halten, um auf der Straße für ihre Rechte zu kämpfen.

"Verstecken hat auch nichts gebracht", hält Karasyichuk dagegen. Anderen ist er zu kompromissbereit, denn der Pride ist durch die Registrierung nicht für alle offen. Karasyichuk meint, fürs erste Mal sei das okay. "Ich kann mir mich selbst ohne diese Arbeit nicht vorstellen", sagt er. Sein Motiv? "Unter diesen Bedingungen kann ich nicht mehr leben." Eine Beobachterin bringt die Einstellung vieler Menschen zum Thema Homosexualität auf den Punkt: "Lieber eine Tochter, die Prostituierte ist, als ein schwuler Sohn."

Der nächste Tag beginnt so früh, dass noch kaum Verkehr auf Kiews notorisch verstopften Straßen ist. Die Münchner sollen vor einem Hotel abgeholt werden. Hep Monatzeder verteilt Anstecknadeln mit dem Stadtwappen, Reinhard Bauer Sonnencreme. Es soll warm werden. Außerdem empfehlen das die Sicherheitsrichtlinien von Amnesty. Dort steht auch, wie man sich gegen Tränengasangriffe schützt oder wie man seinen Rucksack trägt. Die ukrainischen Helfer erklären weitere Regeln: Keine Kommunikation mit den Gegnern. Auf keinen Fall die Metro benutzen. "Und vergesst nicht, zu lächeln!"

Dann setzt sich die Kolonne aus sechs weißen Kleinbussen mit schwarz getönten Scheiben in Bewegung, eine Polizeistreife mit Blaulicht fährt voraus. Keiner in den Bussen weiß, wohin es gehen soll. Aber die Gegner wissen es: Eine Menschenmenge mit Kreuzen, Ikonen und Transparenten hat sich am Weg formiert. Die Organisatoren vermuten, dass jemand von der Polizei oder den Behörden ihnen den geheimen Plan verraten hat.

Doch die Sicherheitskräfte halten Wort: Mit Dutzenden Bussen riegeln sie den Rand einer Ausfallstraße nach Westen ab, der Pride formiert sich zwischen den Fahrzeugen und einem Zaun auf dem breiten Gehweg. Von der fröhlichen Stimmung des Münchner CSD fehlt hier jede Spur. Medien aus aller Welt sind vertreten, auch alle wichtigen Organe aus der Ukraine. Den gut 100 Teilnehmern aus dem ganzen Land und einigen Nachbarstaaten ist das sehr wichtig. Die Medien sind bei dem abgeschirmten Marsch drei Kilometer entfernt vom Zentrum der einzige Weg an die Öffentlichkeit. Die Münchner tragen ein bewusst unpolitisches Transparent vor sich her. "München grüßt seine Partnerstadt Kiew" steht in zwei Sprachen darauf. Nur ein leuchtender Regenbogen deutet darauf hin, worum es hier geht. Um Monatzeder bildet sich eine Reporter-Traube, auch Reinhard Bauers Freundin ist begehrt: Sie spricht Russisch.

"Wir haben es geschafft!"

Nach den ersten Metern bricht eine Frau fast in Tränen aus, nimmt Olena Semenova in den Arm. Es ist die niederländische grüne Europaabgeordnete Marije Cornelissen: "Das kann dir niemand mehr wegnehmen, wir haben es geschafft!" Regenbogenfahnen werden geschwenkt, die Ukrainer skandieren "Menschenrechte sind meine Rechte". Störern gelingt es, die Reihen der martialisch aussehenden Sondereinheiten zu durchbrechen. Sie versuchen, Fahnen und Plakate niederzureißen, ein Knallkörper fliegt, ein Mann beschimpft die Münchner als "Schwuchteln". Jenseits der Polizeibarriere fallen Orthodoxe auf die Knie und beten gegen Sodomie.

Am Ende der 200 Meter schleust die Polizei alle CSD-Teilnehmer einzeln durch ein Gittertor in einen Park. Es beginnt eine Irrfahrt durch die ganze Stadt. Der Konvoi löst sich auf und verstreut sich in alle Winde, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Die Ukrainer sind wie in Trance: "Ich kann gar nicht glauben, dass das passiert ist", sagt eine junge Frau. Ein Helfer ergreift das Mikrofon im Bus: "Es ist noch nicht vorbei", warnt er. "Der Pride war super, unsere Gegner werden sauer sein. Geht nicht in die Innenstadt, dort suchen sie uns." Zeit für Wechselkleidung, Sonnenbrillen und Kappen.

Die Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich sieht erschöpft aus, aber glücklich. "Das war ein wichtiger erster Schritt", sagt sie. Dietrich hat die Kooperation zwischen München und Kiew mit angeschoben und ist jetzt auch ein bisschen stolz. "Mir geht es darum, eine Bewegung für Menschenrechte zu unterstützen", sagt sie. "Heute haben wir ein Zeichen über Kiew hinaus in die Region gesetzt. Daran mitzuarbeiten ist einfach toll."

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