Christopher Street Day in München:Schluss mit lustig

Für viele ist der Christopher Street Day eine schrille Spaßveranstaltung. Doch wenn am Wochenende in München tausende Schwule und Lesben feiern, wird die Parade politischer sein als in den Jahren zuvor. Denn neuerdings gibt es wieder mehr Anfeindungen gegen Homosexuelle - auch in Deutschland.

Andreas Schubert

Schrill, laut, bunt: An diesem Samstag ziehen sie wieder durch die Straßen, die Drag-Queens mit aufwendigen Kostümen, Männer und Frauen in Lack und Leder, und eher unauffällig Gewandete mit Transparenten, die sich gegen Homophobie und für Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen aussprechen.

30. Christopher Street Day in München, 2010

Ob am Münchner Gärtnerplatz, im Rathaus-Innenhof oder am Marienplatz: Beim CSD geht es schrill und laut zu. Doch hinter der ganzen Gaudi steht ein ernstes Anliegen: Die Forderung nach Toleranz gegenüber Minderheiten.

(Foto: Catherina Hess)

Die Parade ist der Höhepunkt des CSD, des Christopher Street Day. Wie auch in den vergangenen Jahren fahren als Blickfang vorneweg die "Dykes on bikes", die lesbischen Motorradfahrerinnen.

Wenn um 12 Uhr am Münchner Marienplatz der Startschuss für die Parade gefallen ist, ziehen Tausende über Marienhof, Promenadeplatz und Stachus, dann weiter über Sendlinger Tor, Müller- und Corneliusstraße, Gärtner- und Reichenbachplatz sowie Isartor und Tal zum Viktualienmarkt. Mit 5000 bis 10.000 Teilnehmern rechnet CSD-Sprecherin Rita Braaz.

Und auf dem Programm stehen zwei Tage lang unter anderem Open-Air-Disco am Rindermarkt, Clubbing im Rathaus, Musikprogramm am Marienplatz - viel Spaß eben!

Doch während der CSD zuletzt von vielen nur noch als reine Gaudiveranstaltung wahrgenommen wurde, soll dieses Jahr der politische Aspekt wieder in den Vordergrund rücken. So hat Oberbürgermeister Christian Ude den diesjährigen CSD bereits als den "thematisch wichtigsten" der vergangenen Jahre bezeichnet. Denn das Motto "Fight for global rights - Solidarität kennt keine Grenzen" soll auf die Situation von Lesben, Schwulen und Transsexuellen in der ganzen Welt aufmerksam machen.

Die Meinung des Oberbürgermeisters teilt auch Rita Braaz. Denn in vielen Ländern werden Homosexuelle nach wie vor angefeindet oder sogar angegriffen. In Russland zum Beispiel wurden sogar Gesetze verschärft und die "Propaganda von Homosexualität" unter Strafe gestellt.

Das heißt: Schwule und Lesben sollen aus der Öffentlichkeit verschwinden, nicht einmal mehr öffentlich Händchen halten und erst recht nicht auf einer Parade auftreten. So wurde unter anderem der Christopher Street Day in St. Petersburg von den Behörden verboten, sehr zum Gefallen der russisch-orthodoxen Kirche.

Und auch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew fiel die Parade wegen der Bedrohung durch rechte und religiöse Gruppen aus. "Erschreckende Nachrichten" nennt das Rita Braaz, sie sieht darin einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechte. "Es kann nicht sein, dass im Jahr 2012 solche Unrechtsgesetze erlassen werden."

"In der Gesellschaft gibt es noch immer viel Homophobie"

Auch Amnesty International hat sich längst dieser Problematik angenommen. So setzt sich die Gruppe Queeramnesty speziell für Minderheiten ein, die wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligt und verfolgt werden. "In den arabischen Ländern ist es extrem", sagt Flu Bäurle von der Münchner Queeramnesty-Gruppe.

30. Christopher Street Day in München, 2010

Bunte Kostüme und nackte Haut gehören zu der Parade ebenso wie der Auftritt der Dykes on bikes, der lesbischen Motorradfahrerinnen.

Auch in vielen afrikanischen und ostasiatischen Ländern litten Homosexuelle unter starken Restriktionen. Auch hierzulande will Amnesty durch Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit ein Bewusstsein für diese Probleme schaffen. Unter anderem gehen Amnesty-Mitarbeiter dazu in Schulen. "Auch wenn es nicht in allen erwünscht ist, schwul-lesbische Aufklärung zu betreiben", wie Bäurle bedauert. "Das wollen viele Eltern nicht."

Unter anderem diese Ablehnung ist für viele Aktivisten ein Zeichen, dass es auch in Deutschland noch immer eine Menge Ressentiments gegenüber Schwulen und Lesben gibt. "In vielen Schulhöfen hört man heute wieder das Schimpfwort ,schwule Sau'", berichtet zum Beispiel Peter Priller von der Münchner Beratungsstelle Rosa Alter.

Früher war er mal katholischer Priester, heute ist er Sozialarbeiter. Zwar gebe es Homosexuelle wie die Fernsehmoderatorin Anne Will oder Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, deren Prominenz so einiges zur Akzeptanz von Schwulen und Lesben beitrage. "Dennoch gibt es noch viel zu tun", sagt Priller.

Als Beispiel nennt er die Tatsache, dass erst Ende Juni im Bundestag die völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare gescheitert ist. "In der Gesellschaft gibt es noch immer viel Homophobie", sagt er. "Richtet man den Blick dann noch auf Osteuropa, sieht man, dass der Wind für unsere Community rauer geworden ist."

Das sieht auch Rita Braaz so. Sie will nicht ausschließen, dass sich die Intoleranz auch hierzulande wieder breiter machen könnte. "Das macht mir durchaus Angst." Und sie vermisst Signale aus der Politik, die dem entgegenwirken.

So ist sie nicht nur deshalb enttäuscht, weil die schwarz-gelbe Koalition die gleichgeschlechtliche Ehe abgelehnt hat. Sie fordert auch, dass Politiker deutlicher einschreiten, wenn im Ausland Minderheiten wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. "Denn dass gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stehen soll, das ist einfach nicht nachvollziehbar."

Der CSD sei deshalb immer wieder wichtig, um der Szene, so Braaz, "ein Gesicht zu geben". Und die ist, wie man an diesem Wochenende sehen wird, vielfältig, bunt - und politisch alles andere als desinteressiert.

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