Christopher Street Day in München:Alles super - oder?

schwuler Stadtrat Christian Vorländer (SPD) mit schwulen Ampelmännchen im Hintergrund, Kreuzung Müllerstraße Pestalozzistraße

SPD-Stadtrat Christian Vorländer lehnt sich lieber nicht zurück, wenn es um die Akzeptanz von Homosexuellen geht.

(Foto: Florian Peljak)

München ist bunt und tolerant geworden. Doch SPD-Stadtrat Christian Vorländer weiß, wie schwierig es sein kann, sich als Homosexueller in der Gesellschaft zu behaupten. Deshalb fordert er mehr Akzeptanz für Transgender und Regenbogenfamilien.

Von Andreas Glas

Er höre die Frage immer öfter, sagt Christian Vorländer. Die Frage, wofür er eigentlich noch kämpfen wolle. Er müsse sich doch nur umschauen, sagen die Leute dann zu ihm, ist doch eh alles super. Christian Vorländer dreht einen Bierdeckel zwischen seinen Fingern. Er hat aufgehört zu rauchen, vor ein paar Monaten erst. Ein Bierdeckel ist keine Zigarette, aber wenigstens etwas, das man zwischen den Fingern drehen kann. Doch geht es um die Frage, die er immer öfter hört, kann er die Dinge drehen und wenden, seine Antwort ist immer die gleiche: "Nein, es ist eben nicht alles super".

Christian Vorländer, 41, kahler Schädel, weißes Hemd, himmelblaues Sakko, sitzt in einem Straßencafé im Glockenbachviertel. In der Hans-Sachs-Straße, wo es in den Neunzigerjahren neun Schwulenbars gab, wo die Szene unter sich war, praktisch abgeschottet. "Ich will nicht in den Sound verfallen, dass früher alles besser war", sagt Vorländer, "aber es gab früher schon sehr viel mehr Bars und Kneipen für die lesbisch-schwule Szene."

Alles mischt sich, alles wird bunter

Heute sind die Szenebars weniger geworden, dafür trauen sich längst auch Heterosexuelle dort hin. Alles mischt sich, alles wird bunter. Und wenn Münchens Schwule und Lesben an diesem Wochenende den 36. Christopher-Street-Day (CSD) feiern, werden auch Zehntausende mitfeiern, die weder schwul noch lesbisch sind, darunter Bürgermeister Josef Schmid, ein CSU-Politiker. Noch vor wenigen Jahren war so etwas unvorstellbar.

War es nicht genau das, wofür die schwul-lesbische Community jahrzehntelang gekämpft hat? Für eine bunte Gesellschaft, die keine Berührungsängste mehr hat mit Homosexuellen? Selbst die Community hat Anfang des Jahres darüber diskutiert, ob sich die Szene "gesund geschrumpft" habe, ob München in Zeiten gesellschaftlicher Akzeptanz überhaupt noch eine geschlossene Schwulen- und Lesbenszene braucht. Wofür kämpft er also noch, der schwule SPD-Stadtrat Christian Vorländer? Und überhaupt: Was kann ein Kommunalpolitiker schon für die Homosexuellen tun?

"Lasst uns das nicht kaputt machen"

Es gibt da eine Szene, die recht gut erklärt, warum Vorländer immer noch für die Akzeptanz von Homosexuellen kämpft. Eine Szene, die am 13. Januar dieses Jahres zu beobachten war, als 1500 Anhänger der islamfeindlichen Pegida-Bewegung über die Sonnenstraße in München marschierten. Die Luft war eiskalt, aber die anfangs so friedlichen Gegendemonstranten kochten vor Wut. Als einige von ihnen versuchten, den Polizeiriegel zu durchbrechen und auf die Pegida-Leute loszugehen, baute sich vor ihnen Christian Vorländer auf, im Wintermantel, mit hochrotem Kopf. "Lasst uns das nicht kaputt machen", rief er und sah dabei aus, als könne er nicht fassen, was sich vor seinen Augen abspielte. Dieser Januarabend, sagt Vorländer, habe ihm einmal mehr bewusst gemacht, "dass unter der toleranten, liberalen Oberfläche immer noch Ressentiments schlummern, die sehr schnell hochkommen können".

Im Grunde, sagt Vorländer, sei es mit dem Fremdenhass wie mit der Homophobie. Kaum denkt man, es gebe keine Ablehnung mehr, ist sie plötzlich wieder da. Wie vor ein paar Wochen, als die Mehrheit der Stadträte beschloss, einige Ampeln beim CSD mit schwulen und lesbischen Ampelmännchen auszustatten. Er habe danach etliche E-Mails von Bürgern bekommen, sagt Vorländer, "Beschimpfungen übler Sorte, da waren krasse Formulierungen dabei, die man erst mal verdauen muss". Auch diese Mails hätten ihm gezeigt, "dass noch viel zu tun ist" in Sachen Akzeptanz für Homosexuelle.

Vorländer ist 19, als er merkt, dass er homosexuell ist

Vorländer kennt die Vorurteile aus eigener Erfahrung. Und er weiß, wie schwierig es ist, sich als schwuler Mann in einer heterosexuell dominierten Gesellschaft zu behaupten. "Man wird mit diesem Lebensentwurf groß und plötzlich merkt man, dass das nicht zum eigenen Sein passt", erzählt Vorländer. Er selbst hat das gemerkt, als er mit 19 Jahren Abitur machte. Als er mit einem Mädchen zusammen war, das er "von Herzen geliebt" habe, und das ihn irgendwann fragte, warum er nie anderen Frauen hinterher schaue.

"Wenn man sich plötzlich dabei ertappt fühlt, dass man eher Männer interessant findet, dann wirft das alles über den Haufen", sagt Vorländer. Er habe lange mit sich gekämpft, bevor er sich sein Schwulsein eingestehen konnte. Bis er sich auf einer Party in einen sehr guten Freund verliebte. "Ich bin am nächsten Morgen aufgewacht und wusste: Mich hat es voll erwischt."

Im echten Leben ist Vorländer Strafverteidiger

Er machte Schluss mit seiner Freundin, doch es vergingen zwei weitere Jahre, bis er sich traute, sich zu outen. Es sei ja keine einfache Zeit gewesen, sagt Vorländer, damals Anfang der Neunzigerjahre, als das Thema Aids eine große Sache war, als es ein Skandal war, dass sich in der Fernsehserie Lindenstraße ein schwules Pärchen küsste. Ein paar Jahre später, "bei Verbotene Liebe, da gab es auch ein schwules Paar, das war immer noch eine Sensation", erinnert sich Vorländer. Er mag Fernsehvergleiche, kein Wunder, er ist ja nicht nur im echten Leben Strafverteidiger, er spielt auch im Fernsehen einen Anwalt. Früher in der Gerichtsshow "Richter Alexander Hold", heute in der Scripted-Reality-Serie "Im Namen der Gerechtigkeit".

Politparade

"Familie ist, was wir draus machen" heißt das Motto für den 36. Christopher Street Day (CSD) in München, der an diesem Wochenende, Samstag und Sonntag, 11. und 12. Juli, stattfindet. Die Veranstalter haben diesen Leitspruch gewählt, um zu zeigen, dass gleichgeschlechtliche Familien zwar kein Tabu mehr sind, aber noch stärker ins Bewusstsein rücken müssen. Der CSD bildet gleichzeitig Höhepunkt und Abschluss einer insgesamt neuntägigen Pride Week . Mit einer großen Politparade, einem Rathausclubbing und einem Straßenfest rund um den Marienplatz feiern Schwule und Lesben an diesem Wochenende für mehr Toleranz. Am Samstag um 10 Uhr wird ein ökumenischer Gottesdienst zum Thema "Familie - heilig anders" in Sankt Lukas am Mariannenplatz abgehalten. Um 11 Uhr folgt der politische Auftakt mit verschiedenen Rednerinnen und Rednern auf dem Marienplatz. Um 12 Uhr ist dort dann Start der großen farbenfrohen Politparade mit 30 festlich dekorierten Wagen und 76 teilnehmenden Gruppen, angeführt vom Schirmherrn OB Dieter Reiter. Gleichzeitig beginnt auch das CSD-Straßenfest, das mit einer Partyarea auf dem Rindermarkt, einer Regenbogenfamilien-Area für Kinder und einer Kunstaktion auf dem Marienhof gefeiert wird. Dieses Straßenfest dauert am Samstag bis 24 Uhr und am Sonntag von 12 bis 22 Uhr. In der Nacht von Samstag auf Sonntag verwandelt sich das Neue Rathaus in eine riesige Partyzone. kg

Sein Coming Out ist jetzt genau 20 Jahre her. Im Glockenbachviertel hatte er einen Mann kennengelernt, er wurde sein erster Freund, sie fanden eine gemeinsame Wohnung im Westend. "Mein Freund hat gesagt: Ich ziehe da nur mit dir ein, wenn auch deine Eltern wissen, wer ich bin. Er hat mir sozusagen die Pistole auf die Brust gesetzt", erzählt Vorländer. Also setzte er sich in den Zug, fuhr mit klopfendem Herz nach Mittelfranken zu seinen Eltern, beide evangelische Pfarrer.

"Bist du schwul?"

Er ging mit seinem Vater in den Garten, im Gehen fragte sein Vater, ob jemand schwanger sei. Nein, sagte Vorländer. Ob er Schulden habe? Nein. "Und dann", sagt Vorländer, "kam von ihm selbst die Frage: Bist du schwul?" Am Abend fuhr Vorländer zurück nach München, am Tag danach besuchten ihn seine Eltern in der neuen Wohnung im Westend, völlig überraschend. "Sie wollten sehen, wie ich mit meinem Freund lebe. Wollten mir zeigen, dass sie mich so annehmen, wie ich bin. Das hat mich sehr berührt."

In Nachhinein, sagt Vorländer, "war es ein wundervolles Coming Out". Aber die Zweifel davor, die habe er nicht vergessen. Noch heute, sagt er, falle es Schwulen, Lesben und Transgendern schwer, sich zu outen. "Bei vielen ist immer noch die Angst da, dass sich Eltern, Familie oder Freunde enttäuscht abwenden." Das sei der Hauptgrund, warum er sich politisch für Homosexuelle einsetze. Die Ampelmännchen seien zwar "eine charmante, pfiffige Aktion", viel wichtiger aber sei es, die Aufklärungsarbeit mit Jugendlichen zu verstärken, bei denen das Wort schwul immer noch ein Schimpfwort sei. "Da kann die Kommunalpolitik viel tun", sagt Vorländer, "indem sie Räume schafft, Mieten übernimmt und Stellen mit Fachleuten besetzt." Als Beispiele nennt er das Schwule Kulturzentrum Sub, das lesbische Zentrum Letra und das Diversity, das Münchner Jugendzentrum für Schwule, Lesben und Transgender.

Es sollte Altenheime speziell für Homosexuelle geben

Es gebe noch so viel zu tun, auch hier in der Stadt, sagt Vorländer. Man müsse zum Beispiel Regenbogenfamilien besser unterstützen, also solche Familien, in denen Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen. Und man müsse auch mal daran denken, wie Schwule und Lesben leben wollen, wenn sie alt sind, ob es zum Beispiel Altenheime speziell für Homosexuelle geben sollte. "Darüber müssen wir uns unterhalten, da kann man auf kommunalpolitischer Ebene sehr viel tun."

Aber es sei schon auch viel geschehen in den vergangenen drei Jahrzehnten, gerade in München, das ja lange Zeit nicht nur rot und grün regiert war. Bis zum vergangenen Jahr gehörte auch die Partei Rosa Liste zur Rathauskoalition - als erste und bislang einzige schwul-lesbische Wählerinitiative in der ganzen Bundesrepublik. Und jetzt, da die CSU mitregiert, eine erklärte Gegnerin der Homo-Ehe, müssen die Schwulen und Lesben jetzt eine weniger tolerante Stadtpolitik fürchten? Nein, sagt Vorländer, er gibt sich da loyal gegenüber dem Koalitionspartner im Stadtrat. Die Stadt werde auch weiterhin dafür sorgen, "dass es keinen Stillstand gibt, sondern eine Weiterentwicklung". Schließlich gebe es ja nicht nur Schwule und Lesben, sondern mit den Transgendern eine Gruppe, die noch ganz am Anfang stehe bei ihrem Kampf um Akzeptanz. "Das Gefühl im falschen Körper zu sein", sagt Vorländer, "ist noch mal eine ganz andere seelische Herausforderung".

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