Choreograf und Autor:"Wiege, Wiege, links zwei drei ..."

Choreograf und Autor: "Die Juden tanzten immer und überall", sagt Matti Goldschmidt, der nicht nur unterrichtet und choreografiert, sondern auch ein Buch über das Tanzen in der Bibel geschrieben hat.

"Die Juden tanzten immer und überall", sagt Matti Goldschmidt, der nicht nur unterrichtet und choreografiert, sondern auch ein Buch über das Tanzen in der Bibel geschrieben hat.

(Foto: Robert Haas)

Ein Leben in Bewegung: Matti Goldschmidt wurde vom Informatiker zum Lehrer für israelischen Volkstanz, Choreografen und Buchautor - und zu einem dynamischen Botschafter des Landes

Von Renate Winkler-Schlang, Altstadt

Matti Goldschmidt kommt mit seinem Golden Retriever Loui zum Jakobsplatz. Er sieht aus wie ein Mensch, der gerne gemütlich das Leben genießt, im Café in der Abendsonne sitzt und heiße Schokolade trinkt. Doch Matti Goldschmidt bewegt sich auch mit Begeisterung, Hingabe, ja, mit Eleganz - trotz des T-Shirts und der kurzen Hose. Er ist Tanzlehrer. Ein besonderer Tanzlehrer: Der 66-Jährige unterrichtet im jüdischen Gemeindezentrum israelischen Volkstanz. Das war nicht immer so. Goldschmidt hat auch ein bewegtes Leben gehabt, ehe er dieser Berufung nachgab.

"Geboren bin ich in Graz. Der Vater Dirigent, die Mutter Schauspielerin", erzählt er. Die Eltern seien "jüdisch eher im kulturellen Sinne" gewesen. Goldschmidt macht in München das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, heiratet früh, bekommt eine Tochter, fängt an, Soziologie und Politikwissenschaft zu studieren. Doch alles fühlt sich falsch an. Als Ausweg aus der Krise plant er, gegen den Rat des Vaters, eine Israelreise - und bleibt elf Jahre.

4. Januar 1976: Das Datum seiner Abreise hat er sich gemerkt. Im Kibbuz Ma'agan Michael südlich von Haifa findet er Unterkunft, und dort auch seinen ersten Kontakt mit dem jüdischen Tanz. Die Musik hat es ihm angetan, spontan macht er mit, freut sich, dass Kommunikation ohne Sprache möglich ist, dass der Kreis, in dem alle sich an den Händen fassen, ihn integriert: "Da ist gleich ein Bezug da." Und die Frauen seien schön gewesen, sagt er.

Goldschmidt studiert in Israel Informatik und Orientalistik, ist kurz in einer Kampfeinheit der Armee, wenn auch ungern, aber er will dazugehören, arbeitet einige Jahre als Programmierer in der Finanzbehörde Jerusalems, und er tanzt - wie die meisten Israelis. Er aber lässt sich auch zum Tanzlehrer ausbilden, unter anderem bei Moshe Pinkas, einem der erfahrensten Tanzmeister des Landes.

Doch irgendwann reicht es auch hier, die damalige kurdische Freundin ist Goldschmidt zu orthodox jüdisch: "Das hält man nur aus, wenn man frisch verliebt ist." Zudem findet er, dass man in der israelischen Gesellschaft Ellenbogen braucht: "Ich bin eher der Harmonietyp." Mit 36 Jahren kehrt er nach München zurück, aber nur, um bald nach Neuseeland weiterzuziehen. Nach einem Jahr kommt er wieder, ein Muskelfaserriss erfordert Physiotherapie, er bleibt in München hängen - da ist auch eine neue, interessante Frau im Spiel: "mein Schicksal." Jetzt, wieder genesen, wagt er den Sprung, aus dem Tanz einen Beruf zu machen.

Schnell erlangt er Expertenstatus, denn Goldschmidt, der akzentfrei hebräisch spricht, kennt einige israelische Choreografen persönlich, lädt sie zu Workshops ein. Die Nachfrage ist groß. Immer tiefer steigt er ein, schreibt Artikel über jüdischen Tanz, verfasst ein Buch "Die Bibel im israelischen Volkstanz", macht Choreografien. 1992 gründet er den Verein "Israelisches Tanzhaus", dessen Vorsitzender er bis heute ist, fördert auch Volkstanz international in der "Landesarbeitsgemeinschaft Tanz in Bayern", auch hier ist er Vorsitzender.

So viel gäbe es noch zu erzählen, doch Goldschmidts Tanzschüler sind eingetroffen und machen sich warm im Untergeschoss des jüdischen Gemeindezentrums. Erst die Schritte ohne Musik: "Wiege, Wiege, links zwei drei, und noch mal." Es ist der Anfängerkurs, doch diejenigen, die sich hier zusammenfinden, verstehen die Fachbegriffe für die Schrittfolgen wie "Mayimschritt, jemenitischer, chassidischer, Doppelkreuz oder Kreuzwechselschritt" - und sie können sich konzentrieren. Einige der Frauen, Männer sind rar, tanzen schon viele Jahre jeden Montagabend, doch wenn Neue kommen, macht Goldschmidt am Anfang Grundlagenkunde. "Und jetzt gibt es den orientalischen Klatscher." Die Gruppe weiß Bescheid. Goldschmidt erklärt die Namen der Tänze wie "Tzadik ke-Thamar", dessen Text ein Psalm ist, den jemenitischen Tanz "Bath The'iman" oder "Eretz Israel Yaffah", der das Land in seiner Schönheit beschreib.

Entstanden ist dieser Tanz 198o. Die meisten jüdischen Tänze sind in den Jahren nach 1940 kreiert worden, verschiedene Einwanderergruppen haben alle möglichen Einflüsse beigesteuert, jeder brachte seine Traditionen, seine Instrumente und Rhythmen mit. "Das macht diese Tänze so abwechslungsreich, so modern", sagt Isolde Hofmeister, die Frau im geblümten, hellblauen Rock: "Ich mag keinen Sport. Beim Tanzen trägt einen die Musik. Das Tanzen hält jung. Es ist einfach Lebensfreude pur", sie schwärmt - auch von den Reisen nach Israel, der Gastfreundschaft. "Ich liebe die schnellen Tänze", sagt Helga Benninger, unglaublich junge 82 Jahre alt, nach einer Stunde unermüdlichen Mitmachens. "Und Matti ist ein so fröhlicher, geduldiger Lehrer." Das sei etwas ganz anderes als langweilige Übungen im Fitnessstudio.

Anita Salinas Castillo ist viel jünger, sie ist das erste Mal da. Im Romanistik-Studium wurde sie auf die Sepharden aufmerksam, spanische Juden, die im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben worden waren, sich aber ihre Sprache erhalten hatten. Sie fragte sich, warum sie gerade diese so faszinierten, erforschte ihre eigene Familiengeschichte, entdeckte verborgene jüdische Wurzeln, trägt heute stolz einen Davidstern an einer Kette um den Hals. Lange schon wollte sie zum Volkstanz, doch auch ihr Hebräischkurs war montags. Jetzt strahlt sie: "Ich komme wieder."

Anita Salina Castillo ist eine Ausnahme, die meisten hier sind keine Juden. Sie wollen einfach tanzen - und öffnen sich mit jedem Schritt auch für die jüdische Kultur. Matti Goldschmidt freut das, der Österreicher hat auch schon Reisen nach Israel organisiert, der Tanz hat ihn zu einem Botschafter gemacht. "Viel schöner, als über die Politik Israels zu diskutieren", sagt er.

Matti Goldschmidts "Verdienste um die Volkskultur" will am 24. November auch Oberbürgermeister Dieter Reiter ehren, Goldschmidt und sein Israelisches Tanzhaus sollen im Alten Rathaus mit einer Urkunde ausgezeichnet werden.

Infos über die Tanzabende gibt es im Internet unter www.israeltanz.de.

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