50 Cent und Bushido im Zenith:Im Ghetto des Grotesken

Yachtgroße Autos, halbnackte Frauen, Schmuck und Waffen, das ist die Welt von Rapper 50 Cent. Während sein Auftritt im Zenith belanglos war, schockiert sein deutscher Kollege Bushido immer noch mit krassen Song-Texten.

Jochen Temsch

Alter! Opfer! Behindert, oder was? So klingt Vorfreude in der U 6 nach Freimann. Der Diskurs um die sozialethische Desorientierung Jugendlicher findet anderswo statt. Ein aufgekratzter kleiner Junge singt unter dem Schild seiner Basecap hervor: "Hier gibt es nichts zu diskutieren, weil ich das Thema bin. Was ist das Abitur? Ich ficke deine Lehrerin." Die Mutter sitzt daneben und schaut zum Fenster raus. Und der Kumpel des Jungen singt zurück: "Geh mit deinen Zecken los. Deine Freunde gehn zur Uni, meine strecken Koks." Das sind Zeilen aus Bushidos Song "Es kann beginnen".

50 Cent und Bushido im Zenith: Immer kommerzieller: Rapper 50 Cent.

Immer kommerzieller: Rapper 50 Cent.

(Foto: Foto: AP)

Der Berliner Gangsta-Rapper stellt sein neues Album "7" im Zenith vor. Genau einen Tag, nachdem eines seiner Vorbilder auf der gleichen Bühne stand: 50 Cent, auf dessen Kriminellen-Attitüde sich Bushido gerne bezieht, womit er wiederum zum Idol unzähliger Nachahmer geworden ist, die klingen wollen wie er. Der halbwegs behütet aufgewachsene Bushido hat gerade noch rechtzeitig das Abitur geschmissen und gedealt, um heute glaubwürdig zu wirken.

Er unterscheidet sich in vielem von Fifty, der vom New Yorker Ghettojungen zum Multimillionär hochschoss. Aber sie haben auch einiges gemeinsam: Beide Bravo-Stars gelten als Figuren vom äußersten kommerziellen Rand der mannigfaltigen, ihnen gegenüber misstrauischen Hip-Hop-Szene, mit der vor allem Bushido nichts zu tun haben will. Sein Platten-Platin kann er schließlich auch alleine polieren.

Beide Rapper malen das Bild einer apokalyptisch brutalen, hoffnungslos düsteren Welt, in der nur Geld zählt und jedes Kind zwangsläufig kriminell werden muss. Beide besingen Gewalt als legitimes, einzig probates Problemlösungsmittel. Und Frauen haben bei ihnen "jederzeit fremdbestimmt und ohne Rücksicht auf ihre eigenen Wünsche für Vaginal-, Oral- und Analverkehr zur Verfügung zu stehen", wie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Medien formuliert.

Im Zenith singt Bushido einen seiner übelsten Songs, "Gibt es dich?", in dem er sein Traummädchen beschreibt: eine Jungfrau, die nicht in Discos geht, sondern brav zu Hause auf den Meister wartet. Junge Zuschauerinnen schreien den Text mit. Auch bei den konservativsten Exponenten der Münchner CSU, die Bushidos Auftritt beim Sommer-Tollwood gerne verboten hätten, würde er damit vielleicht sogar Zustimmung finden. Ansonsten beruft sich Bushido wie 50 Cent auf die Beschreibung sozialer Wirklichkeit. Und natürlich eignen sich ihre längst Schulhofjargon gewordenen Sprüche prima dazu, Lehrer und andere Bedenkenträger zu provozieren.

Wobei die Debatte um Gangsta-Rap in Deutschland zu einseitig läuft. 50 Cent dudelt ohne weiteres im Radio, Bushido-CDs fassen Musikredakteure nicht mal mit Zangen an. Auf MTV spielen sie ihn jetzt auch nicht mehr, wobei das wohl eher kaufmännische Gründe hat. Doch ihn als Repräsentanten dieser speziellen Spielart der größten Jugendkultur im Lande auf seine problematischen Aspekte zu reduzieren, wäre zu wenig.

Im Zenith beweist Bushido, dass er, wenn er mal keine verkaufsfördernden Reizwörter verspritzt, durchaus imstande ist, Themen wie Knasthorror, Hartz-IV-Deklassierung und Scheidungsproblematik zu besingen - Zeitkritisches, das man so explizit in Songs genehmer Popstars vergeblich sucht und dem eigenen Authentizitätsanspruch zur Abwechslung mal ohne grotesk verzerrten Ghetto-Kitsch gerecht wird. Bushido könnte ganz anders, wenn er wollte, nebenbei würde er sogar sein Engagement gegen Gewalt an Schulen beglaubigen.

Aber er will halt nicht. Bloß nicht den umsatzgefährdenden Anschein erwecken, so ein Integrationsheini zu sein. Dafür perfektioniert er seinen live zur Schau getragenen, selbstironischen Charme. Mit seinen Co-Rappern, Musikern und dem DJ redet er, wie halbstarke Schulkumpels in der Raucherecke reden. In Interviews gibt er sich höflich, drückt sich in gewähltem Deutsch aus. Aber wenn seine Fans laut mitsingen sollen, heißt das: "München, wollt ihr Deuschland ficken?"

Dagegen wirkt 50 Cent auf der Bühne geradezu versteinert, handwerklich perfekt, aber unverbindlich. Er spult seine Hits ab. Dazu laufen Ausschnitte aus seinen Videos: yachtgroße Autos, halbnackte Frauen, Schmuck, Waffen. Er hat nichts Neues aus seinem Reichenleben zu erzählen - eine Entwicklung, die auch Bushido bevorstehen dürfte. Die aktuellen Platten beider Rapper, "Curtis" und "7", werden als jeweils "persönlichste" Alben vermarktet. Das heißt: Beider Biographien sind wohl endgültig zur Echtheitsdarstellung ausgequetscht. Und was kommt dann? Die permanente Provokation mit Gewaltpornographie und verbaler Penetration jedenfalls ist auf Dauer nur noch dumm und langweilig.

Hinterher, wieder in der U-Bahn, bespricht ein Vater das Fifty-Konzert mit seinem kleinen Sohn. Das einzige Thema lautet: Mit welcher Kappe sieht er am coolsten aus?

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