Casting in Pasing:Alle soooo hübsch hier

Wenn Nachwuchs-Schönheiten echten Models nacheifern, bleibt kaum Zeit: Mit über 18 ist man "praktisch schon durch"

Von Andreas Glas

Nicht Paris, aber immerhin Pasing, man braucht ja noch Ziele im Leben. Es ist Samstagnachmittag, es scheint die Sonne, und RTL ist auch da. Zoe steht auf High Heels neben dem Laufsteg, das gelbe Mikro im Gesicht, und natürlich will die RTL-Reporterin jetzt wissen, wie sich das anfühlt, eine Runde weiter zu sein. Superglücklich sei sie, sagt Zoe, weil die Konkurrenz, "die Mädels", weil die ja alle "soooo hübsch" seien. Zoe strahlt, ihre Zähne funkeln wie Scheinwerfer, ihre Zahnspange auch. Am Ende des Tages wird sie nicht mehr lächeln, am Ende des Tages wird eine andere gewinnen. Aber das weiß sie jetzt noch nicht.

Wo Schlagersänger-Karrieren beerdigt werden, fangen Model-Karrieren an: im Einkaufszentrum. Verspricht jedenfalls Elite Models, die vielleicht bekannteste Model-Agentur der Welt. Im Hof der Pasing Arcaden hat die Agentur ihren Laufsteg aufgebaut, unter freiem Himmel, vielleicht zehn Meter lang. Die Schlange daneben: fünf Mal länger, im Minutentakt stellen sich neue Kandidaten an. Magere Mädchen und Jungs in Röhrenjeans, alle hübsch zurechtgemacht. Es geht ja um viel, es geht um den Einzug ins internationale Finale des "Elite Model Look 2015", des größten Model-Wettbewerbs der Welt.

Die Kandidaten laufen in der Sonne, die Jury darf im Schatten sitzen. "Alles Model-Manager, englischsprachig", sagt die Pressefrau, alle tragen Sonnenbrillen. Die Kandidaten werden sauber durchnummeriert, kriegen einen Aufkleber mit Nummer aufs T-Shirt gepappt. Dann werden sie vermessen, einer nach dem anderen. Nicht dass noch einer schummelt, die Regeln müssen schon eingehalten werden. Mädchen mindestens 1,72 Meter, bei den Jungs geht nichts unter 1,84. Immerhin, gewogen wird keiner, dafür gibt es eine Altersgrenze. Die liegt bei 22 Jahren, aber die meisten sind jünger. Wer über 18 ist, sagt die Pressefrau, sei im Model-Business "praktisch schon durch".

Die erste Runde geht los. Einer nach dem anderen läuft, einer nach dem anderen wird aussortiert. Nur wenige schaffen es ins Finale, nicht mal zwei Dutzend. Eine davon ist Nummer 386. Nummer 386 heißt Joana, sitzt auf einem Plastikstuhl und streichelt ihr Smartphone. Daneben ihr Vater, ein Mittvierziger, der Bauch spannt unterm Polohemd.

Er hat seine Tochter hergefahren, aus dem Schwarzwald. 300 Kilometer, nur wegen eines Castings. "Irgendein Ziel brauchen sie ja", die jungen Mädels, sagt Joanas Vater, aber billig sei das alles nicht. Die Fotos für die Bewerbungsmappe, die Fahrten zu den Castings, kostet alles Geld. Aber die Joana, sei schon ein, zwei Jahre im Geschäft und habe schon als Model für Lederjacken- und Schmuckhersteller gearbeitet. Die Kosten, sagt ihr Vater, "die haben sich längst amortisiert".

Aber Joana will mehr, will "möglichst international" modeln, sagt sie. Auch sie trägt Röhrenjeans, auch sie hat das schwarze T-Shirt mit dem Elite-Label an, das alle Kandidaten tragen, die eine Runde weiter gekommen sind. "Es wäre schon etwas Besonderes, wenn ich gewinnen würde", sagt Joana, langes braunes Haar, volle Lippen, Sommersprossen. Aber auch Joana wird nicht gewinnen.

Abends um halb sieben ist das Pasinger Casting zu Ende, jetzt laufen diejenigen, die weitergekommen sind, gegen die Casting-Sieger aus Berlin und Oberhausen, die inzwischen auch am Einkaufszentrum eingetroffen sind. Bevor die Endrunde losgeht, geht es vor allem darum, ins Fernsehen zu kommen. Das klappt besonders gut, wenn man immer genau da ist, wo die RTL-Reporterin steht. Die will auch jetzt wieder wissen, wie sich das anfühlt, so kurz "vor dem großen Finale". Supernervös, sagen die Mädels, die Jungs sagen: total entspannt. Dann geht es los, der letzte Durchgang, einmal noch laufen, ohne zu stolpern.

Die Jury hat die Sonnenbrillen abgenommen, das Pokerface nicht. Wieder läuft einer nach dem anderen, wieder tuscheln die sechs Juroren oder grinsen oder gähnen. Sie tun das so willkürlich, dass nicht zu erkennen ist, ob ihnen gefällt, was sie sehen, oder nicht. Nur einmal, als die 15-jährige Kristin vor der Jury steht, da zwinkert ihr die Casting-Chefin mit einem Auge zu. Ein Zeichen? Oder ist Kristin viel zu jung, um sich als Model international zu behaupten? Ein zierliches, blondes Mädchen mit weit auseinander liegenden Augen, beinahe noch ein Kind. Kristin hatte gar nicht vor, beim Casting mitzumachen, sie wollte eigentlich nur schnell ein T-Shirt bei H&M kaufen. Und wurde dann von Casting-Chefin Victoria da Silva angesprochen und überredet.

Casting zum weltweit größten Model-Wettbewerb âÄžElite Model LookâÄœ in den Pasing-Arcaden

Der Weg nach Paris führt über Pasing: In den dortigen Arcaden laufen am Wochenende Models, die noch groß rauskommen wollen, so wie Ana Saraiva.

(Foto: Florian Peljak)

Und tatsächlich: Kristin gewinnt. Als bei der Siegerehrung ihr Name fällt, lächelt sie nicht, sie sieht fast erschrocken aus, vielleicht ging doch alles zu schnell. Gerade wollte sie noch ein T-Shirt kaufen und jetzt soll sie die Republik beim größten Model-Wettbewerb der Welt vertreten, mit gerade mal 15 Jahren. Bei den Jungs gewinnt Julian aus Berlin, ein dünner, blasser Kerl mit Marco-Reus-Frisur.

Keine fünf Minuten später steht Kristin hinter einem gelben Mikrofon und, klar, die RTL-Reporterin will wissen, wie sich das anfühlt, Siegerin zu sein. Ein paar Meter daneben steht die Casting-Chefin, lächelt selig, und prophezeit Kristin bereits eine große Karriere. "Sie ist komplett", sagt Veronica da Silva, "diese Augen, dieser Mund!" Jetzt, sagt da Silva, müsse Kristin zeigen, dass sie es auch international kann.

Joana und ihr Vater sind da bereits verschwunden, wahrscheinlich schon auf der Autobahn. Statt nach Paris geht es zurück in den Schwarzwald. Aber man braucht ja noch Ziele im Leben.

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