Business-Lunch:Essen im Zeitkorsett

Fastfood für Geschäftsleute: Viele Lokale bieten mittags preiswerte Menüs an.

Stefan Ulrich

In den guten alten Tagen hatten Businessmen noch Zeit, Raum und Geld. Daher gingen sie nicht zum Business Lunch, sondern zum Geschäftsessen. Sie begannen mit Martinis, um sich dann durch schwere Gänge und wuchtige Weine zu arbeiten und schließlich, nach Stunden, die opulente Arbeitssitzung bei Zigarren und Kaffee ausklingen zu lassen.

Natürlich gibt es auch heute noch den einen oder anderen Geschäftsmann, der diesen Brauch und seinen Bauch zu pflegen weiß. Doch für die meisten gilt die Fast-Food-Formel: Zeit ist Geld, und Geld ist knapp. Wirte haben deshalb den Business Lunch ersonnen. Leicht und frisch klingt das, schlank, dynamisch - und natürlich sehr geschäftig. Busy eben. Und es verspricht, Zeit und Geld zu sparen.

"Wenn der Service richtig gut ist, dauert es eine halbe Stunde", erzählt ein Rechtsanwalt aus einer der großen Münchner Kanzleien in der Innenstadt. "Und eine Stunde ist für mich die absolute Schallmauer. Denn was ich an Zeit verliere, das ist entgangener Umsatz." Allein und mit Kollegen geht der Anwalt zum Beispiel gerne ins Café Restaurant Tizian an der Maxburgstraße, das Menüs für 8,50 und 10 Euro anbietet. Dafür gibt es einen Salat, ein Pasta-, Fleisch- oder Fischgericht und einen Espresso.

Vorausgesetzt: Diskretion

Mit Kunden geht er gerne ins Lenbach, wo Dienstag bis Freitag ein Buffet mit Sushi, Sashimi und anderen asiatischen Spezialitäten, Wasser, Wein, Kaffee und Obst für genau 17.90 Euro pro Person wartet.

Von seinem Business-Lunch-Lokal erwartet der Jurist, der in der Freizeit ein großer Feinschmecker ist, besonders Diskretion. Denn schließlich "braucht nicht jeder am Nebentisch mitzubekommen, was ich mit einem Partner oder Mandanten bespreche." Gut soll es natürlich auch schmecken, andererseits aber nicht zu extravagant und zu kostspielig sein. "Sonst sagt sich der Mandant verärgert: Das zahle ich alles mit meinen Honoraren."

Schnell, diskret, schmackhaft, preiswert - nach diesem anspruchsvollen Rezept müssen viele Münchner Lokale mittags kochen. Ob Geschäftsrestaurant, Traditionsgaststätte oder Schlemmertempel: Der Business Lunch in Form eines Sonderangebots hat alles andere auf der Tageskarte in den Hintergrund gedrängt. Es ist zum Brotgericht der Wirte geworden. Im Grappa's etwa, einem Restaurant im Künstlerhaus, wählen mindestens vier von fünf Gästen den Business Lunch, ein kleines Menü samt einer Tasse Kaffee für 11,50 Euro.

Das kühl-modern eingerichtete Restaurant erinnert entfernt an ein Großraumbüro. Geschäftsleute scheinen sich hier besonders wohl zu fühlen. Die meisten Gäste arbeiten in der Gegend - an der Börse, bei Versicherungen, Banken, Kanzleien oder als Richter im nahen Justizpalast. "60 bis 70 Prozent sind Stammkunden", sagt der Geschäftsführer Roger Nagler und deutet auf die Gäste im gedeckten Anzug oder Kostüm. "Die wollen Qualität und Geschwindigkeit und nach spätestens 45 Minuten wieder draußen sein."

Ein flottes Konzept

Also wird im Grappa's im Minutenplan serviert. Sobald sich die Gäste gesetzt haben, notieren die Kellner die Bestellung, eine Minute später kommt das ofenwarme Brot, nach zehn Minuten die Vorspeise. Das flotte Konzept kommt an und wird ausgebaut. Gab es früher nur ein festes Menü, stehen nun je drei Vorspeisen und Hauptgerichte zur Auswahl: An diesem Tag gibt es Spargelcreme-, Maisrahm- oder kalte Kartoffel-Lauch Suppe; danach Lachsfilet mit Wasabirahmsauce, Lammhüfte mit Gemüse Provencal oder ein vegetarisches Spaghetti-Gericht.

Dabei gilt das Motto: "Keine Show auf dem Teller, keine großartigen Dekorationen, sondern pure, gute Produkte", sagt der Geschäftsführer. "Das Preis-Leistungsverhältnis wird immer wichtiger", sagt Nagler. Wegen der schlechten Wirtschaftslage achteten Geschäftsleute mehr als früher aufs Geld. "Die Leute essen weniger à la Carte, trinken günstigere Weine oder gleich Wasser. Und jene, die früher vier Mal in der Woche kamen, kommen jetzt nur noch zwei Mal." Der Business Lunch soll diesem Trend entgegenwirken.

Doch lohnt es sich auch für den Wirt? "Es rechnet sich schon", sagt Nagler, "aber wir brauchen viel mehr Gäste als am Abend." Mit Masse zur Kasse - so rechnet auch das Hackerhaus an der Sendlinger Straße. Für gerade mal fünf Euro wird hier ein Business Lunch angeboten, der sich schlicht "Mittagsteller" nennt.

Es ist der Verkaufsschlager in den Gaststuben und im lauschigen Innenhof. Durchschnittlich 100 Mittagsteller verkauft das Hackerhaus am Tag, manchmal sind es sogar 250. Es kommt ganz darauf an, was auf der Schiefertafel am Eingang geschrieben steht.

Sättigung geht vor

"Manche Geschäftsleute gehen schon um elf Uhr vorbei, um nachzuschauen", hat Paul Pongratz, der Wirt, beobachtet. Wenn es etwas besonderes gibt, spricht sich das schnell rum im Viertel. "Manchmal bringen wir für fünf Euro richtige Hämmer, die am Abend 30 Mark kosten. Gebratene Gänsebrust zum Beispiel."

Man ahnt es - das Hackerhaus setzt nicht unbedingt auf die ganz leichte Kost. "Die Leute wollen was Sättigendes, nicht nur Salat", sagt Pongratz. Also lässt er gefüllte Rouladen oder Schnitzel-Variationen servieren, oder, bei unserem Test, extrabreite Bandnudeln mit extra viel Sahnesauce und extra reichlich Räucherlachs. Wobei der Lachs durchaus nicht nach billiger Qualität schmeckte.

Wie rechnet sich's? Eher mühsam. "Der Mittagsteller ist kein großer Deckungsbeitragsbringer", sagt Pongratz im Gastronomen-Jargon und meint, dass das Fünf-Euro-Mahl zwar seine eigenen Zutaten finanziert, aber kaum all die anderen Kosten vom Service bis zur Saaldekoration. Deswegen spekuliert der Wirt auf den Durst.

"Wenn wir an einer halben Bier etwas verdienen, dann ist das auch was wert", sagt er. Zudem habe der Mittagsteller einen Lock-Effekt: Wer zufrieden geht, kommt womöglich am Abend wieder. "Und dann wird richtig gut gezecht."

Wobei es natürlich immer noch Oasen gibt, in denen man dem Mittagessen Zeit und Raum lassen kann. Eine von ihnen ist das Tantris im Norden Schwabings. Dort wird, im elegant-orangen Ambiente der frühen siebziger Jahre, geschlemmt wie eh und je. Dies auch zur Mittagszeit.

Gebackene Langoustinos, Seesaibling mit Bärlauchsahne, Kaninchenrücken, Seeteufelmedaillon mit frischen Morcheln und schließlich gebackenes (!) Eis mit lauwarmen Mispeln - so sieht ein großes Menü für 85 Euro aus. Doch auch Chefkoch Hans Haas hat Zugeständnisse an den Business Lunch gemacht und ein kleineres Menü für den "eiligen Mittagsgast" im Programm.

Zum Beispiel als Amuse geule Kalbskopf in Baguette-Kruste, dann lauwarme Forellenfilets auf Morcheln, Nantaiser Ente mit Spitzkraut und Savarin mit Früchten und Sauerrahm-Eis. Genuss, Zeit- und Geldaufwand waren bemerkenswert. Wir brauchten dafür zwei geschlagene Stunden und zahlten 58 Euro - pro Menü, ohne Getränke.

Gutes Essen, gute Geschäfte

Wobei uns Hans Haas rasch belehrte, dass Zeit und Geld relative Begriffe sind. "Unsere Gäste wollen nicht unbedingt ganz schnell fertig werden. Sie machen den Mittag zum Abend", sagt er. "Und wer hier reingeht, der will Qualität. Der kommt nicht, um zehn Mark zu sparen." Die Folgen der schlechten Konjunktur spüre das Tantris deshalb nicht.

Zeit und Geld des Businessman, glaubt Haas, seien im Tantris jedenfalls gut angelegt. Schließlich trage ein gutes Essen sehr zu guten Geschäften bei. Wer es eilig habe, der könne natürlich auch der Tantris-Mannschaft ein Zeitlimit setzen.

Einmal, so erzählt der Koch, wollte eine Runde Geschäftsleute unbedingt bis zwei Uhr mit dem Essen fertig sein. "Und dann hat es ihnen so gut gefallen, dass sie bis fünf Uhr sitzen blieben." Aus dem zeitlich begrenzten Business Lunch war das gute alte Geschäftsessen geworden. Ob es für den Einladenden auch erfolgreich war, hat Haas nicht erfahren...

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