Bundestag:Die Wahl, die keinen kalt lässt

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Sonntag, 18 Uhr, Realschule am Gotzinger Platz: Im Wahllokal beginnt die Auszählung - und damit ein spannender Abend. (Foto: Catherina Hess)

Münchner Spitzenpolitiker von CSU und SPD reagieren entsetzt auf die Verluste ihrer Parteien, doch gleichzeitig gibt es einen unerwarteten, für alle erfreulichen Trend: Die Wahlbeteiligung ist auf Rekordkurs

Von Heiner Effern, Dominik Hutter und Pia Ratzesberger, München

Die Reaktionen der etablierten Parteien auf die ersten offiziellen Prognosen zur Bundestagswahl sind am frühen Sonntagabend in München entsetzt ausgefallen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprach von einem "niederschmetternden" Ergebnis und einem "schwarzen Tag für die Sozialdemokraten". Auch bei der CSU war die Stimmung niedergeschmettert. "Ich habe schon mit Abschwung gerechnet, aber nicht in dem Ausmaß. Dass die demokratischen Parteien so niedersausen, ist erschreckend", sagte der CSU-Direktkandidat im Münchner Norden, Bernhard Loos, im Augustinerkeller. Der langjährige Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl (CSU) ärgerte sich im Kreisverwaltungsreferat (KVR) über den Flüchtlingskurs der Union. "Wer jetzt nicht verstanden hat, der muss die Politik verlassen", sagte Uhl, der seine Karriere in Berlin vor dieser Wahl beendet hat. Die Stärke der AfD basiere auf der Schwäche von CDU/CSU. "Die müssen wieder weg", sagte er über die AfD. Bei der FDP im Hofbräukeller kam erst tosender Jubel aufgrund des FDP-Resultats auf, dieser schlug nach der Bekanntgabe des AfD-Ergebnisses in Buhrufe um. Der grüne Bundestagskandidat Peter Heilrath nannte die Prognosen im KVR "gruselig". Dort beobachten traditionell zahlreiche Kandidaten und Politiker die Auszählung der Stimmen.

Vor dem Bekanntwerden offizieller Ergebnisse für die Landeshauptstadt gab es am Sonntag in München vor allem eine Überraschung: die hohe Wahlbeteiligung. Sie lag deutlich über der vergangener Jahre. Bis 17.10 Uhr gaben laut KVR 89,3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab - wenn alle, die Briefwahl beantragt hatten, ihre Stimmzettel auch abgeschickt hatten. 2013 waren es zu einem ähnlichen Zeitpunkt erst 70,6 Prozent gewesen.

Ein KVR-Sprecher zeigte sich am Nachmittag erfreut. "Es gehen sehr viele Menschen an die Wahlurnen", sagte er. Hinzu komme der hohe Anteil der Briefwähler. Laut KVR lag der Anteil in München bei der Bundestagswahl 2013 bei 31,4 Prozent, diesmal hatten 33,5 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen angefordert. Die Zahlen der Wahlbeteiligung, so die Experten des KVR, seien aber noch mit Vorsicht zu genießen, da sie auf überschlägigen Erhebungen aus den Wahllokalen beruhten. Zudem müsse erst noch geprüft werden, ob alle herausgeschickten Briefwahlunterlagen auch zurückgekommen und gültig seien. Dies geschieht laufend, die Werte konnten sich im Laufe des Abends also noch verändern.

Das endgültige Wahlergebnis für München wurde für den späteren Abend erwartet. Um 20.34 Uhr waren 650 von 942 Wahllokalen ausgezählt. Zu dem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass die Grünen mit 17,4 Prozent bei den Zweitstimmen vor der SPD (16,3) liegen. Die CSU lag bei 29,6 Prozent, die FDP kam auf 14 Prozent, die Linke auf 8,5 und die AfD auf 8,4 Prozent.

In München ist die Ausgangsbasis für die CSU bei Bundestagswahlen traditionell gut - entsprechend wurden für die vier Münchner Bundestagswahlkreise vor dem Wahltag Siege der CSU-Kandidaten erwartet. Zwar liegen SPD und CSU etwa in der Kommunalpolitik eher Kopf an Kopf, beim Bundestag dagegen wählen die Münchner in der Regel eher schwarz. Allerdings traten für die CSU in drei der vier Wahlkreise diesmal neue Kandidaten an: Stephan Pilsinger (West), Bernhard Loos (Nord) und Michael Kuffer (Süd). Sie kandidierten anstelle der drei langjährigen Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl, Johannes Singhammer sowie Peter Gauweiler, der schon vor zwei Jahren sein Mandat niedergelegt hatten. Im Münchner Osten trat Wolfgang Stefinger zum zweiten Mal an.

Aus Sicht der CSU war der Wahlkreis München-Nord der am wenigsten sichere. Dort trat für die SPD Florian Post gegen Loos an, der Wahlkreis ist seit vielen Jahren heiß umkämpft. Post dürfte dem neuen Bundestag auf jeden Fall angehören, ebenso wie die Münchner SPD-Chefin Claudia Tausend. Beide traten auf der Landesliste auf aussichtsreichen Plätzen an. Chancenlos blieben angesichts der deutlichen Verluste der CSU landesweit die beiden Münchner CSU-Kandidaten, die nur auf der Liste antraten: Julia Obermeier und Bernd Fabritius. Zu einer Zitterpartie führte das Wahlergebnis für die prominente Münchner Grünen-Politikerin Margarete Bause. Die langjährige Chefin der Landtagsfraktion war auf der Liste der Grünen nur auf Platz neun gelandet. Ob das noch für den Einzug in den Bundestag genügt hat, blieb am frühen Abend offen. Entspannter verlief der Wahlabend bei den Münchner FDP-Kandidaten: Daniel Föst, Thomas Sattelberger und Lukas Köhler gehören dem neuen Bundestag sicher an. Bei der Linken stand die amtierende Abgeordnete Nicole Gohlke auf Platz zwei der Liste schon vorab fest. Für die AfD sicher im Bundestag ist ihr bayerischer Landeschef Petr Bystron, der als Direktkandidat im Münchner Norden angetreten war.

Der Wahlkampf selbst war in München zum Teil ruppig verlaufen, bis hin zur CSU-Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz am Freitagabend (s. Bericht Seite 40). Politiker aller Parteien beklagten sich über massive Zerstörungen ihrer Plakate.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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