Buch über Giesinger Boazn:Gott schütze das Maibaumstüberl!

Welches Lokal wird das nächste sein, das dichtmachen muss? Wenn der Giesinger heute durch sein Viertel schweift, wird er leicht sentimental. Nun legt Maximilian Bildhauer ein famoses Buch über die Giesinger Boazn vor. Mit Trauerbändern.

Rudolf Neumaier

An jeder Ecke wird entkernt und abgerissen und neu gebaut. Man sieht es an den Schuttcontainern vor den Häusern. Wenn der Giesinger heute durch Giesing schweift, wird er leicht sentimental. Und wenn er durch das famose Buch "Munich Boazn" von Maximilian Bildhauer blättert, wird er noch sentimentaler. Diesem Buch sind Trauerbänder beigelegt. Zum Selbsteinkleben.

Buch über Giesinger Boazn: Beobachten statt schwafeln: Maximilian Bildhauer.

Beobachten statt schwafeln: Maximilian Bildhauer.

(Foto: Volk Verlag)

Welches Lokal wird das nächste sein, das dichtmachen muss? Das Grandauer Fassl? Die Pilsbar Zic-Zac? Das Maibaumstüberl gar, diese nicht nur für Giesinger Bedürfnisse erstklassige Verköstigungsstätte? Gott behüte! Möge die Gentrifizierung, die Bildhauer als "Schreckgespenst durch die alten Arbeiterquartiere geistern" sieht, wenigstens dieses Lokal verschonen. Einige Seiten in diesem Buch sind bereits schwarz gezeichnet: Trauerfälle der Giesinger Stehhalbe-Gastronomie, geschlossen zwischen der Recherche und der Drucklegung.

Maximilian Bildhauer, geboren 1987 in Untergiesing, beschreibt in seiner Arbeit den Zustand der Boazn von Giesing. Arbeit? Ja, es handelt sich um eine akademische Qualifikationsschrift zum Erlangen des Bachelor-Grades im Fach Kommunikationsdesign an der Fachhochschule.

Für Verlage stellen sich solche Abhandlungen selten als prickelnd genug dar, um sie zu publizieren. In diesem Fall ist das anders: Bildhauer feiert als Fotograf, Schreiber und Gestalter ein Debüt-Gesamtkunstwerk.

Den verstaubenden Bavarica-Stapeln beschert dieses Talent den ersehnten Hoffnungsschimmer. Der Volk-Verlag hat das Boaznbuch im Hosentaschenformat herausgebracht, allein das verleiht ihm Kleinod-Niveau. Und erfreulich ist, dass Bildhauer schon an Band zwei arbeitet: Er testet gerade die Boazn von Sendling. Die Masterarbeit?

41 Lokale zwischen Humboldt-, Schön- und Scharfreiterstraße

Jetzt aber erst mal Giesings Boazn. Porträtiert werden 41 Lokale zwischen Humboldt-, Schön- und Scharfreiterstraße. Bildhauer gibt Halbe-Preise und ebenso wichtige Servicedaten wie Öffnungszeiten und Vornamen der Wirtsleute an. Jede Boazn bekommt eine halbe Seite Text und eine ausklappbare Doppelseite Bild. Die Fotos sind geknipst und nicht inszeniert, sie erinnern an die Schnappschuss-Ästhetik Wolfgang Tillmans'. Das Amateurhafte, das sie davon unterscheidet, passt zu Giesing.

Die Texte beschränken sich auf Notizen, die Bildhauer bei seinen Besuchen machte. Sie bestechen durch ihre Kürze. Bildhauer ist bescheiden und klug genug, nicht ins Schwafeln zu verfallen. Im Schönstüberl lernte er einen Biertrinker namens Roland kennen, der seine Krawatte abnimmt und gefaltet auf den Tresen legt, ehe er bestellt.

Im Captain Jack erlebte er die Wirtin mit dem ehemaligen Wirt der Loamgruam beim Paartanz auf "Heiße Nächte in Palermo" aus der Jukebox. In dem in den Isarauen versteckten Zum Gartl walten Schorschi und Rosi, die herzlichsten Wirtsleute, die Maximilian Bildhauer nach eigenem Bekunden kennt - und das will was heißen. Rosi und Schorschi kochen und backen täglich. Und, beim Gang auf die Herrentoilette im Zic-Zac: Vorsicht Stufe! So sehen die Boazn-Geschichten aus.

Verrufenes Saufloch

Interessanterweise hat das Mundartwort Boazn auf dem Land eine pejorative Bedeutung: Eine Boazn ist dort ein verrufenes Saufloch. Wenn Münchner von der Boazn sprechen, meinen sie das neutraler. Wahrscheinlich hat sich die Semantik in den letzten 150 Jahren verselbständigt, in denen die Boazn aufkamen.

Buch über Giesinger Boazn: Welches Lokal wird das nächste sein, das dichtmachen muss? Das Captain Jack in Untergiesing.

Welches Lokal wird das nächste sein, das dichtmachen muss? Das Captain Jack in Untergiesing.

Sie sind, wie der Historiker Karl Gattinger in seinem kulturgeschichtlichen Beitrag am Ende des Büchleins schreibt, als Relikte aus der Zeit der Industrialisierung zu betrachten, in der Zugereiste aus der bayerischen Provinz die Münchner Vororte besiedelten. Es waren Arbeiter, die sich abends ein, zwei schnelle Bier genehmigen wollten. So entstanden Boazn. Ob den Urgiesingern diese Gentrifizierung wohl passte?

Maximilian Bildhauer: Munich Boazn. Band 1, Giesing. Volk-Verlag, München 2012. 137 Seiten, 11,90 Euro.

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