Brauchtum:Sichere Beute

Lesezeit: 1 min

Der aktuelle Münchner Maibaum ist der erste seit 40 Jahren, der vor dem Aufstellen geklaut wurde. Nun ist er endlich dort, wo er hingehört: auf dem Viktualienmarkt. Ein Kran der Feuerwehr hat den Stamm am Montag aufgerichtet

Von Gerhard Fischer

Schon eine halbe Stunde vor dem Maibaum-Aufrichten sind Hunderte Menschen auf dem Viktualienmarkt. Es sind junge Kerle, die auf Mülltonnen stehen, um besser sehen zu können. Es sind junge Frauen mit Dirndl und ohne Dirndl, Männer mit Trachtenjanker und ohne Trachtenjanker, und es sind Touristen, die sich auf Englisch unterhalten und auf Deutsch "Maibaum" sagen. Alle schauen auf den leuchtend roten Kran, der den 34,5 Meter langen Stamm in die Höhe wuchten soll. Um 12.56 Uhr geht es los, der Kran wird gestartet und beginnt zu ziehen, die Musik spielt dazu und Hunderte Hände gehen in die Höhe, um Handyfotos zu schießen. Ein Vater, der wegen der Menschenmenge nichts sieht, sagt zu seinem Sohn: "Das schauen wir uns später im Fernsehen an." Das Aufrichten des Baumes geht langsam - es zieht sich, könnte man sagen. Einmal wackelt er, die Menschen sagen "Aaaah" und "Ooooh", und zu dieser bedenklichen Phase passt das O-mei-Gesicht des Liesl-Karlstadt-Denkmals, das bloß wenige Meter neben dem Maibaum steht. Karlstadt schaut auch noch in eine andere Richtung, als wolle sie das Ganze nicht sehen. Aber natürlich passiert nichts, die Feuerwehr, die den Baum aufstellt, hat alles im Griff. Um 13.11 Uhr, eine Viertelstunde nach dem Start, steht der Buam wie ein mächtiger Mikado-Stab kerzengerade auf dem Viktualienmarkt. Die Leute klatschen. Die Honoratioren - unter ihnen OB Dieter Reiter und das Münchner Kindl - trinken Bier, die Kapelle spielt "Ein Prosit der Gemütlichkeit". Drei schwarz-gelbe Flaggen stecken im Baum, aber das sind keine Fahnen, die Fans von Borussia Dortmund nach dem Pokalsieg in München vergessen haben; die Farben der Stadt München sind schwarz und gold.

Andreas Steinfatt, Chef des Vereins Münchner Brauereien, hält eine Rede, die erst vom Zwischenruf "Freibier" unterbrochen wird, dann zwischen launig und bayerisch-bodenständig wechselt. Er erinnert daran, dass der Maibaum, der vom Burschenverein Hohendilching-Sollach angefertigt und "die meiste Zeit gut" bewacht wurde, von den Kollegen aus Ismaning, Unterföhring und Neufinsing gestohlen - und "nach harten Verhandlungen" mit Bier und Brotzeit ausgelöst wurde, wie es eben Brauch ist. "40 Jahre", sagt Steinfatt zu Dieter Reiter, "ist der Maibaum nicht gestohlen worden, kaum bist du OB, ist er weg." Reiter kontert lässig: "Ich hätte ihn mir nicht stehlen lassen."

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: