Bombenfund:"Ich empfinde große Genugtuung"

Das Deutsche Museum muss wegen einer Fliegerbombe evakuiert werden, doch Direktor Wolfgang Heckl nimmt das gelassen. Er freut sich über den reibungslosen Ablauf - und will den Sprengsatz später ausstellen

Von Martin Bernstein, Elisa Britzelmeier und Silke Lode

Es braucht wohl die Abgeklärtheit eines Physikers, um diesen Tag mit Genugtuung zu betrachten. Doch genau so sieht Wolfgang Heckl an diesem Dienstag die Lage. Eine Hand in der Hosentasche steht er vor dem Europäischen Patentamt, die Isar und ein rot-weißes Absperrband trennen ihn vom Deutschen Museum. Seinem Museum. Seit Stunden ist das Gebäude evakuiert, vom Pförtner über die Besucher bis hin zu Museumsdirektor Heckl mussten alle Menschen den Kern der Museumsinsel verlassen. Noch nicht einmal die persönlichen Habseligkeiten durfte das Personal bis zum frühen Nachmittag holen, auch Heckl steht ohne Jacke auf der Straße. Aber das stört ihn an diesem milden Herbsttag ebenso wenig wie das, was sich vor seinen Augen abspielt. "Ich empfinde große Genugtuung", sagt er.

Das ist natürlich erläuterungsbedürftig angesichts der Aufgeregtheit, die seit elf Uhr rund um die Museumsinsel herrscht. Ein Baggerfahrer ist auf den Überrest einer Fliegerbombe gestoßen. Wie gefährlich das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg ist, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Das wird erst zwei Stunden später Sprengmeister Martin Tietjen feststellen. Wolfgang Heckl ist gerade mit einem Saal voller Journalisten beschäftigt, als die Meldung vom Bombenfund ihn erreicht. In seinem Haus fand die Pressekonferenz zur Langen Nacht der Museen am 17. Oktober statt. Er hat sich bereits gewundert, warum die Aufmerksamkeit seiner Gäste immer weniger ihm als viel mehr den Ereignissen auf der Straße gilt, da erfährt er: Das gesamte Museum muss geräumt werden.

Museum im Umbruch

Zum Ende der Langen Nacht der Museen, am frühen Morgen des 18. Oktober, fällt im Deutschen Museum der Startschuss für die Sanierung. Dann wird das 90 Jahre alte Gebäude vom Keller bis zum Dach modernisiert und ein Großteil der Ausstellungen neu gestaltet. Etwa die Hälfte des Hauses wird dafür bis 2019 geschlossen, darunter die Abteilungen für Drucktechnik, Foto und Film, Kraftmaschinen (teilweise), die moderne Luftfahrt, Modelleisenbahnen, ein Teil der Musikinstrumente, Optik, Raumfahrt, Robotik, Telekommunikation, Textiltechnik, Tunnelbau und der Museumsturm. Geöffnet bleiben aber nach wie vor Publikumslieblinge wie die Starkstromvorführung, das neue Planetarium, das Bergwerk, die Altamira-Höhle, auch Amateurfunk, Astronomie, Energietechnik, Geodäsie, Glastechnik, historische Luftfahrt, Keramik, Physik, Schifffahrt, Technisches Spielzeug, Zeitmessung, das Kinderreich und das Zentrum Neue Technologien mit dem gläsernen Forscherlabor - also immer noch genug für mehrere Besuche.

Nach fünf Jahren beginnt dann der zweite Sanierungsabschnitt. 2025 soll alles fertig sein. Mehrere Monate dauert allein die Räumung, teils tonnenschwere Exponate müssen umziehen. Einige Flugzeuge kommen in die Flugwerft Schleißheim, das meiste in gemietete Depots. Überraschungen können dabei immer wieder auftreten. Es muss ja nicht gleich eine Fliegerbombe sein. Auch Fundstücke tauchen immer wieder auf, wie vor Kurzem ein Heliostat, ein Sonnenlichtsammler von 1850, oder eine Karlsbader Kristallvase, die beim Räumen - Wunder der Wissenschaft - ihre Farbe wechselte. mse

Was dann passiert, erfreut das Herz des Wissenschaftlers: Es läuft alles nach Plan. "Es gab überhaupt kein Chaos, unsere Einsatzpläne für solche Fälle haben vollständig funktioniert", sagt Heckl einige Stunden nach der Evakuierung. Und er ist voll des Lobs "für die Profis am Werk, angefangen bei dem Baggerfahrer, der die Bombe entdeckt hat". Der habe sofort richtig reagiert und die Sicherheitskräfte informiert, ab dann sei alles nach Notfallplan gelaufen. "Auch die Entfluchtung ist in sehr geordneten Bahnen verlaufen", resümiert Heckl zufrieden. Natürlich ist er froh, dass nichts passiert ist. "Aber man darf eben nie vergessen, dass das Leben lebensgefährlich ist", sinniert der Museumschef, ehe er sich auf den Weg zurück in sein Büro macht, den die Polizei soeben freigegeben hat. Da ist es 14.30 Uhr.

Bomben im Untergrund

Mehr als 70 Mal haben die alliierten Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs Luftangriffe auf München geflogen. Die "Hauptstadt der Bewegung" war eines der Hauptangriffsziele, vor allem die hier ansässigen Rüstungsunternehmen, die Flughäfen und das Schienennetz. Mehr als 6000 Menschen kamen ums Leben, gut 12 000 Gebäude wurden völlig zerstört. Die Branddirektion schrieb in ihrem Abschlussbericht von 500 Minenbomben, 61 000 Sprengbomben, 145 000 Phosphor- und Flüssigkeitsbomben sowie 3,3 Millionen Stabbrandbomben.

Gefahr geht von der abgeworfenen Fracht auch heute noch aus, immer noch liegen massenweise Fliegerbomben über das gesamte Stadtgebiet verteilt begraben. Wie viele es genau sind, kann niemand sagen. Das Kommunalreferat schätzt, es könnten 2500 Bomben sein. Der Experte Karlheinz Kümmel, der in seinem Luftschutzarchiv Daten und historische Luftaufnahmen sammelt, geht von weit mehr aus: Er rechnet mit etwa 10 000 Sprengsätzen, die noch nicht geborgen sind.

Für das gesamte Stadtgebiet gilt daher ein "Kampfmittelverdacht" - ausgenommen sind nur Gebiete, die bereits auf Blindgänger untersucht wurden. Immer wieder machen Bauarbeiter gefährliche Funde, mehr als 40 Bomben mussten seit 2004 entschärft werden, an der Fröttmaninger Arena ebenso wie im Strafraum des Grünwalder Stadions. In den meisten Fällen geht das glimpflich ab, richtig brenzlig wurde es nur einmal: 2012 musste eine Bombe in der Feilitzschstraße gesprengt werden, an den Zünder wagte sich kein Entschärfer. SZ

Schon vor halb eins haben alle Museumsbesucher das Gelände verlassen, knapp unter tausend waren es wohl. Die meisten gehen einfach weiter. Kein Museum? Dann halt Stadtbummel. Nur eine Familie aus der Schweiz wartet noch vor dem abgesperrten Eingang. Der 13-jährige Florian war mit seiner Mutter in der Abteilung für Kriegsschiffe. "Dann kam die Durchsage, dass alle raus sollen", sagt er. "Wir wussten nicht, warum". Die vierköpfige Familie ist extra für den Besuch im Deutschen Museum nach München gereist, jetzt warten sie ab, ob die Sperrung bald wieder aufgehoben wird - doch Besucher werden den ganzen restlichen Tag nicht mehr hinein können, weil die Bombe nicht sofort entschärft werden kann und bis zum Abend am Fundort liegen bleiben muss. Bewacht von Münchner Polizisten und von Otto von Bismarck. Der "Eiserne Kanzler" steht als Porphyrstandbild an der Westseite der Boschbrücke und blickt, wie man meinen könnte, ein wenig fassungslos auf das Geschehen. "Hinter dem können wir ja in Deckung gehen", sagt ein Zaungast.

Vorübergehend sperrt die Polizei auch die Straßen rund um die Museumsinsel ab. In der Erhardtstraße auf der Westseite kommen immer wieder ahnungslose Radler die Isar entlang gefahren, die Polizei schickt sie weg. Am Straßenrand sitzen die Mitarbeiter des Museumsrestaurants auf einer grünen Parkbank und singen "Happy Birthday". Einer der Kollegen feiert heute seinen 57. Geburtstag. "Den wird er so schnell nicht vergessen", sagt eine Mitarbeiterin. Ein Touristenpaar bleibt bei der Menschenmenge stehen, macht ein Foto von den Feuerwehrautos und zieht weiter. Eine Bank weiter erzählt ein Mitarbeiter, dass er am Morgen schon mit dem S-Bahn-Chaos zu kämpfen hatte. Und jetzt auch noch das. Die Mitarbeiter warten, wie es weitergeht, bis irgendwann die Nachricht kommt: Alle können nach Hause, das Museum bleibt geschlossen. Kurz darauf tritt Feuerwehrsprecher Christian Kaiser vor die Reporter und sagt, dass der Zünder eine Entschärfung am Fundort nicht zulasse. Um 21 Uhr wird die Bombe deswegen vom Sprengstoffkommando nach Oberschleißheim gebracht. "Dort versuchen wir dann, sie zu zersägen."

An diesem Mittwoch will das Museum wieder öffnen. Vielleicht kehren die Überreste der Bombe eines Tages sogar auf die Museumsinsel zurück. Wolfgang Heckl jedenfalls will sie gerne als "Originalexponat" haben. "Nach dem Abtransport und der Entschärfung würde ich die Bombe gerne für unser Haus einwerben", kündigte er an.

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