Bogenhausen:Wie sich Mädchen die Mathematik erobern

Im Gymnasium Max-Josef-Stift an der Mühlbaurstraße sind Schülerinnen unter sich - und in den Naturwissenschaften höchst erfolgreich. Ein Neubau im Schulgarten bietet nun zusätzliche Räume für Biologie, Chemie und Physik, die lange ersehnte Aula gibt es obendrein

Von Stephanie Probst, Bogenhausen

Ganz lang strecken sich ein paar Mädchen aus der sechsten Klasse, um mit ihren Fingern die Decke der Aula zu erreichen. Jetzt geht das noch, wird aber schon bald nicht mehr möglich sein, denn das Gerüst und der staubige Holzboden, auf dem die Mädchen stehen, werden demnächst abgebaut. Dann ist der Blick von unten auf die hohe Decke mit den hölzernen Leisten frei. An diesem Tag ist die Aula noch eine große Baustelle, überall hängen Kabel aus den Wänden, die Tiefe des Raumes ist durch die vielen Gerüststangen kaum ersichtlich.

Das neue Gebäude im Schulgarten hinter dem Max-Josef-Stift an der Mühlbaurstraße 15 umfasst eine Fläche von 1500 Quadratmetern. Die Aula entsteht im Erdgeschoss. Bisher wurde sie im einzigen staatlichen Mädchengymnasium in München schmerzlich vermisst: Obwohl die Schule unter anderem einen musischen Zweig hat, mussten die Konzerte des 90-köpfigen Schülerinnen-Orchesters bislang in angemieteten Sälen abgehalten werden - zum Beispiel im Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität oder an Weihnachten in der Kirche.

Die Bühne der neuen Aula ist schon deutlich zu erkennen, so groß wie ein Klassenzimmer ist sie, eineinhalb Meter über dem Boden der Aula. Im April soll sie fertig sein. Doch das neue Schulhaus hält noch mehr bereit: Die beiden Stockwerke über der Aula werden die Fachräume für Biologie, Chemie und Physik beherbergen. Im alten Physiksaal im Haupthaus steht noch ein alter Röhrenfernseher, wie eine Reise in die Vergangenheit wirkt der Klassenraum mit den ansteigenden Bankreihen. "Im neuen Trakt werden die Fachräume mit modernstem Equipment ausgestattet", sagt Johannes Mühle, Mathematik- und Physik-Lehrer am Stift. Denn trotz seiner sprachlich-musischen Ausrichtung seien die Naturwissenschaften schon immer besonders gefördert worden, erklärt Schulleiterin Gisela Ewringmann.

Trotzdem habe die Schule oft mit Vorurteilen zu kämpfen: "Viele haben das eingefahrene Klischee vor Augen, dass die Schülerinnen an einer reinen Mädchenschule nur stricken und basteln lernen", sagt Ewringmann. Sie will gegen diese Vorurteile ankämpfen. "Die Mädchen sind nicht hier, um sie von Jungs fernzuhalten, sondern um sie bestmöglich zu fördern", erklärt sie, "denn die Mädchen können hier freier lernen und sich entfalten, ganz ohne Imponierdruck." Auch eine aktuelle Studie des britischen Bildungs-Blogs "SchoolDash" zeigt, dass Mädchen davon profitierten, wenn sie nur mit anderen Mädchen lernen. Demnach schaffen an gleichgeschlechtlichen Schulen 75 Prozent der Schüler in fünf oder mehr Examensfächern eine Note zwischen 1,0 (hervorragend) und 3,0 (gut). An gemischten Schulen erreichten das nur 55 Prozent. Bei monoedukativem, also geschlechtergetrenntem Unterricht trauten sich die Mädchen auch eher an "Jungsfächer" wie Mathematik und Physik heran, erklärt Barbara Rauscher, Lehrerin für Mathematik und Wirtschaft.

Neun Finger schnellen in einer zehnten Klasse mit 18 Schülerinnen in die Höhe. Wer ist gut in Mathe? Das war die Frage, die die Hälfte der Klasse sofort mit "Ja" beantwortet. Klischees wie "Mädchen können kein Mathe" haben am Max-Josef-Stift keinen Bestand. "Die Mädchen befreien sich selbst von diesem Klischee und dem typischen Rollenbild", sagt Schulleiterin Ewringmann.

Nicht nur in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern sei das laut der Schulleiterin zu sehen, auch im musischen Bereich lasse sich das gut erkennen: Trompete, Schlagzeug oder ein großer Kontrabass werden zwar oft als Instrumente für Männer wahrgenommen, doch am Mädchengymnasium haben sich viele Schülerinnen für eben diese Instrumente entschieden. "Die Mädchen stellen das gar nicht in Frage, sie machen es einfach", erklärt Rauscher.

Das bestärke die Schülerinnen auch in ihrer späteren Studienwahl. Ewringmann, aber auch Mathelehrer Mühle haben den Eindruck, dass überdurchschnittlich viele Abiturientinnen des Stifts ein Studium in den MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, anstreben. Jedes Jahr befragen sie ihre Schülerinnen nach ihren Studienwünschen, genaue Zahlen gibt es dazu keine. Das mache auch der getrenntgeschlechtliche Unterricht aus, sagt Ewringmann. Außerdem ist das Gymnasium Partnerschule der Technikfirma Siemens. "Davon profitieren wir sehr", erzählt Mühle, "unsere Schülerinnen können als Schüler-Trainees in die Firma reinschnuppern."

Bereits bei der Gründung im Jahr 1813 durch König Maximilian I. Joseph als "Königliches Erziehungsinstitut für Töchter der höheren Stände" war das Gymnasium eine Internatsschule für Mädchen. Das erste Gebäude der Schule befand sich am Oberanger, nach dreimaligem Umzug landete das Max-Josef-Stift am heutigen Standort in Bogenhausen.

Eine gelbe Sonne mit langen schwarzen Wimpern schaut dort mit freundlichem Gesicht auf die Schülerinnen, wenn sie durch das Metalltor laufen. Direkt unter der großen Uhr des kleinen spitzen Türmchens ist sie angebracht. Im Sommer ist der großzügige Schulgarten mit roten Rosen bewachsen. Hinter dem gelben Hauptgebäude erstreckten sich bis vor zwei Jahren ein großer Garten und ein Sportplatz. Ein Teil davon musste nun dem neuen Gebäude weichen, was manche Lehrer bedauern.

Doch die meisten freuen sich sehr auf den Unterricht dort. Mathe- und Physiklehrer Mühle: "Der Schulgarten ist immer noch sehr groß - sogar die Sportanlagen haben noch Platz." Auch die Mädchen aus der sechsten Klasse, die die Baustelle besichtigt haben, finden das neue Schulgebäude toll. "Das wird super!", sagt eine Schülerin und läuft über den matschigen Boden zurück ins Haupthaus. Im April wird sie im neuen Trakt die erste Schulstunde haben.

Das Max-Josef-Stift hat im Jahr 2013 sein 200-jähriges Bestehen gefeiert. Aktuell werden 650 Schülerinnen aus ganz Bayern, aller Konfessionen und aus allen gesellschaftlichen Schichten unterrichtet. Zehn Prozent der Schülerinnen bleiben über die Woche im angeschlossenen Internat, 120 im Tagesheim. Das Stift ist das einzige staatliche Mädchengymnasium mit Internat in Bayern. Besonders stolz ist Schulleiterin Gisela Ewringmann auf die enge Bindung der Schule mit ihren Schülerinnen: Viele verlassen schweren Herzens die Schule und kommen jedes Jahr zu den Schulfesten wieder. Interessierte können am Dienstag, 1. März, das Max-Josef-Stift, Mühlbaurstraße 15, kennenlernen. Um 19 Uhr beginnt der Informationsabend, bei dem über das Angebot der Schule informiert werden soll. Zeitgleich können interessierte Mädchen ihre erste Unterrichtsstunde am Stift in Fächern wie Natur und Technik, Latein oder Englisch erleben.

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