Bogenhausen:Souveränes "Abreiten"

Der Leiter des Amtes für Wohnen und Migration stellt seine Arbeit vor - mit Blick auf den Münchner Osten

Von Julian Raff, Bogenhausen

"Jeder, der ankommt, ist erst einmal Teil der Stadtgesellschaft", umschreibt Rudolf Stummvoll ein Prinzip, das sich auch unter "Integration auf Zeit" zusammenfassen lässt. Aus seiner Sicht erklärt es auch, warum Vorfälle wie die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht in München ausgeblieben sind. Auf Einladung der evangelischen Immanuel-Nazareth-Gemeinde stellte der Leiter des Amtes für Wohnen und Migration seine Arbeit vor - mit besonderem Blick auf den Münchner Osten. Vor allem aus Bogenhauser Perspektive beleuchtete auch Christiane Hacker das Thema. Die SPD-Politikerin saß bis 2014 im Stadtrat und engagiert sich heute im Stadtteil und im Bezirksausschuss für Flüchtlinge.

Wenn es den Münchnern und ihrer Verwaltung gelungen sei, die Flüchtlingswelle vom Herbst 2015 recht souverän "abzureiten", wie es Stummvoll ausdrückte, dann aufgrund einer langen, fast vergessenen Vorgeschichte. Vor allem die Balkankriege der Neunzigerjahre brachten Erfahrungen, auf die sich Bürger und Behörden später stützen konnten. So standen ausreichend Wohnplätze bereit, aber auch vom ersten Tag an sportliche und kulturelle Integrationsangebote, unabhängig von der Bleibeperspektive der Ankommenden. Es gehe dabei eben nicht um Selbstverwirklichung auf Kosten der Allgemeinheit, sondern schlichtweg um nüchternes Eigeninteresse und Gewaltprävention. Teilhabe, auch für abgelehnte, nur geduldete Asylbewerber, fordert Stummvoll aus rein humanitären Gründen - und auch, weil er, spätestens für die Zeit nach der Bundestagswahl, mit einer "Altfallregelung" rechnet, die in bestimmten Fällen den Aufenthalt dauerhaft legalisiert. Glücklicherweise werde das Miteinander in München nicht durch unsensible Abschiebepraxis torpediert, lobte der Beamte seine Kollegen in der Münchner Ausländerbehörde mit Seitenblick auf den jüngsten Polizeieinsatz in einer Nürnberger Berufsschule.

Bei aller Begeisterung über die Hilfsbereitschaft und Solidarität seiner Mitbürger äußerte sich nicht nur Stummvoll pragmatisch-realistisch. Hacker räumte "desillusionierende" Erfahrungen ein, zum Beispiel mit jungen afrikanischen Frauen, die sich nicht davon abbringen ließen, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution oder Transferleistungen zu bestreiten und entsprechend geringes Interesse am Deutschlernen zeigten. Die große Mehrheit nehme Lernangebote jedoch eifrig an, manchmal, um mit den eigenen Kindern mithalten zu können. Vor mehr als zehn Jahren gegründet, läuft und wächst daher an 18 Münchner Standorten das Programm "Mama lernt Deutsch". Besonders für die Gemeinschaftsunterkünfte in Daglfing und Messestadt Riem, für das Riemer Familienzentrum, das Kindertageszentrum Neuperlach und den Maikäfertreff in Berg am Laim würden noch Helferinnen gesucht (Infos unter der Nummer 74 371 384) .

Integrationsfragen rücken zwar aktuell in den Vordergrund, was aber nicht heißt, dass die elementaren Probleme der Unterbringung bereits gelöst wären: Zuletzt konnten viele der in München angekommenen Flüchtlinge im Bezirk Schwaben untergebracht werden, wo dauerhaft angemietete Hotelzimmer zur Verfügung standen. Stummvolls Warteliste zählt dennoch mehr als 3700 anerkannte Flüchtlinge unter den 7900 provisorisch untergebrachten Wohnungslosen. Der Amtsleiter rechnet damit, diese Zahlen in zwei- bis vier Jahren durch Umzug in reguläre Wohnungen deutlich drücken zu können - falls neue Flüchtlingswellen ausbleiben.

Die Devise eines vorsichtigen Optimismus gilt auch für den Umgang mit der provisorischen Leichtbauhalle neben der Unterkunft an der Max-Proebstl-Straße in Daglfing. Als Reserve für eventuelle neue Ankunftswellen wird die Konstruktion bis dato im "Standby-Betrieb" beheizt und unterhalten, so Stummvoll. Voraussichtlich werde die leer stehende Halle aber bis Jahresende abgebaut.

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