Bogenhausen:Noble Adresse

Am Shakespeareplatz residierte einst Hofschauspieler und Hofrat Richard Stury, der George Clooney der Prinzregentenzeit

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Sie steht unter den Buchen am Nordrand des Parks und schaut nachdenklich in die Ferne. Vielleicht grübelt sie über ihr "herbes Los" nach, von dem William Shakespeare geschrieben hat, vielleicht denkt sie an ihren Romeo im fernen Verona. Von dort ist sie 1974 gekommen, die bronzene Julia, Kopie einer Statue von Nereo Costantini, als Geschenk aus Münchens norditalienischer Partnerstadt. Diesen Romeo hätte sie aber auch hier treffen können, an diesem schattigen Platz mitten im Villenviertel von Bogenhausen, der passenderweise auch noch Shakespeareplatz heißt. Nur hätte sie dafür noch einmal gut 60 Jahre früher dran sein müssen.

Denn damals, im Jahr 1912, ließ sich der Hofschauspieler und Hofrat Richard Stury gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite eine stattliche Künstlervilla bauen. Er galt als herausragender Schiller- und Goethe-Darsteller seiner Zeit, wurde aber auch für seine Shakespeare-Interpretationen gefeiert. "Herrn Stury's Romeo ist unbedingt lobenswerth", schrieb das Münchener Theater-Journal 1887 laut Homepage des Bogenhauser Vereins Nordostkultur. "Jugendliche Gluth, gleichmäßige poetische Begeisterung, warme Empfindung zeichnen diese Rolle aus und Herr Stury hatte Momente von erhabener Schönheit."

Bogenhausen: Am Shakespeareplatz kann jeder seine Ruhe finden.

Am Shakespeareplatz kann jeder seine Ruhe finden.

(Foto: Catherina Hess)

Nach der Jahrhundertwende dann war die jugendliche Glut zwar schon ein wenig erkaltet, Stury inzwischen 45 Jahre alt. Doch dieser George Clooney der Prinzregentenzeit hatte eine eingeschworene Fan-Gemeinde, er war "das Entzücken aller junger Mädchen", wie das Journal Münchner Kunst schon 1890 festgestellt hatte. Als er am 22. Februar 1904 die 26-jährige Apothekerstochter Ella Seeholzer heiratete, gefiel das seinen Bewunderinnen gar nicht. Die Hochzeit fand unter Polizeischutz statt, der Schauspieler hatte anonyme Drohbriefe erhalten. Eine Verehrerin wollte ihn gar "vom Altar herunterschießen".

Zu dieser Zeit gehörte Stury längst zum Establishment. Da lag es nahe, dass er nach der Hochzeit in dem repräsentativen Villen- und Bürgerhausviertel, das nördlich der neuen Prinzregentenstraße am Ostufer der Isar entstand, ein adäquates Domizil errichten ließ. Mit Gattin und vier Kindern zog er 1912 vom Lehel in seine Villa. Und damit auch jedermann sehen konnte, dass dort ein Schauspieler residierte, wurde der Südgiebel mit einer Theatermaske aus Stuck geschmückt, die auf die antike Tragödie hinweist. Natürlich ging die Crème de la Crème der Münchner Gesellschaft bei Sturys ein und aus: Richard Strauss, Max von Schillings, Adolf von Hildebrandt, Max Halbe, Ludwig Thoma, Hermann und Eugen Roth, Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII., Thomas Mann, der um die Ecke im Herzogpark wohnte.

Bogenhausen: Feudaler Anblick: Schauspieler Richard Stury sorgte dafür, dass sein Beruf auch am Hausdekor abzulesen war - eine Theatermaske ziert den Giebel.

Feudaler Anblick: Schauspieler Richard Stury sorgte dafür, dass sein Beruf auch am Hausdekor abzulesen war - eine Theatermaske ziert den Giebel.

(Foto: Catherina Hess)

Nur eines trübte die großbürgerliche Idylle nachhaltig: Im Jahr 1916 beschloss der Magistrat der Stadt München, Sturys Adresse zu ändern. Aus dem damaligen Holbeinplatz wurde der Possartplatz, benannt nach dem Schauspieler und Hoftheater-Intendanten Ernst von Possart, Sturys großem Konkurrenten. Ella Stury gefiel diese Neuerung überhaupt nicht, doch auch ihre Intervention konnte die Umwidmung nicht verhindern. Dass der Platz seit 1964 Shakespeareplatz heißt, hätte sie zwar wohl goutiert, verstimmt wäre sie aber weiterhin gewesen. Inzwischen hat die Stadt die Adresse der Villa nämlich erneut geändert: Jetzt ist sie der Possartstraße zugeschlagen. Heute, hundert Jahre später, wissen nur noch wenige, wie berühmt Possart und Stury waren. Sturys Villa ist inzwischen Sitz einer nach dem Schauspieler benannten Stiftung, die Kunst und Geisteswissenschaften fördert sowie darstellende und bildende Künstler mit Stipendien unterstützt. Der bronzenen Julia auf dem Shakespeareplatz dürfte das gefallen.

Dieser Platz hat sich kaum verändert in all den Jahrzehnten, blendet man einmal die geparkten Autos aus. Ein grüner Fleck mit großen Bäumen, umgeben von herrschaftlichen Villen, deren vornehme Bewohner entweder ganz auf einen Namen am Klingelschild verzichten oder sich nur mit ihren Initialen verzeichnen. An einem sonnigen Vormittag im August geht das Leben auch heute noch gemächlich seinen Gang: Ein Gärtner schneidet die Hecke der Villa an der Keplerstraße 15, drei Häuser weiter auf Nummer 18 schüttelt das Hausmädchen am offenen Fenster im ersten Stock ein Staubtuch aus, auf den Parkbänken an der Südseite des Platzes sitzen Müßiggänger und lesen in Magazinen. Nur dass das Hausmädchen keine Uniform trägt, der Gärtner eine Sense mit Motor schwingt, und der Mann auf der Parkbank seine Breze aus der Papiertüte isst.

Bogenhausen: Verschnaufpause bei Julia oder Plauderrunde zu Füßen der Brunnenfrau aus den Dreißigerjahren.

Verschnaufpause bei Julia oder Plauderrunde zu Füßen der Brunnenfrau aus den Dreißigerjahren.

(Foto: Catherina Hess)

Und auch die Hunde im Park sind vielleicht nicht mehr ganz so hochherrschaftlich wie ehedem. Gerade strebt ein Rauhaardackel auf den Springbrunnen von Emil Krieger mit der üppigen Frauenfigur von Georg Mueller zu. Der Hund springt auf den Rand des quadratischen Beckens, trippelt auf die unterste Stufe hinunter und fängt an zu fiepen. Seine Herrin ist mit dem Ritual vertraut: Aus dem Ende der Leine hat sie eine Schlinge geformt und manövriert Zweige aus dem Becken Richtung Stufen, sodass der Dackel sie erwischen kann, ohne nass zu werden. Kaum hat er ein Stöckchen aus dem Wasser gefischt und abgelegt, wird schon der nächste erfiept - auch für die Zuschauer ein vergnüglicher Zeitvertreib. Allerdings nicht für alle: Aus der Ferne schaut ein langbeiniger cognacfarbener Jagdhund zu. Man kann förmlich sehen, wie er die Nase rümpft.

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