Bogenhausen:Die Angst vor dem Stillstand

Nur beim viergleisigen Ausbau bekommt die Bahnstrecke zwischen Johanneskirchen und Daglfing einen Tunnel. Erst dann werden die maroden Stationen barrierefrei modernisiert. Die SPD fordert Informationen zum Zeitplan

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

"Ich möcht's gern noch erleben", sagte Karin Vetterle. Nun ist die Sprecherin der SPD im Bezirksausschuss (BA) Bogenhausen weder alt noch hinfällig, sondern Jahrgang 1965 und sehr sportlich. Aber sie sprach in der jüngsten Sitzung des Gremiums vom viergleisigen Ausbau der Bahnstrecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen, und was dessen Verwirklichung betrifft, muss man nun tatsächlich in sehr langen Zeiträumen rechnen. Darangeplant wird seit Jahrzehnten - mit der fatalen Auswirkung, dass die Bahn in die S-Bahnhöfe Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen schon seit geraumer Zeit kein Geld mehr investiert. Wird ja ohnehin irgendwann abgerissen, das marode Zeug, so das Argument. Die Folge ist, dass keiner der drei Bahnhöfe - wohlgemerkt an der Strecke zum Flughafen gelegen - über Rolltreppen oder Aufzüge verfügt, dass die Zugänge voller Schlaglöcher sind, in denen das Regenwasser knöcheltief stehen bleibt, dass die Dächer löchrig, die Stationsschilder verwittert, die Sitzbänke kaputt sind. Fahrgäste mit Koffer oder Kinderwagen, Behinderte und Senioren können sehen, wo sie bleiben.

Aber barrierefreie S-Bahnhöfe im Stadtbezirk Bogenhausen wird es erst geben, wenn diese Bahnstrecke viergleisig ausgebaut ist, dieser Zusammenhang ist auch den Bezirksausschuss-Mitgliedern klar. Deswegen würden sie dieses Projekt ja gerne vorantreiben. Es sieht vor, die Gleise der S 8 zum Flughafen und die Gütertrasse zum Rangierbahnhof zu entflechten. Würden die getrennten Schienenstränge oberirdisch verlegt, entstünde aber eine nahezu unüberwindliche Schneise mitten durch den Stadtbezirk, und die ohnehin hohe Lärmbelästigung für die Anwohner würde zudem noch deutlich massiver. Daher ist es den Bogenhausern nur recht, dass der Münchner Stadtrat schon seit 2010 einen Tunnel für die viergleisige Bahnstrecke fordert.

Verschwinden die Züge unter der Erde, hat das noch einen großen Zusatznutzen für die Stadt. Dann ist buchstäblich der Weg frei für ein Wohnbauprojekt, an dem seit 2011 kräftig geplant wird: die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten mit 2000 Arbeitsplätzen und vor allem Wohnungen für mindestens 10 000 Menschen. Das Viertel soll irgendwo auf den Freiflächen östlich der Bahnlinie errichtet werden. Eine vernünftige Anbindung Richtung Innenstadt sei aber nur möglich, wenn die Züge im Tunnel fahren und oberirdisch ein zusätzliches Straßennetz geknüpft werden kann, argumentieren zumindest die Stadträte von SPD und CSU. Und natürlich die Bogenhauser Stadtviertelvertreter, die sich in mehreren Resolutionen immer wieder hinter die Tunnellösung stellten.

Die Grünen im Stadtrat dagegen kritisierten schon 2011 die hohen Kosten einer Tieferlegung - von 500 Millionen Euro, die allein aus der Stadtkasse bezahlt werden müssten, war seinerzeit die Rede. Seitdem sind fünf Jahre vergangen, eine Kostensteigerung kommt also oben drauf. Die Stadtrats-Grünen schlugen daher eine oberirdische Lösung vor, um die Gleisschneise zu überspannen: mit flach ansteigenden, begrünten Lärmschutzwällen, die die Landschaft gliedern. Die Bogenhauser BA-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) erteilte dieser Idee ihrer Parteifreunde schon damals eine klare Absage und wusste ihren BA hinter sich: "Flickwerk", sagte sie.

An der Haltung der Stadtviertelvertreter hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Weil von dem Projekt schon lange nichts mehr zu hören ist, befürchten sie jedoch, dass wieder einmal jahrelanger Stillstand eintritt. Der BA nahm jetzt einstimmig einen SPD-Antrag an, mit dem er sich erneut hinter den Tunnel stellt und von Stadt und Bahn Informationen zum viergleisigen Ausbau und zur barrierefreien Gestaltung der Bahnhöfe fordert. "Es passiert gar nichts", stellte Karin Vetterle fest. "Wir sollten jetzt endlich mal wissen, wie es weitergeht."

Xaver Finkenzeller (CSU) erklärte, die Tieferlegung der Gleise sei "die fundamentale Voraussetzung für jede Nachverdichtung im Nordosten". Andreas Nagel (David contra Goliath) stimmte ihm zu, befürchtete aber, "dass wir mit der Antwort auf unsere Frage nicht so zufrieden sein werden". Er hielt es für möglich, dass "die Tieferlegung die nächsten zehn, 15 Jahre nicht kommt".

Petra Cockrell (CSU) griff den Gedanken auf und wies darauf hin, dass die Güterzugtrasse durchs Stadtviertel eine Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel sei, der 2026 fertig werden soll. "Die Anwohner werden am viergleisigen Ausbau sehr viel Freude haben", sagte sie ironisch, wenn gleichzeitig die Zahl der Güterzüge auf der Strecke massiv ansteige. Konkrete Zahlen dazu nannte Angelika Pilz-Strasser: 300 Züge pro Tag würden die Strecke dann nutzen, 240 davon nachts.

Eine oberirdische Lösung mit Landschaftsbrücken komme aus ihrer Sicht auch deswegen nicht in Frage, weil die dafür notwendigen Grundstücke größtenteils in Privateigentum seien, sagte Pilz-Strasser: "Wenn wir was anderes machen als die Tieferlegung, haben wir jahrelange Rechtsstreitigkeiten" prophezeite sie. Dies sei ihr Albtraum: "Wir sitzen dann an der S-Bahn und haben den ganzen Lärm."

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