Bob Dylan in München:Ein richtig gutes, schlechtes Konzert

Keine Begrüßung, kein Blick ins Publikum, keine Tanzbewegungen: Musiklegende Bob Dylan ist live seit 50 Jahren alles andere als eine Wucht. Sein Konzert in München ist dennoch hervorragend. Wie macht er das?

Lisa Sonnabend

Eigentlich müsste es der 70-jährige Bob Dylan mittlerweile draufhaben. Seit 50 Jahren tritt er öffentlich auf, seit 23 Jahren befindet er sich auf seiner sogenannten Never Ending Tour, auf der er schon fünf Mal die ganze Welt umrundet hat und etwa 100 Konzerte pro Jahr spielt. Doch die Live-Qualitäten von Bob Dylan an diesem Mittwochabend in München sind alles andere als berauschend.

Bob Dylan

Seit 50 Jahren auf der Bühne: Bob Dylan bei einem Konzert im Juni 2011.

(Foto: AP)

Keine Begrüßung, keine Ansagen, kein Lächeln, nicht einmal ein Blick ins Publikum. Meist kerzengerade steht der Mann, der seit den sechziger Jahren die Popmusik geprägt hat wie kaum ein anderer Musiker, auf der Bühne in der Münchner Olympiahalle. Nur manchmal geht er ein wenig in die Knie, nur manchmal bewegt er sich tänzelnd ein paar Schritte im Takt. Warum zum Henker gelingt es dem Folk- und Rockmusiker dennoch, ein hervorragendes Konzert zu spielen?

An einer effektvollen Bühnen- und Lichtshow liegt es jedenfalls nicht. Denn auf die verzichtet Bob Dylan vollständig. Dort, wo am Vorabend noch die R'n'B-Sängerin Rihanna in Minikleid aus einer durchsichtigen Kapsel stieg, hängt nun ein schwarzer Vorhang. Nur ab und zu wird dieser von einem braunen Licht angestrahlt. Mehr nicht.

Auch Bob Dylans Aussehen reißt die 8500 Zuschauer in der ausverkauften, bestuhlten Halle nicht gerade vom Hocker. Der Sänger trägt eine schwarze Hose mit goldenen Borten, ein zu weites, steifes Jackett und einen großen, weißen Hut, der sein Gesicht fast vollständig verdeckt.

Mariachi, der in der ganzen Welt auftritt

Man könnte Dylan für einen mexikanischen Mariachi halten. Auch diese haben schwarze Anzüge mit goldenen Borten an, große Hüte auf - und machen Musik. Die Mariachis werden gebucht, damit sie auf Trauerfeiern, Hochzeiten oder nachts vor dem Haus der Geliebten spielen. Sie sind da, um Gefühle auszudrücken, die ein gewöhnlicher Mensch oft nicht zu sagen vermag. Genau so verhält es sich auch bei Bob Dylan, dem Mariachi, der in der ganzen Welt auftritt.

Seine Texte sind traurige Liebeslieder oder politische Protestsongs, immer poetisch. Auf Bob-Dylan-Konferenzen - zuletzt im Frühjahr in Wien - wird tagelang über deren literaturgeschichtliche Bedeutung diskutiert. Seit Jahren wird der Musiker zudem als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Bislang ging er leer aus.

Allein die Texte machen das Konzert also zum Ereignis. Und die Stimme. Die Zuschauer lauschen andächtig, als Dylan nach einer guten Stunde singt: "Forgetful heart, lost your power of recall. Every detail, you don't remember at all." Diese Stimme, die laut und leise, rauchig und klar, kraftvoll und zart zugleich ist. Und die auch nach 50 Jahren auf der Bühne, nach Drogen- und Alkoholeskapaden, ohne Probleme eine riesige Halle ausfüllt.

Ein Wunsch von Bob, dem Tourmeister

Bei den ersten vier Liedern hat sich Mark Knopfler, der Dylan bei der Europa-Tour als Support-Act begleitet, auf die Bühne geschlichen und zupft an der Gitarre. Einen Dire-Straits-Sänger als Vorprogramm, der von 8500 Zuschauern Standing Ovations bekommt und dann noch ein wenig im Hintergrund klimpert, auch das bekommt nur Dylan hin.

Vor der Halle steht währenddessen noch immer ein Mann mit grauen Rastazöpfen, einem Pappschild "Suche noch Tickets" in der Hand und einem Blick, der nach jeder Minute verzweifelter wird. Im Inneren springt immer wieder irgendwo plötzlich ein Zuschauer auf, den eine Stelle in diesem Moment ganz besonders berührt. Pärchen, die in den sechziger Jahren jung waren, liegen sich in den Armen - und kriegen sich erst in die Haare, als sie sich nicht einig werden, wann sie Dylan zuletzt live gesehen haben. Eine Frau kommt abgehetzt vom Elternabend, die ersten Lieder hat sie bereits verpasst. "Für Dylan mach' ich das", meint sie.

An den Eingängen weisen Ordner darauf hin, die Handykameras nicht zu benutzen: "Er mag das nicht." Und tatsächlich halten sich fast alle daran, was sich Bob, der Tourmeister wünscht. Nur selten blinkt und blitzt es.

Stühle bleiben verlassen zurück

Nach eineinhalb Stunden, bei Thunder On The Mountain, strömen die Zuschauer in Richtung Bühne. Innerhalb von wenigen Sekunden bleiben die meisten Stühle verlassen zurück. Die Ordner machen ein paar Schritte, um sich in Position zu bringen, ziehen sich dann aber wieder zurück. Dylan singt: "In don't need any guide, I already know the way. Remember this, I'm your servant both night and day."

Bob Dylan ist der Zeit nicht hinterher, er ist ihr entrückt. Womöglich ist seine Never-Ending-Tour tatsächlich eine Tournee, die niemals zu Ende geht. The Answer is Blowing in the Wind ist das letzte Lied. Für diesen Abend.

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