BND-Akten:Der Hirte und die Horcher

Bespitzelt von Stasi und BND: Von 1957 bis 1961 war der Theologe Julius Döpfner Berlins Erzbischof, dann wurde er vom Papst nach München versetzt.

Von 1957 bis 1961 war der Theologe Julius Döpfner Berlins Erzbischof, dann wurde er vom Papst nach München versetzt.

(Foto: UPI/SZ Photo)
  • Julius Döpfner war einer der wichtigsten Männer der katholischen Kirche.
  • Wie bisher unbekannte Dokumente zeigen, wurde er nicht nur von der Stasi, sondern auch vom BND bespitzelt.
  • Selbst als er Berlin verließ und Erzbischof von München wurde, setzte die Stasi vier Spione auf ihn an.

Von Uwe Ritzer und Jakob Wetzel

Für die Staatssicherheit der DDR war stets höchst verdächtig, was dieser Julius Döpfner trieb. Etwa am 16. Mai 1958. Da reiste der spätere Erzbischof von München und Freising nach Vorpommern. Und nicht nur, dass er dort Jugendliche firmte, also "Kulthandlungen" vollzog, wie die Stasi in einem Bericht formulierte. Die Bevölkerung habe ihre Häuser mit gelb-weißen Kirchenfahnen geschmückt und den Weg zur Kirche mit Tannengrün ausgelegt, notierten die Stasi-Späher pikiert.

Junge Männer hätten den Bischof begeistert fotografiert; dabei fiel insbesondere der örtliche Schneidermeister auf. "Gesamteinschätzend ist zu sagen, daß die Kirche einen immer stärkeren Kampf bei der Verbreitung ihres Glaubens führt und mit allen Mitteln versucht, unsere Menschen für sich zu gewinnen", warnten die Spitzel.

"Unsere Menschen" - im Ringen um deren Köpfe war die katholische Kirche für die DDR eine feindliche Macht. Und Julius Döpfner ein besonders gefährlicher Feind. Schließlich war der 1913 in Unterfranken geborene Theologe ein Senkrechtstarter in der katholischen Kirche der Nachkriegszeit. Jüngster Bischof in Europa mit 35 Jahren. Jüngster Kardinal mit 45. Später eine der zentralen Figuren des Zweiten Vatikanischen Konzils. Als die Stasi in jenem Mai 1958 seinen Besuch in Vorpommern überwacht, ist Döpfner Bischof von Berlin.

Doch nicht nur die antireligiöse DDR, auch westdeutsche Geheimdienstler beschäftigten sich mit ihm. Dies belegen Dokumente aus dem bislang unbekannten Privatarchiv von Reinhard Gehlen, des ersten Chefs des Bundesnachrichtendienstes (BND), das der SZ zugespielt wurde. Dieses Material und Döpfners umfangreiche Stasiakte machen die Dimension deutlich, in welcher der Geistliche Jahrzehnte lang von Geheimdiensten ausspioniert wurde. Auch in München waren mehrere Spitzel auf ihn angesetzt.

Dass die DDR großes Interesse an Döpfner hatte, verwundert nicht. Als Bischof war er der ranghöchste Katholik in Berlin. Überraschender ist, dass auch der für Auslandsspionage zuständige, westdeutsche BND den Kardinal im Visier hatte.

"Vortragsnotiz 1209" ist ein "Geheim" gestempelter BND-Agentenbericht vom 11. Juli 1961 überschrieben. Fünf Tage zuvor war offiziell geworden, dass Döpfner Nachfolger des verstorbenen Joseph Kardinal Wendel als Erzbischof von München und Freising werden würde. In einem handschriftlichen Brief hatte ihn Papst Johannes XXIII. zwangsversetzt, nicht ohne unmissverständlichen Hinweis auf Döpfners Gehorsamspflicht. Denn der wollte unter keinen Umständen aus Berlin weg.

Warum ausgerechnet jetzt, da sich in Berlin einiges zusammenbraute? Einen Monat später würde eine Mauer die Stadt teilen, was Anfang Juli zwar noch niemand wusste, aber viele fürchteten. Gehlen und seine Leute waren irritiert. In aller Eile zapfte der BND einen "Gelegenheitsinformanten mit sehr guten Beziehungen zu hohen Würdenträgern" der Kirche an. Glaubt man ihm, hielt der Vatikan Döpfner für politisch verbrannt. Er sei "gegenüber der Zone weitgehend isoliert und auf Westberlin beschränkt, wo aber verhältnismäßig wenig Katholiken sind. Er hängt also sozusagen in der Luft", heißt es in dem Vermerk.

Obwohl wenig später ein BND-Spitzel mit dem Tarnnamen "Petrus" meldete, der Kardinal sei entschlossen, sich notfalls der päpstlichen Umzugsanweisung zu widersetzen, trat Julius Döpfner am 1. Oktober 1961 sein Amt in München an, das er bis 1976 ausübte.

Doch damit verloren die Geheimdienste keineswegs das Interesse an ihm, zumal Döpfner als einer der Moderatoren beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) auf die weltkirchliche Bühne zurückkehrte. Das Konzil war ein Tummelplatz für Agenten aus der ganzen Welt. Sie wollten herausfinden, wie sich die katholische Kirche in diesen Jahren des Kalten Krieges ausrichtet. Und vor allem: Wer im Vatikan an Einfluss gewinnt oder verliert.

Stasi-Spitzel notierten Döpfners Predigten - und sein Nummernschild

Die DDR hatte speziell Döpfner schon viel länger schon auf dem Schirm, wie aus den in Berlin archivierten Stasi-Unterlagen hervorgeht. Schon über den jungen Bischof von Würzburg (1948 bis 1957) schrieben Ostberliner Agenten, er äußere sich feindselig über den Kommunismus, mische beim katholischen Echter-Verlag mit, der Hetzschriften gegen den Sozialismus verbreite, und unterstütze die Ostpriesterhilfe, welche "die Menschen in den sozialistischen Ländern zu revisionistischen Tätigkeiten" anhalte. Sie half damals den im Ostblock gegängelten Katholiken, Geistliche auszubilden, Kirchen zu bauen oder die Bibel unter die Leute zu bringen.

Zum Bistum Würzburg gehörten bis 1994 auch Gebiete in Thüringen. Reiste Döpfner zu einer Priesterweihe dorthin, schrieben Stasi-Spitzel seine Predigten mit, notierten seine Automarke und die Nummernschilder von Gottesdienstbesuchern, hielten ihre Zahl, Geschlechterverhältnis und Altersstruktur fest. Als Döpfner 1957 Bischof von Berlin wurde, wertete die Stasi dies als Zeichen, dass die Kirche "ihre revisionistische Tätigkeit" weiter in den Osten verlagere.

Auch in Berlin verfolgten ihn Spitzel auf Schritt und Tritt. "Geheime Informatoren" berichteten detailliert aus internen Priesterkonferenzen, von Pfarrbesuchen und Firmungen. Sogar seine Korrespondenz wurde abgefangen. Zuweilen glitt die Schnüffelei ins Paranoide ab. Etwa 1958, als der Geheimdienst allen Ernstes argwöhnte, die Kirche bilde bei geistlichen Exerzitien "Kircheelitetruppen" gegen den Marxismus aus. Auch im Apparat der Deutschen Bischofskonferenz, deren Vorsitzender Döpfner von 1965 bis 1976 war, saßen Zuträger. Bei ihnen bedankte sich die Stasi schon mal mit einem Schlauchboot.

Auch nach Döpfners Wechsel nach München ging das weiter. Laut einem "Berichtsblatt" setzte die Stasi 1966 vier "Inoffizielle Mitarbeiter" auf Döpfner an, Decknamen "Horst", "Bruno", "Hubert" und "Karl". Wozu das alles? "Das Objekt ist die zentrale Institution der Katholischen Kirche in Westdeutschland", erklärte die auch Kirchen zuständige Hauptabteilung der Stasi. Die Spitzel sollten in die "politisch-klerikalen Zentren" eindringen, deren Methoden und Ziele ausspähen sowie die Verbindungen von Kirche, Staat und westdeutschem Geheimdienst aufdecken.

Diese Verbindungen gab es tatsächlich. Einerseits blieb Döpfner Ziel von Gehlens BND, wo es beispielsweise auf empörtes Unverständnis stieß, als der den Posten des katholischen Militärbischofs ausschlug. Andererseits profitierte der Kardinal auch vom BND, wie Forschungen der letzten Jahre ergaben. Unter dem Decknamen "Eigenheim" soll Döpfner regelmäßig Dossiers mit geheimdienstlichen Erkenntnissen über den Vatikan erhalten haben.

"Feind des Sozialismus", Chauvinist, Revanchist und "Vertreter der westdeutschen Militärkirche": Die Stasi jedenfalls war sich sicher, mit wem sie es bei Julius Döpfner zu tun hatte. Der einflussreiche Kirchenmann stünde nicht nur Bundeskanzler Adenauers Politik "beschützend zur Seite", wie ein Stasi-Mann 1957 aufschrieb. Ein Bundestagsabgeordneter trug ihr 1958 auch zu, dass der Kardinal Adenauer regelmäßig "mit konkretem Material über die Lage der kath. Kirche in der DDR" versorgte, das jener dann auch in seinen Reden verwende. Aufmerksam registrierten die Spitzel selbst Glückwunschtelegramme Döpfners an CSU-Chef Franz Josef Strauß, mit dem er sich wiederholt zu Geheimbesprechungen getroffen habe.

Die Führung in Ost-Berlin auferlegt Döpfner ein Einreiseverbot in die DDR

Döpfner machte nie ein Hehl aus seiner politischen Gesinnung. An Silvester 1962 etwa predigte er in der Münchner Frauenkirche, der Kommunismus verfolge das Ziel der "Weltunterdrückung". Als Bischof von Berlin hatte er im März 1961 die Katholiken in den in der DDR gelegenen Pfarreien seines Bistums dazu aufgefordert, sich "nicht mit einer Ordnung zu identifizieren, die grundlegende Rechte Gottes und der Menschen außer Kraft" setze.

Schon nach einem Jahr als Berliner Bischof reagierte die Führung in Ost-Berlin mit einem Einreiseverbot in die DDR. Fortan konnte Döpfner einen Großteil der Gläubigen seines Bistums nicht mehr besuchen. Die "Arbeitsgruppe Kirchenfragen" im Zentralkomitee der SED listete in einem internen Papier im November 1958 Gründe auf: Seine "Hetzreden, die von ihm veranlassten Memoranden an die Regierung der DDR, Artikel in katholischen Zeitungen, Hirtenbriefe und die Nichteinhaltung gesetzlicher Bestimmungen besonders während seiner Reisen in die DDR zur Firmung von Kindern". Tatsächlich hatte der Kardinal die vorgeschriebene Aufenthaltsgenehmigung häufig nicht eingeholt.

Das Einreiseverbot war mit Döpfners Versetzung nach München nicht hinfällig; sie reichten bis in die Siebzigerjahre. DDR-Grenzbeamte erhielten Steckbriefe von "Döpfner, Julius, Arbeitsstelle und Tätigkeit: Dr. theol., Kardinal, Größe: 1,75 m; Gestalt: korpulent; Gesicht: oval; Haar: schwarz; geschätztes Alter: Mitte 40; besondere Kennzeichen: Brillenträger (nicht ständig)". In einem "Fahndungsauftrag" hieß es 1965, er sei in Berlin unerwünscht: "Er ist beim Betreten einer Grenzübergangsstelle zurückzuweisen."

Erst im Mai 1976, zwei Monate vor seinem Tod, ließ die Regierung der DDR Döpfner noch einmal nach Ostberlin. Unmittelbar hinter dem Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße heftete sich ein Agent an seine Fersen. "001154", wie Döpfner im Observationsbericht genannt wird, sei im Fond eines cremefarbenen VW K 70 L gesessen. Mit ihm fuhren drei Männer zur Hedwigs-Kathedrale. Dort habe man Döpfner "nicht unter Kontrolle" gehabt. Akribisch listete der Spitzel 17 Fahrzeuge auf, die dort an- und abfuhren, ehe der Kardinal wieder nach Westberlin reiste.

Döpfners undiplomatischer Antikommunismus und die Einreisesperren waren wesentliche Gründe, weshalb er Berlin Richtung München hatte verlassen müssen. Der Papst habe ihn wegen seiner politischer Haltung wegversetzt, urteilten Stasi und BND in seltener Einigkeit. Wohl spielten aber auch innerkirchliche Probleme eine Rolle, die jetzt erst durch die Gehlen-Akten ans Licht kommen.

In München werde Döpfner auch "aus seelsorgerischen Gründen dringend benötigt", heißt es in der BND-"Vortragsnotiz Nr. 1209". Denn in der Erzdiözese seien die Dinge "ziemlich verlottert". Sein Vorgänger Wendel habe sich "gegenüber dem selbstherrlichen Domkapitel nicht durchsetzen" können. Nun müsse alles "mit Energie in Ordnung gebracht werden". Und Döpfner sei dafür "der geeignete Mann" mit der "nötigen Härte".

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