Blutproben auf der Wiesn:Bluttest-Affäre weitet sich aus

Das Rote Kreuz hat möglicherweise schon 2004 Blutproben zur Verfügung gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Monika Maier-Albang

Das Bayerische Roten Kreuzes hat offenbar über Jahre hinweg bei Wiesnbesuchern Bluttests durchgeführt. Bereits Ende August war bekannt geworden, dass auf der Sanitätsstation, das der Kreisverband des BRK betreibt, im Jahr 2004 mehrere hundert zum Teil volltrunkenen Wiesnbesuchern Blut abgezapft worden war - zu "rein diagnostischen und therapeutischen" Zwecken, wie das BRK nach wie vor versichert.

Die Blutproben waren 2004 für eine Studie verwendet worden, die Aufschluss über die Trinkgewohnheiten, aber auch über den Drogenkonsum der zum Teil minderjährigen Wiesnbesucher geben sollte. Nach Angaben von Medizinern, die in den vergangenen Jahren an der Sanitätsstation Dienst verrichteten, war die umstrittene Blutentnahme bis in das Jahr 2008 gängige Praxis.

Rund 300 Patienten pro Jahr soll in der Sanitätsstation Blut für verschiedene Blut- und Drogenschnelltests abgenommen worden sein. Nun steht der Verdacht im Raum, dass auch nach 2004 die Blutproben zu Studienzwecken verwendet worden sind.

Vergangenen Dienstag hatte der Vorstand des Münchner Roten Kreuzes rund 40 Bereichsverantwortliche in die Geschäftsstelle in die Seitzstraße geladen, um über die Vorfälle zu informieren. Im Verlauf des mehrstündigen Treffens kam es offenbar zu einer kontroversen Debatte. Mehrere BRK-Bereitschaftsleiter, schildert ein Teilnehmer, hätten sich zu Wort gemeldet und berichtet, dass der Leipziger Arzt und Verfasser der umstrittenen Studie, Christian Binner, auch in den Jahren 2005 bis 2008 in der Sanitätsstation tätig war und Blutentnahmen tätigte oder in Auftrag gab.

"Der behandelnde Arzt entscheidet" Auf die Frage, wieso man den Betrunkenen das Blut abnehmen müsse, habe Binner auch in den Jahren nach 2004 geantwortet, dass die Blutwerte für Studienzwecke benötigt würden. Ein Arzt, der seit Jahren Dienst in der Sanitätsstation verrichtet, sagte der SZ, dass wiederholt Ärzte und Sanitäter die Blutentnahme kritisch hinterfragt und sich mit ihren Bedenken sowohl an den ärztlichen Leiter des Behördenzentrums, Kurt Schneider, wie an die Chefärztin der Wiesn-Station, Monika Mirlach, gewandt hätten. "Sie bekamen immer ausweichende Antworten."

Beim BRK-Vorstand will man von dieser Kritik an der Blutentnahme-Praxis nichts mitbekommen haben. "Uns ist nie etwas zu Ohren gekommen", sagt die stellvertretende Geschäftsführerin des BRK-Kreisverbandes, Marion Ivakko. Man habe auch keine Kenntnis von weiteren Studien, für die Bluttests erforderlich gewesen wären. "Herr Binner hat uns versichert, dass es nur diese eine Studie gab." In der Sanitätsstation sei auch nicht jedem, der eingeliefert wurde, Blut abgenommen worden. "Der behandelnde Arzt entscheidet, ob dies im Einzelfall erforderlich ist oder nicht", sagt Ivakko.

Die Chefärztin der Wiesn-Station, Monika Mirlach, hatte bereits früher betont, dass die Bluttests nötig seien, da die Mediziner anhand der Blutwerte erkennen könnten, ob ein eingelieferter Wiesngast einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hatte. Weil der Eingriff aus medizinischer Sicht dringend erforderlich sei, hätten die Patienten auch keine Einwilligung abgeben müssen. Was in dem Zustand, in dem viele sich befinden, ohnehin nicht möglich ist.

"Nur den Weisungen Folge geleistet" Ganz anders sieht dies der renommierte Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger. Er sagt, Bluttests seien "kein Standard" bei akuten Alkoholvergiftung. Dazu genüge es, die Atmung des Patienten sicherzustellen, seinen Kreislauf zu stützen und ihn davor zu bewahren, dass er an Erbrochenem erstickt.

Das BRK hat inzwischen versichert, dass man die Abläufe der Notfallversorgung auf dem Oktoberfest 2009 "umfassend kontrollieren" wolle. Als Garant dieser "umfassenden Kontrolle" wurde der Würzburger Professor Peter Sefrin eingesetzt. Sefrin ist Experte für Notfallmedizin - und Landesarzt beim BKR.

Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen des Verdachts auf Körperverletzung gegen den Leipziger Arzt Binner, aber auch gegen ehrenamtliche Helfer des Rettungsdienstes, bei denen es bereits Hausdurchsuchungen gab. Schließlich drängt die Zeit für die Ermittlungen zur Wiesn 2004. Einfache Körperverletzung verjährt nach fünf Jahren. Im Visier der Ermittler stehen momentan allerdings junge Ärzte und Personen, die 2004 noch Medizinstudenten waren. Sie, so sagt ein Insider, "haben aber nur den Weisungen Folge geleistet."

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