Blindenfußball-Bundesliga in München:Wie Bayern gegen Chelsea

Sie orientieren sich an den Rasseln im Ball und an den Rufen der Guides - und rennen fast so schnell wie die sehenden Profis: In München wurde das Saisonfinale in der Blindenfußball-Bundeliga ausgetragen. Es ging so eng zu wie im Champions-League-Finale.

Thomas Moßburger

Carina Bindhammer rennt zum Torpfosten, klopft mit ihrer Hand laut dagegen und ruft: "Linker Pfosten." Sebastian Schäfer tritt an zu einem Sechs-Meter-Strafstoß. Schäfer ist Stürmer der Würzburger Blindenfußballmannschaft. Durch die akustischen Signale kann der blinde Spieler vor dem Schuss einschätzen, wo das Tor steht und so den Ball möglichst platziert in Richtung Kasten bringen.

Blindenfussball

Mit Kopfschutz auf dem Platz: Blindenfußballer Michael Wahl vom PSV Köln beim Saisonfinale auf dem Münchner Coubertinplatz.

(Foto: Jakob Berr)

Am Samstag fand der der Finalspieltag der Blindenfußball-Bundesliga auf dem Coubertinplatz im Münchner Olympiapark statt, acht Mannschaften aus ganz Deutschland traten gegeneinander an. Beim Blindenfußball spielen vier blinde Feldspieler und ein sehender Torhüter auf einem Spielfeld, das der Größe eines Handballfeldes entspricht. Um den blinden Spielern die Orientierung zu erleichtern, sind Rasseln in den Ball eingebaut, sodass dieser hörbar ist. Außerdem dienen der sehende Torhüter sowie zwei Trainer hinter dem Tor und an der Seite des Feldes als sogenannte Guides, die den Spielern durch Zurufe helfen.

Carina Bindhammer ist ein solcher Guide. Nachdem sie Sebastian Schäfer durch einen weiteren Ruf gezeigt hat, wo die Tor-Mitte liegt, holt dieser aus und trifft für den Würzburger VSV/BFW, die einzige bayerische Mannschaft in der Blinden-Bundesliga, zum 1:0 gegen Gelsenkirchen. Es ist sein zehntes Saisontor. Doch in der letzten Spielminute fängt sich Schäfers Team noch den Ausgleich ein. Ebenfalls durch einen Freistoß.

Entsprechend geknickt ist Sebastian Schäfer nach dem Abpfiff. "Da fühlt man sich schon an das diesjährige Champions-League-Finale Bayern gegen Chelsea erinnert", sagt er. Auch sein Trainer Ansgar Lipecki ist enttäuscht, freut sich jedoch zugleich, dass seine Mannschaft an jedem der sechs Spieltage dieser Saison teilnehmen konnte.

Froh darüber ist Lipecki, weil es beim Blindenfußball tatsächlich unerwartet hart zur Sache gehen kann und auch Verletzungen, zum Beispiel bei Zusammenstößen, keine Seltenheit sind. Deswegen tragen alle Spieler einen Kopfschutz. "Es gehört für einen blinden Menschen eine Menge Mut dazu, Fußball zu spielen", sagt der Würzburger Trainer. Doch der lohnt sich. "Den Spielern tut es gut, beim Sport als Fußballer und nicht wie sonst als Schutzbedürftige wahrgenommen zu werden und sie erleben das Freiheitsgefühl, sich ohne fremde Hilfe auf dem Platz bewegen und vor allem auch rennen können", erklärt Lipecki, der als Sportlehrer an einer Würzburger Blindenschule arbeitet.

Tatsächlich ist vor allem die Dynamik und Schnelligkeit des Blindenfußballs beeindruckend. Während man sich als Sehender bei Dunkelheit instinktiv möglichst langsam fortbewegen würde, spurten die Blindenfußballer flott über den Platz. Dabei müssen sie zugleich immer hoch konzentriert sein, um über die Kommunikation mit ihrem Team und über das Rasseln den Ball und den Gegenspieler zu lokalisieren, um einen Angriff starten oder abwehren zu können. Dieses Zusammenspiel der Mannschaft läuft dabei so flüssig, dass man zwischenzeitlich vergisst, dass dort blinde Menschen auf dem Platz stehen.

Mehr Freunde als Gegner

Um im Spielfluss Zusammenstöße zu vermeiden, schreiben die Blindenfußballregeln vor, dass die Spieler laut das Wort "Voy" rufen, wenn sich über den Platz bewegen. Das ist Spanisch und bedeutet: "Ich komme." Die anderen Fußballer werden so auf das Herannahen aufmerksam gemacht.

Kommt der Ausruf zu spät oder gar nicht, greifen die Schiedsrichter ein. Einer von ihnen ist an diesem Samstag Patrick Sapountzoglou aus Bottrop. Für ihn ist der Hauptunterschied zwischen Sehenden- und Blindenfußball die erheblich ausführlichere Kommunikation zwischen den blinden Spielern, Betreuern und Schiedsrichtern. Immer wieder nimmt er Spieler zur Seite und erklärt eine Entscheidung oder macht sie auf den Ball aufmerksam. Das Besondere an der Blindenfußball-Liga ist für Sapountzoglou: "Wir sind hier alle wie eine Familie, egal ob Schiri, Spieler oder Trainer."

Dieser Eindruck bestätigt sich auf dem Coubertinplatz: Nahezu alle kennen ihre Gegenspieler und die Schiedsrichter beim Vornamen, nach dem Spiel umarmt und unterhält man sich, bei Verletzungen sind sofort tröstende Worte von allen Seiten zu hören. Die Bundesliga-Spieler sind Freunde statt Gegner. Kühl ist an diesem Tag nur das Wetter.

Auch wenn deswegen der große Besucheransturm ausgebleibt, halten einige Passanten an und schauen sich das Treiben für ein paar Minuten an. In den Spielpausen erklärt der Moderator Michael Bang den Gästen, wie der Sport funktioniert. Wer will, kann sich außerdem selbst eine Augenmaske anlegen und versuchen blind zu kicken. Einen Live-Kommentar für Sehbehinderte kann man sich über Kopfhörer vor Ort oder zu Hause im Internet anhören.

Der Pokal für die deutsche Meisterschaft geht am Ende an die Mannschaft von Blista Marburg. Das stand schon vor dem letzten Spieltag fest. Sebastian Schäfers Würzburger erreichen in dieser Saison den sechsten Platz. Er selbst wird Zweiter in der Torschützenliste. Ob er noch etwas in München vorhabe? Sebastian Schäfer sagt: "Wie ich gehört habe, hat an diesem Wochenende das Oktoberfest begonnen."

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