Bestandschutz in München:"Ein Stück Heimat geht verloren"

  • Viele Gebäude in München sind nach den Kriterien des Denkmalschutzes nicht erhaltenswert - dennoch kämpfen Anwohner und Politiker gegen deren Abriss.
  • Ihnen geht es um den Erhalt von Gebäuden, die über Jahrzehnte hinweg das Stadtbild geprägt haben - und gleichzeitig um den Erhalt des Stadtbilds.
  • Die amtlichen Denkmalschützer nehmen die Protestwelle ernst und überlegen, Bürger an Entscheidungen zu beteiligen.

Von Alfred Dürr

Mit einem rot-weiß gestreiften Band zieht Klaus Bäumler eine Linie am Boden. Der Mann mit seiner typischen Baskenmütze mischt sich seit Jahrzehnten kritisch in Fragen der Stadtentwicklung ein. Der Jurist war viele Jahre Vorsitzender des Bezirksausschusses Maxvorstadt, jetzt engagiert er sich im Münchner Forum, einem Verein, der Bürgern eine Diskussionsplattform zur Stadtplanung bieten will.

Gerade ist Bäumler mit ein paar anderen Mitstreitern in der Fußgängerzone aktiv und sorgt für Aufmerksamkeit bei den Passanten. In den Arkaden der Alten Akademie will er demonstrieren, wie viel von der Passage und damit auch vom öffentlichen Raum verloren geht, wenn sich der Investor mit seinem Umbauplänen für den historischen Gebäudekomplex durchsetzten sollte. Solche Veränderungen dürfe man nicht akzeptieren, appelliert Bäumler an die Umstehenden.

Sein Einsatz ist nur ein Beispiel für die zunehmende Kritik von Bürgern an Veränderungen im Stadtbild. Dabei geht es nicht allein um Denkmal-Hochkaräter, wie etwa die stadtgeschichtlich bedeutsame Alte Akademie, die ein moderner Büro-, Geschäfts- und Wohnkomplex werden soll. Anwohner und Initiativen, wie etwa die Initiative Altstadtfreunde, kämpfen um den Erhalt von Gebäuden, die über Jahrzehnte hinweg das Stadtbild geprägt haben. Meist sollen sie Neu- oder Umbauvorhaben weichen. Dabei spielt es für den Bürgerprotest keine Rolle, dass diese alten Bauwerke oft nach den Kriterien des Denkmalschutzes gar nicht mehr erhaltenswert sind.

Generalkonservator Mathias Pfeil, der Chef des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, spricht von "emotionalen Denkmälern"; von Häusern, "die den Menschen ans Herz gewachsen sind". Bestes Beispiel dafür ist die Umstrukturierung des Tierklinik-Geländes an der Königinstraße. Die nach dem Krieg wieder errichteten Institutsbauten, die das Bild am Eingang zum Englischen Garten prägen, sollen einem zukunftsweisenden Physikcampus weichen. "Nun kommen Hightech-Gebäudemaschinen", ärgert sich Florian Grüning von den Altstadtfreunden.

Für ihn ist das ein schlimmes Signal: "Ein Stück Heimat geht verloren." Wenn selbst der für den Denkmalschutz zuständige Kultusminister "mit der Abrissbirne durch Jugendstil-Treppenhäuser fegt", könne von einem Eintreten für das bauliche Erbe keine Rede sein: "Wie macht man dann einem Bürger klar, dass er seine schöne alte Haustür pfleglich behandeln soll?"

Die amtlichen Denkmalschützer nehmen die Protestwelle ernst. "Die Initiativen sind für uns keine Belastung. Aber wir müssen uns an den Debatten stärker beteiligen und mehr Informationen über die Bedeutung alter Bauten liefern", sagt der Generalkonservator. Er bringt Verständnis für den Protest auf: "Man muss sich nur die architektonische Qualität neuer Bauten anschauen - eine Gesichtslosigkeit ohne Ende." Kein Wunder, wenn der Wunsch nach Bewahrung des Alten stark sei.

Wider die gesichtslose Architektur

Ein Vorschlag des obersten Denkmalpflegers in Bayern lautet: Architektenwettbewerbe sollten reformiert werden. Was spreche dagegen, Bürger an Preisgerichtssitzungen zu beteiligen? Pfeil warnt aber davor, den Denkmalschutz zu instrumentalisieren. Es gebe Qualitätskriterien dafür, ob ein Haus wirklich schützenswert ist. Man könne nicht alles "inflationär auf die Denkmalliste setzen".

Stets an vorderster Stelle beim Schutz geschichtsträchtiger Gebäude ist der CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper. Die Fotos gleichen sich: Im Anzug und mit einem Bauakt unterm Arm posiert er mit Bürgern oder anderen Politikern vor Objekten, die vom Abriss bedroht sind. Reine Profilierungssucht und das Buhlen um Wählerstimmen durch den Einsatz für alte Häuser? Solche Vorwürfe kennt er.

"Das ist eine allzu platte Unterstellung", antwortet Brannekämper. Sein Handeln basiere nicht auf solchen vordergründigen Motiven. Der gebürtige Münchner ist ausgebildeter Architekt und wie seine Vorfahren fühlt auch er sich als "Mann vom Bau". Die Politik habe darauf zu achten, dass München "nicht seinen Maßstab und die einmalige Gestalt verliert", sagt er. Einerseits brauche die Stadt weiteren bezahlbaren Wohnraum; dabei müsse man andererseits auf qualitätsvolle Architektur und ein attraktives Wohnumfeld achten.

Brannekämper betont den hohen Veränderungsdruck, der auf der Stadt lastet. Auch das Leben der Bürger habe sich deutlich geändert: "Der Wohnort, die Arbeitsstelle, persönliche Überzeugungen - all das ist nicht mehr unverrückbar." Die Menschen suchten deswegen auch nach Stabilität. Das gebaute Umfeld gilt dabei als ein zentraler Faktor. Als Politiker, sagt Brannekämper, muss man dazu beitragen, dass in diesem Bereich nicht immer alles einheitlicher und gleichförmiger wird.

Ob dann ein seit langem vorhandenes Gebäude im strengen Sinn des Gesetzes ein Denkmal ist oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang oft keine Rolle mehr. Das geplante Wohnbauprojekt an der Plinganserstraße, in der Nähe vom Harras, ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. Andreas Dorsch vom Denkmalnetz Bayern, dem Zusammenschluss verschiedener Initiativen, hängt an dem alten Haus, das auf dem Grundstück steht: "Es bildet die Geschichte der Straße ab."

Das Immobiliengeschäft in München boomt, die Stadtstruktur ändert sich extrem schnell. Selbst ein mehrfach überformtes Gebäude wie das an der Plinganserstraße 50, das immer noch den Namen "Biedermeierhaus" trägt, bekommt für viele Bürger einen ideellen Wert. Der Investor soll einfach seine neuen Wohnblöcke um das "charmante Haus" herum bauen und es damit vor dem Abriss retten, lautet der Vorschlag.

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