Bildungsprojekt:Der Zauber der Musik

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In der Schwabinger Kreuzkirche lassen Kinder und Jugendliche aus dem Viertel mit dem Jugendkulturprojekt "Schubertiade" das Leben und die Kompositionen von Franz Schubert Revue passieren

Von Ellen Draxel

Die Projektion zeigt das Antlitz der 16 Jahre alten Annika. Nur: Die Schülerin ist in dem Film kaum zu erkennen. Schneeweißes Haar umrahmt das faltig-geschminkte Gesicht des Mädchens, ihre Stimme klingt tief und brüchig. "Mein Name", so stellt sich die Figur auf der Leinwand vor, "ist Franz Peter Schubert, ich bin 219 Jahre alt". Musik ertönt, in den Saal strömen an die 80 Mädchen und Jungen und singen mit glockenhellen Kinderstimmen "Das Waaandern ist des Müüüllers Lust". "Hören sie das?", wendet sich "Schubertine" Annika an das Publikum, "meine Lieder kannte man schon damals".

In der Schwabinger Kreuzkirche herrscht Theater-Atmosphäre. Vor zwei Jahren bereits hatten Kinder und Jugendliche aus dem Viertel mit einer Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" begeistert. Nun haben die Macher das Leben und Werk Franz Schuberts zum Thema gemacht. Szenische Bilder, untermalt mit Musik und eingerahmt von Kommentaren des posthum rückblickenden Meisters. "Schubert ist einer meiner Lieblingskomponisten", sagt Musikpädagogin Verena Kley, "man verpasst etwas, wenn man seine Musik nicht kennt". Die Pianistin und Mutter zweier Kinder leitet seit zehn Jahren die Chöre am Ackermannbogen, sie weiß, wie man Kindern den Zugang zu klassischer Musik ebnet. Und sie weiß auch, was Sechsjährige stimmtechnisch zu bewältigen in der Lage sind: "Das Schöne ist, dass viele von Schuberts Melodien kunstvoll, aber eingängig und volksliedhaft zugleich sind - sie lassen sich gut singen."

Gleichzeitig verraten sie viel über den Menschen Franz Schubert. "Er war labil, sensibel, melancholisch", erklärt Sabine Geyer. Die Pfarrerin der Kreuzkirche hat das Konzept für das Schwabinger Jugendkulturprojekt erstellt und kümmert sich um die Organisation: "Was uns bei Schubert gelockt hat, war die historische Komponente." Die Kinder tauchen ein in die Zeit um 1800. Sie erfahren, dass es damals räumlich eng zuging, der Winter eiskalt war und es eine hohe Kindersterblichkeit gab. "Ich weiß jetzt, dass Franz Schubert eines von 16 Kindern war, von denen nur vier erwachsen wurden", erzählt Annika. Und: " . . . dass er mit 31 Jahren starb".

Eine Szene zeigt Schuberts immer kleiner werdende Familie, eine andere dokumentiert, wie er sich seinen Lebensunterhalt als Hilfslehrer verdienen muss, obwohl ihn eigentlich nur das Komponieren interessiert. Als seine Freunde ihn zu einem Essen abholen wollen, wirbelt Annika alias Schubert im Studierzimmer alle Blätter durcheinander und ruft: "Jetzt ist mir meine gute Idee entfallen. Geht weg! Ich habe sowieso kein Geld fürs Gasthaus." Zu allen Szenen erklingen Schuberts Kompositionen: das "Winterlied", das "Heideröslein", die "Forelle", "Gretchen am Spinnrade".

Die 14-jährige Kim intoniert fehlerfrei "Am Brunnen vor dem Tore", sie war bisher nur im Schulchor, kam erst für dieses Projekt zum Team. "Sie hat früher Alt gesungen, inzwischen beherrscht sie den Mezzosopran", sagt Verena Kley nicht ohne Stolz. Gänsehaut-Feeling kommt auf, als die ebenfalls 14-jährige Magdalena, die mit viel Herzschmerz Schuberts Geliebte Theresa verkörpert, das "Ave Maria" vorträgt. Sogar die sechs Jahre alten Jungen neben ihr trällern leise mit. "Magdalena ist seit acht Jahren bei mir im Chor", meint Kley, "toll, dass dann so etwas dabei herauskommt". Man könne, davon ist die Musikpädagogin überzeugt, wirklich alle Kinder mit klassischer Musik begeistern.

Entscheidend sei der breite Zugang. Für jedes Talent findet sich bei der Schubertiade ein Engagement. Viele lieben das Singen, und jeder, der wollte, bekam auch ein Solo. Es gibt aber auch Schauspieler wie Annika, Tänzer, Instrumentalisten, Bühnenbildner. Nicolas, Sebastian, Stefan und Felix beispielsweise haben unter der Leitung von Bühnentechniker und Künstler Fabian Vogl den Jägerstand gebaut, der als Studierzimmer Schuberts dient: "Hat super Spaß gemacht, Hauptsache Holz und Säge." Inja, Sophia und Lena bevorzugen das Malen: Sie kreierten das Klassenzimmer mit der Tafel, auf der "Schubert is dof" zu lesen ist. Sogar die Sprechszenen sind in Koproduktion entstanden. "Ich habe nichts vorgegeben, die Kinder entwickelten die Texte mit mir gemeinsam", lobt Regisseurin Miriam Gniwotta.

Was am Ende bleibt, ist das gemeinsam Erlebte, die Verantwortung für das Ganze, das Teamwork. Und hoffentlich eine Affinität zur Musik. Schuberts Lieder haben die Kinder bereits im Ohr.

Zu sehen ist das Jugendkulturprojekt "Schubertiade" an diesem Sonntag, 3. Juli, um 11.15 Uhr und um 17.15 Uhr im Albert-Lempp-Saal der Schwabinger Kreuzkirche, Hiltenspergerstraße 55. Es gibt noch Karten für die Abendvorstellung, für acht Euro zu haben am Sonntag von 10.30 bis 12 Uhr in der Bücherei der Kreuzkirche.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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