Bildung in München:Die Surrealschule

Bildung in München: Seit Jahren soll die Staatliche Realschule München 4 gebaut werden, passiert ist bislang wenig.

Seit Jahren soll die Staatliche Realschule München 4 gebaut werden, passiert ist bislang wenig.

(Foto: Imago; Fotomontage SZ)
  • Einige Klassen der Städtischen Artur-Kutscher-Realschule in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums sind offiziell einer Schule zugeordnet, die es noch gar nicht gibt.
  • Die Schule ohne Schulhaus ist die Staatliche Realschule München 4, die schon seit Jahren an der Fritz-Mader-Straße in Moosach stehen sollte.
  • Die ersten Schüler der geplanten Realschule haben bereits ihre mittlere Reife abgelegt. Die Eröffnung ist für 2022 geplant.

Von Melanie Staudinger

Gerade wieder sitzen die Direktoren der 23 Münchner Realschulen über den Anmeldungen für die fünften Klassen. Und wieder haben viele von ihnen das Problem, dass schlicht zu viele Kinder an ihre Schule wollen. In diesen Fällen gilt es, einen Ausgleich zu finden, eine Nachbarschule, die noch nicht ganz so überfüllt ist. Denn irgendeinen Platz bekommt jeder.

Das wäre schon Arbeit genug; auf eine Münchner Schulleiterin aber kommt noch mehr Planerei zu. Regina Lotterschmid heißt sie, und sie steht der Städtischen Artur-Kutscher-Realschule in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums vor. Sie bildet nicht nur Klassen mit ihren eigenen Schülern, sondern auch mit Kindern, die zwar an der Artur-Kutscher-Realschule unterrichtet werden, offiziell aber einer Schule zugeordnet sind, die es noch gar nicht gibt.

Diese Schule ohne Schulhaus ist die Staatliche Realschule München 4. Seit Jahren schon sollte sie an der Fritz-Mader-Straße stehen und die vollen anderen Realschulen entlasten. Doch der Bau verzögerte sich immer wieder. Die Stadt wollte dazu ein Grundstück des Freistaats kaufen, die Verhandlungen zogen sich bis Ende vergangenen Jahres.

Jetzt aber ist das Bildungsreferat sicher: Bis 2022, sagt ein Sprecher, werde die neue Schule in Moosach stehen. Wenn der Stadtrat im Sommer dem zweiten Schulbauprogramm zustimmt. Wenn der Bau im Frühling 2020 beginnt. Und wenn sich sonst nichts verzögert.

Schüler der Phantom-Realschule hingegen gibt es schon seit sechs Jahren, seit dem Schuljahr 2010/11. Da hat der Freistaat die erste sogenannte Vorläuferklasse, eine fünfte Klasse, eingerichtet - als Willensbekundung, dass bald eine Schule entstehen wird. Das ist an sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Vorläuferklassen wurden auch bei den Gymnasien Trudering und München-Nord gebildet, damit die neuen Schulen, wenn sie eröffnen, nicht ganz leer sind.

Diese beiden Schulen wurden aber auch zeitig fertig. Die ersten Schüler der Realschule München 4 hingegen haben im vergangenen Schuljahr ihre mittlere Reife abgelegt - ohne ihr Schulgebäude jemals gesehen zu haben. Weder von innen noch von außen.

110 Phantomschul-Kinder und -Jugendliche

Die Organisation zweier Schulen unter einem Dach erfordert einiges an Planung, wie Regina Lotterschmid erzählt. Praktisch melden sich erst einmal alle Eltern an der Artur-Kutscher-Realschule an. Lotterschmid und ihre Kollegen suchen dann die Schüler heraus, die näher an der Franz-Mader-Straße, dem neuen Realschulstandort, wohnen, also auf der anderen Seite der Dachauer Straße.

Diese Kinder - jedes Jahr ungefähr 30 - gehen dann offiziell in die Vorläuferklasse, haben aber die gleichen städtischen Lehrer wie die drei anderen städtischen Klassen aus ihrem Jahrgang. Der Freistaat bezahlt der Stadt die Lehrer für "seine Realschüler".

In zwei Punkten aber unterscheiden sich die derzeit 110 Phantomschul-Kinder und -Jugendlichen von ihren Mitschülern: bei Zeugnissen und Verweisen. Auf ihrem Zeugnis steht im Kopf die "Georg-Büchner-Realschule". Das ist die Staatliche Realschule München 1 in Laim, 20 Minuten mit dem Auto entfernt. Deren Direktor Norbert Lottner ist rechtlich für die Vorläuferklassen verantwortlich. Daher unterschreibt er die Zeugnisse und Direktoratsverweise.

"Obwohl die Schüler mich gar nicht kennen", sagt Lottner und lacht. Wie er zu der Ehre gekommen sei, im Grunde genommen zwei Schulen zu leiten? "Das wurde mir vom Kultusministerium so mitgeteilt", sagt er. Viel Arbeit habe er mit den Schülern im Norden Münchens ohnehin nicht. "Um den Schulalltag kümmert sich meine Kollegin von der Artur-Kutscher-Realschule."

Ab der siebten Klasse wird das Ganze facettenreich

In der fünften und sechsten Klasse ist das noch nicht so kompliziert, da die Schüler größtenteils den gleichen Unterricht haben. Von der siebten an wird das Ganze aber facettenreich: Da teilen sich die Schüler in die Wahlpflichtfächergruppen auf.

Damit auch die staatlichen Schüler den mathematischen, sprachlichen oder wirtschaftlichen Bereich nach Wunsch belegen können, gehen sie gemeinsam mit ihren städtischen Mitschülern in dieselben Klassen. Die Vorläuferklassen existieren dann nur noch auf dem Papier. Die Eltern hätten damit kaum Probleme, berichtet Lotterschmid. Jedes Jahr beim Informationsabend erkläre sie das Prozedere.

"Man hat ja durch die Vorläuferklassen weder einen Vorteil noch einen Nachteil, und die Eltern sind froh, wenn sie überhaupt einen Schulplatz haben", sagt die Schulleiterin. Wenn alles nach Plan läuft, werden die Kinder, die in diesem September in die fünfte Klasse kommen, die ersten sein, die ihren Abschluss nicht nur nominell, sondern tatsächlich an der neuen Realschule München 4 machen. Lotterschmid kann das knapp noch miterleben: Danach geht sie in Rente.

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