Bildstrecke:Gasteig

Volkshochschule, Bibliothek, Café, Theater, Musik - täglich besuchen rund 6000 Menschen den Gasteig.

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Gasteig. Nacht. 7.00 Der Texaner Rick Granger sperrt die Tür auf. Die ersten Besucher sind Herr und Frau Kvassay aus der Slowakei, die sich zum Kurs "Deutsch für Ausländer" anmelden wollen. 6000 Menschen werden an diesem Tag in den Gasteig kommen. Aber sie lassen sich noch Zeit. 8.00 In der Cafeteria Conviva sitzen: Sandra Schuster, die für eine Australienreise ihr Englisch auffrischen will; Renate Wagner, die seit 20 Jahren im Gasteig "Deutsch als Fremdsprache" unterrichtet; Alexander Rist von der Firma Aeroclean, der fürs 20. Jubiläum die Rolltreppe putzen soll; Dominik Müller, der in der Bibliothek aufs Abi lernen will; Gerhard und Elfriede Knöferl, die seit drei Jahren ein Mal pro Woche aus Ingolstadt anreisen, zum Studium Generale. "Heute", sagt Elfriede Knöferl, "fangen wir beim Stadtrat Dr. Lange Wirtschaft an."

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9.00 Der Gasteig erwacht. In Raum 108 unterrichtet Astrid Jung Yoga auf Ayurveda-Grundlage. Zwölf ältere Teilnehmer bemühen sich, "Kraft in die Handflächen" zu bekommen und "das innere Feuer konstant" zu halten. Im Foyer steht unter einem Plastikschirm mit Abzugsdüse eine rauchende Italienerin und spricht erbost in ihr Handy, wobei sie sehr oft das Wort "merda" benutzt. 10.00 16 Menschen warten vor der Drehtür, als die Stadtbibliothek öffnet (15). Die ersten Buch-Ausleihen des Tages sind: Armin Brunner: "Patagonien und Feuerland", Gaby Hauptmann: "Yachtfieber" und Helmut Balzert: "Lehrbuch der Software-Technik". Am Fenster sitzt Abdela Jafer aus Äthiopien. Er kommt zwei Mal wöchentlich, um Zeitungen zu lesen, die er sich nicht leisten kann. Er liest die New York Times. Im zweiten Stock unterrichtet zur gleichen Zeit Eva Gleifenstein 17 Volkshochschüler in "Zeichnen und Malen", diesmal: Gewandstudien. Die 77-jährige Alexandra Zimpermann schwärmt: "Man lernt das Sehen." In der Glashalle weigert sich ein Yorkshire-Terrier, die Rolltreppe zu betreten.

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11.00 Im vierten Stock hat Hartmut Dedert, Kommunikationsleiter der Gasteig München GmbH, soeben Radio 106.4 ein Interview zum 20-jährigen Jubiläum gegeben. Ein paar Türen weiter ist Gasteig-Chefin Brigitte von Welser immer noch krank, aber wieder an Bord. Sie erklärt die sichtbaren Modernisierungsmaßnahmen für beendet, technische Nachbesserungen stünden noch an. Sie sagt: "Am Wochenende schnaufen wir mal durch und tun so, als ob der Deckel wieder auf der Tube wäre." Durchs leere Foyer der Philharmonie ist derweil Xantippe Kotopoulov mit dem Staubsauger unterwegs. Aishe Günes putzt die Bars. Im Restaurant "Gast" treffen die ersten Mittagesser ein. 12.00 Umbau für die Probe der Philharmoniker. Aufnahmeleiter Gerald Junge platziert die Mikrophone, die zuletzt noch der Netrebko gegolten haben, für die Mitschnitte der Mehta-Konzerte am Wochenende; Bühnenarbeiter wuchten Bongo-Trommeln beiseite. In der ersten Reihe rechts liegen sechs Kontrabasse wie schlafende Hippos. Sprachengewimmel vor der VHS-Anmeldestelle: Um 13 Uhr beginnt die Einschreibung für "Deutsch als Fremdsprache", mehr als hundert Menschen warten. An der Vorverkaufskasse lässt sich ein älterer Mann 13 Minuten Zeit, um schließlich eine Karte fürs Petersburger Staatsballett zu kaufen.

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13.00 Das "Gast" platzt. Schlangen an den Kochstationen, den Küchenmeistern steht der Schweiß auf der Stirn. Auf der Terrasse küsst sich ein junges Paar zehn Minuten lang leidenschaftlich über eine Apfelschorle hinweg, überall Entschleunigung. Lesende Menschen. Sonne. Mittagsträgheit. 14.00 An der Hauptgarderobe haben Rosi Hauser und Ursula Scholz die Arbeit aufgenommen. Im Hof kontrolliert inzwischen der Installationskünstler Götz Lemberg ein letztes Mal die Scheinwerfer, die das Gebäude in rotes Licht tauchen sollen. "Der Gasteig ist ein großer, harter Brocken", findet er. Die Philharmoniker-Probe beginnt mit Strawinsky: "Pétroushka". In Block E sitzt der VHS-Kurs "Von der Probe zum Konzert", mittendrin eine Frau im roten Filzmantel, die Augen geschlossen. Sie sieht glücklich aus. Der Dirigent trägt Freizeitpulli, lobt viel und wiegt sich sachte zum Wogen der Musik. Zubin Mehta sieht auch glücklich aus. Backstage hängt ein Foto von Christian Thielemann, wie er dem Papst die Hand schüttelt.

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16.00 Im Richard-Strauss-Konservatorium hat die Sopranistin Heike Brunner Korrepetition. Sie singt Arien aus Händels "Alcina". Am Steinway korrigiert die Lehrerin Sandra Vucenovic-Schnabel: "Die letzte Koloratur halten! Sonst wunderbar." Auf dem Teppich der Kinder- und Jugendbibliothek blättern rothaarige Zwillinge im Bilderbuch "Die Polizei", während im Carl-Orff-Saal die technische Probe für den Karl-Valentin-Abend anläuft. Auf dem T-Shirt des Beleuchters steht: "Ich schieß den Mond vom Himmel. Für dich, Baby." Draußen haben die 150 Scheinwerfer von Götz Lemberg zu leuchten begonnen. Aber man sieht noch nichts. 17.00 Schichtwechsel. Die Tagesbesucher gehen, erste Abendgäste treffen ein. Mit klimperndem Schlüsselbund läuft Herr Panev vom Sicherheitsdienst über die Gänge, sperrt Räume auf und zu. Die Deutschkurs-Schlange vor der Volkshochschule ist kürzer geworden. Aber nicht viel kürzer. Draußen eilt Zubin Mehta mit elastischem Schritt über die Rosenheimer Straße, Mantelkragen hochgeklappt, die "Pétroushka" gewiss noch in den Ohren. Es ist dunkel geworden. Der Gasteig glüht.

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18.00 Der letzte Eintrag im Conviva-Gästebuch lautet, in Schönschrift: "Wir freuen uns auf einen schönen musikalischen Abend und beginnen ihn mit einem Glas Prosecco. K. + H." Überall Proben. Im Foyer der Philharmonie verteilt Mario Winkelmann von der Kult & Speise GmbH die Snacks für den Pausenverkauf in der Vitrine. Mitarbeiter schieben Wagen mit Bier, Wein und Champagner vor sich her. Einer kriegt Ärger, weil er zu spät kommt. Ruhe vor dem Sturm. 19.00 Volkshochschule und Stadtbibliothek schließen. Die Bars öffnen. Das Publikum trifft ein. Im Conviva sitzt wieder die Deutschlehrerin Renate Wagner, diesmal ein Glas Prosecco vor sich. Der Lichtkünstler Lemberg steht derweil auf der Ludwigsbrücke, Walkie Talkie in der Hand, und ärgert sich: Sein Kunstwerk wird vom Nebel verschluckt. Drinnen erst diskretes, dann nachdrückliches Gongen. Erhöhte Schrittfrequenz.

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20.00 Es setzen gleichzeitig ein: das Budapest Symphony Orchestra in der Philharmonie; das Quarteto Maogani in der Black Box; der Karl-Valentin-Abend im Carl-Orff-Saal sowie die Vorträge "Gotische Kathedralen in Frankreich", "Andenken an Soren Kierkegaard" und "Mozart auf Reisen". Letzte Nachzügler hasten durch die Gänge. Urplötzlich Stille, darin: gedämpfter Applaus, leise Bravo-Rufe, Lachen. Der Gasteig lauscht. 21.00 Pause und Lärmexplosion. An den Philharmonie-Bars schenken 17 Mitarbeiter Getränke aus und schieben Häppchen über die Theke. Vorm Carl-Orff-Saal bekommt ein junges Mädel mit rosa Pelzkragen und rosa Taschen-Miniatur vom Vater fünf Euro in die Hand gedrückt. Sie kauft sich einen Bellini. Sie macht ein Gesicht, als wolle sie hier nicht sein. Eine weißhaarige Frau eilt ins Erdgeschoss, um drei Zigaretten hintereinander zu rauchen. Dann Gongen. Draußen ist der Nebel dicker geworden.

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22.00 Das Spiel ist aus. Spurt zu den Ausgängen, Stop and Go in der Tiefgarage. Taxi-Kolonnen. Innerhalb von 20 Minuten verlassen zweitausend Menschen den Gasteig und lassen dröhnende Stille zurück. Einzig die Studenten des Konservatoriums huschen hier und da noch durch die Gänge. Wie Gespenster. 23.00 Im schlummernden Kulturkoloss läuft Enver Kuqi Nachtstreife. Nichts Besonderes, es ist eine Schicht wie jede andere. Am Ende sperrt er die Hauptpforte zu. Der Letzte macht das Licht aus.

00.00 Uhr Nacht.

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