Bewahren und Erhalten:Die Klinge schärfen

Der Kopfbau in Pasing, 2016

Der Abriss des Kopfbaus auf dem ehemaligen Stückgut-Gelände an der Landsberger Straße hat viele Pasinger schmerzlich getroffen.

(Foto: Florian Peljak)

Auf einer Diskussion über Nachverdichtung wirbt Architekt Reinhard Sajons für Erhaltungssatzungen - mit dem Ziel, auch historische Substanz zu schützen. Andere deutsche Großstädte machen es erfolgreich vor

Von Julian Raff, Pasing/Aubing

Nicht dass Reinhard Sajons eine kriminelle Aktion wie den Abriss des Giesinger Uhrmacherhäusls gutheißen würde, zumindest aber hat der "Knalleffekt" vom vergangenen September mehr Münchner für sein Anliegen auf die Barrikaden gebracht, als es sich der Architekt und Denkmalschutzaktivist zuvor erhoffen konnte. Wie Sajons auf einem Diskussionsabend der Münchner Volkshochschule (VHS) in Pasing mit dem Titel "Bewahren und Erhalten trotz Wachstum und Siedlungsdruck im Münchner Westen" gleich klarstellte, liegt Münchens eigentliches Problem freilich nicht in illegalen Abbrüchen, sondern im fast täglichen, ganz legalen Verlust historisch und ästhetisch wertvoller Substanz. Mit dem vor knapp zwei Jahren abgerissenen Kopfbau des alten Stückgut-Bahnhofs fiel Sajons und seinen Pasinger Gastgebern auch gleich ein örtliches Beispiel ein, noch dazu ein besonders bitteres: Das Landes-Denkmalamt bescheinigte dem Bau grundsätzlich historische Bedeutung, die sei aber wegen diverser Veränderungen nicht mehr "ablesbar".

Mit derlei Feinheiten dürfte sich Sajons auskennen. Unter seiner Leitung hatte Augsburg in den 1990er-Jahren ein viel beachtetes Programm zur Altstadtsanierung aufgelegt. In seiner Münchner Heimat, genauer gesagt von Aubing aus, engagiert sich der Planer unter anderem im Bündnis Gartenstadt und im Kulturforum West, das mit Ulrike Turner und Ulrich Rosenfelder noch weitere kritische Geister aufs Pasinger Podium geschickt hatte. Im Herbst plant die VHS-West im Herbst einen weiteren Abend, diesmal mit städtischen Funktionären, die ihre Perspektive darlegen. An deren Adresse richteten Sajons, Turner und Rosenfeld in erster Linie die Forderung, ihre gesetzlichen Spielräume mit Gestaltungs- und Erhaltungssatzungen auszuschöpfen, auch wenn der Stadtrat dies in manchen Fällen ausgeschlagen hatte. Eine Erhaltungssatzung nach dem (Bundes-)Baugesetzbuch schützt, laut Sajons, "städtebauliche Eigenarten" auch dort, wo sie durch einzelne Ausreißer bereits verwässert wurden. Der denkmalrechtliche Ensembleschutz kann dagegen schon durch ein einziges unpassendes Gebäude blockiert werden, oder gar nachträglich kippen. Das Einfallstor bietet meist der, so Sajons, "berühmt-berüchtigte", weil dehnbare Einfügungs-Paragraf 34 im Baugesetzbuch.

An der Limesstraße in Aubing geriet so vor Kurzem ein typischer 08/15-Kubus zwischen die umgebenden Walmdach-Villen, obwohl selbst Stadtgestaltungskommission und Oberbürgermeister ihr Bedauern geäußert hatten. Eine städtebauliche Erhaltungssatzung, die nicht nur auf den Mieter- und Milieuschutz abzielt, hätte den Sündenfall verhindert, wie auch die Stadtoberen einräumten. Die Verwaltung beträte damit noch nicht einmal Neuland, warb Reinhard Sajons. Erhaltungssatzungen gelten zum Beispiel in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Dortmund und Köln. Besonders regen Gebrauch davon machen aber die Dresdner mit 23 Satzungen und 44 geschützten Ortskernen. Dabei würde längst nicht jeder Bauantrag abgelehnt, nur brauche es manchmal halt eine zweite Runde bis der Bauwerber "zur Vernunft komme", berichtete Sajons vom Austausch mit den sächsischen Kollegen. Dass die Satzungen nicht grundsätzlich gegen Eigentumsrechte verstoßen, hatte kürzlich sogar das Bundesverwaltungsgericht festgestellt.

Ähnliches dürfte für die in der Bayerischen Bauordnung verankerten Gestaltungssatzungen gelten, einem zusätzlichen, detaillierten Regelinstrument für Gebiete mit reger Bautätigkeit. Prädestiniert als Satzungsgebiete wären zum einen klassische Gartenstädte, wie die Wald- oder Gymnasiumskolonie, über denen, wie es Sajons ausdrückte, "die Investorengeier kreisen und schauen, wo der Pflegedienst kommt". Schutzwürdig finden Sajons, Rosenfelder und Turner aber auch weniger begehrte Ecken, wie die zahlreichen Genossenschaftssiedlungen oder die modernen Ensembles am Haidelweg. Der Stadtverwaltung brächten die neuen Werkzeuge erst einmal hohen Aufwand, weshalb vor den Befürwortern zähe Überzeugungsarbeit liegt. Eine Petition an den Landtag könnte da helfen, wie Rosenfelder anregte.

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